Traumfänger. Jason Brügger
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Название: Traumfänger

Автор: Jason Brügger

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783906287546

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СКАЧАТЬ In den vergangenen zweieinhalb Jahren war ich mit der damaligen Lehrperson auf Feindesfuß gewesen, hier an der Oberstufe durfte ich spüren, dass auch eine Lehrerin nett sein kann. Welch wunderbare Erfahrung! Frau Koller glaubte an mich, genauso wie meine Eltern, sie hatte Freude an mir und ließ mich dies auch sichtlich spüren. Das tat mir bis in die Seele hinein gut.

      Mein Ziel war nicht das Niveau E, das mittlere, sondern P, das beste. Und nach einem Semester hatte ich meine Noten da, wo ich hinwollte. An einem Freitagabend, kurz vor Semesterschluss, klopfte ich daher an die Tür der Schulleitung, legte ihnen meine Noten vor und verkündete: «Ich bleibe nicht länger im Niveau E. Ich habe jetzt bewiesen, dass ich es kann, und würde gerne ins Niveau P wechseln.» Der Rektor zeigte sich sehr erstaunt über mein mutiges Auftreten, war aber sehr erfreut, wusste er doch über meine Geschichte in der Vergangenheit genau Bescheid.

      Noch in derselben Stunde telefonierte er mit meinen Eltern, um sie zu informieren: «Ab Montag besucht Jason das andere Niveau, aber auf einer anderen Stufe.» Und weil ich durch den Niveauwechsel auch ein Jahr wiederholen musste, war ich auf einmal einer der Ältesten, fühlte mich stärker als die anderen und entwickelte mich zu einem selbstbewussten Jungen. Was für ein neues Lebensgefühl! Selbstbewusstsein – bisher ein Fremdwort für mich. Auf einmal war ich nicht mehr der Außenseiter und hatte tolle Freundinnen und Freunde. Teilweise wussten meine neuen Kollegen über meine Vergangenheit Bescheid, doch das war überhaupt nicht relevant. Noch heute erzählt man sich anscheinend im Dorf: «Weißt du, das ist der Junge, welcher in der Primar aus der Schule abgehauen und nicht wiedergekommen ist.» Toll, wenn man den Menschen dadurch in Erinnerung bleibt. Aber ist es nicht so, dass viele Menschen sich viel mehr mit Negativem umgeben als mit Positivem?

      Jedenfalls überquerte ich noch Jahre später ungerne den Pausenplatz des früheren Schulhauses. Schlimme, beängstigende Gefühle kamen jedes Mal in mir hoch. Ich spürte noch lange nach, wie ich mich damals als kleiner Wurm gefühlt hatte. Manchmal spielte sich ein innerlicher Film ab und ich wünschte mir so sehr, ich könnte den Film nur einmal für einen kurzen Moment in die Zeit von damals zurückdrehen und mir zureden: «Du bist so viel wert. Du bist gut.» Ich würde dem früheren Ich gerne Mut zusprechen. Was geschehen ist, ist geschehen. Aber es ist nicht vorbei. Es ist in uns und prägt uns für die Zeit danach. Es kann den Menschen brechen oder weiterbringen. Mich hatte die Zeit sehr geprägt – und weitergebracht. Und irgendwann werde ich dieses Trauma verarbeitet haben. Irgendwann.

      Jahre später begegnete ich der damaligen Primarlehrerin in der Straßenbahn. Es war kurz nach meinem großen Sieg bei «Die grössten Schweizer Talente». Sie streckte mir die Hand hin und ich spürte dieselbe Antipathie wie Jahre zuvor: Sie mag mich nicht. «Ich weiß schon, was du machst», sagte sie kühl, «ich habe dich im Fernsehen gesehen.» Da kam keine Gratulation, keine Anerkennung, kein Lob oder etwas im Sinne von: «Schön, dass du deinen Weg gemacht hast.» Ich weiß nicht, warum ich das von ihr erwartet hätte. Vielleicht, weil sie meine Primarschulzeit so ruiniert hatte. Aber ich war in dem Moment stolz und ich fühlte eine Genugtuung, wie ich sie nie zuvor verspürt habe.

       Coming-out mit 16

      Das Gymnasium besuchte ich dann in Basel, konkret war es das Sportgymnasium «Bäumlihof». Wie ich diese Zeit genoss! Sie gehörte zu einer der besten meines Lebens überhaupt. Ich wurde akzeptiert, wie ich war, und spürte, dass ich voll integriert war und dazugehörte. Ich war Mitglied einer coolen Klasse, war schweizweit der Erste, der als Zirkusartist zur Sportklasse zugelassen worden war, und realisierte, wie stark ein angenehmes, positives Klassenklima auf den Jugendlichen einwirken kann. Ich, der Jahre zuvor anderes erleben musste, war dafür umso dankbarer. Wie gut hätte mir dies damals als scheuer, kleiner Junge getan.

      Wir Gymnasiastinnen und Gymnasiasten waren uns alle auf eine Art ähnlich. Wir pflegten eine sportliche Leidenschaft, trainierten viel, wenn auch an unterschiedlichen Orten und zu anderen Zeiten, aber wir alle verfolgten offensichtlich einen persönlichen Traum: Wir trainierten für unsere Lieblingssportart und wollten uns immer verbessern. Meine Leidenschaft für den Zirkus wuchs von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als auf den ganz großen Bühnen dieser Welt stehen zu dürfen.

      Und dies in einer Zeit, in der wir alle ziemlich am Pubertieren waren, die ersten Partys besuchten, zum ersten Mal die Schule schwänzten. Zusammen rebellierten wir. Eine besondere Nummer unter den Lehrpersonen war meine aus Polen stammende Mathematiklehrerin Frau Michalsky, die nie meinen Namen richtig aussprechen konnte. So war ich in jeder Lektion ein anderer: James, Jackson, Jenson, Janson, einfach nur nie Jason. Ich selbst freue mich darüber, dass meine Eltern sich bei mir für diesen englischen Namen entschieden hatten. Ich habe seither noch keinen Namensgefährten in der Schweiz getroffen.

      Nicht die Mathematiklehrerin, sondern ich selber war schuld, dass ich in Mathematik extrem schlecht war. Diese ganzen Zahlen und Formeln brachte ich einfach nicht auf die Reihe und das alles interessierte mich auch nicht. So hatte ich in Mathe bei der Matura eine glatte Zwei, die ich aber dank der anderen Fächer kompensieren konnte. Frau Michalsky tadelte mich nicht ein einziges Mal deswegen, sondern zeigte großartiges Verständnis für meine miserablen Noten und entschuldigte sie mit den Worten: «Er ist anders. Er ist ein Künstler. Da braucht er keine Mathematik.» Wahrscheinlich zeigte sie so viel Einfühlungsvermögen, weil sie selbst eine Affinität zum Theater besaß. Zum ersten Mal war ich stolz, anders zu sein.

       Trio infernale

      Ich hatte viele tolle Freunde und zwei beste Freundinnen: Laura und Maria. Unglaublicherweise waren Laura und ich uns schon einmal begegnet: in der Primar bei der besagten Lehrerin. Sie hatte da zwei Wochen zugebracht, wurde als schwer erziehbar betitelt und musste daraufhin die Klasse wechseln. Vielleicht müssen gewisse Begegnungen aber doch zustande kommen? Jedenfalls bildeten wir, Maria, Laura und ich, zusammen das «Trio infernale», stellten so viel Mögliches und Unmögliches auf die Beine, hatten unglaublich viel Unsinn im Kopf und waren nicht einfach zu handhaben für unsere Lehrpersonen. Zusammen waren wir stark – wir waren ein Team. Mit diesen zwei Mädchen konnte ich so glücklich sein wie schon lange nicht mehr. Sollte sich nicht jeder Mensch zu einem Team zugehörig fühlen dürfen? Ich mochte diese Unbeschwertheit. Und im Nachhinein denke ich, als Teenager hat man das Recht, auf unsere Art rebellisch zu sein. Ich, der kleine Rebell, war auf dem Weg, erwachsen zu werden. Wir waren ja nicht böse, wir waren einfach in der Veränderung.

      Wir dachten, nichts könne uns aufhalten, nichts könne uns trennen. Doch der Moment kam, an dem wir alle unsere eigenen Wege gehen mussten. Maria ging zurück nach Bern, Laura begann zu arbeiten, und ich hatte ja auch hoffnungsvolle Pläne. Das Trio infernale wurde getrennt. Wenn ich an den letzten gemeinsamen Abend denke, kommen mir wieder die Tränen. Die Freundschaft zu Maria und Laura wird eine lange Freundschaft bleiben – durch weitere Höhen und Tiefen hindurch.

       Ich stehe zu mir

      Es war die Zeit, in der ich mich outete, homosexuell zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich selbst betrogen, nach außen eine Rolle gespielt, durfte nie ich selber sein. Nun wollte ich nicht mehr. Die Welt sollte es erfahren. Das war keine einfache Sache für mich. Obwohl es eigentlich offensichtlich war, dass ich immer anders gefühlt hatte als andere Jungs. Wahrscheinlich hatten sich dies viele Menschen in meinem Umfeld auch schon gedacht, mich aber nie darauf angesprochen. Ich fühlte, dass es nun an der Zeit war, zu mir selbst und zu meinen Gefühlen zu stehen. Warum sollte ich sie auch verstecken? Homosexualität ist keine Krankheit und nichts, wofür man sich schämen muss.

      Ich überlegte mir lange, wie ich mich outen sollte und erzählte es erst zwei guten Freunden von mir. Sie waren nicht sehr überrascht. Bei ihnen fühlte ich mich wohl und getragen. Da wusste man einiges voneinander. Und bei ihnen fiel es mir ja noch einfach. Doch wie sollte ich mich der Schulklasse erklären? Würde ich dadurch wieder zu einem Außenseiter und gemobbt werden? Für viele war es keine Überraschung und es schien СКАЧАТЬ