Название: Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten
Автор: Кристин Нефф
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783867813242
isbn:
Nun mag man sich fragen: »Worin ähnelt oder unterscheidet sich MSC von etablierten Achtsamkeitstrainings?«
Das bekannteste Achtsamkeitstraining ist heute MBSR, das ursprünglich von Jon Kabat-Zinn (1990) entwickelt wurde, um Patientinnen und Patienten einer Universitätsklinik, die unter chronischen Schmerzen und anderen schwer zu behandelnden Erkrankungen litten, Linderung zu verschaffen. Die drei Kernelemente von MBSR sind Atemmeditation, Bodyscan und achtsame Bewegung. MBSR-Lehrende vermitteln implizit liebevolle Güte und Mitgefühl, indem sie diese Qualitäten in der Interaktion mit ihren Gruppenmitgliedern verkörpern und zu einer freundlichen Haltung gegenüber allen Erfahrungen ermutigen. Während des einen Retreat-Tages wird auch die Liebevolle-Güte-Meditation gelehrt, aber der Hauptzweck von MBSR ist das Entwickeln von innerer Gelassenheit inmitten stressiger Lebensumstände durch urteilsloses Gewahrsein im gegenwärtigen Moment.
MBCT (Mindfulness-based Cognitive Therapy) ist eine verhaltenstherapeutische Adaption von MBSR zur Behandlung von wiederkehrenden Depressionen, die von Zindal Segal und Kollegen (2013) entwickelt wurde. Sowohl bei MBSR als auch MBCT hat sich gezeigt, dass die Praktizierenden mehr Selbstmitgefühl entwickelten (siehe Kapitel 4). Die Liebevolle-Güte-Meditation ist nicht Teil des MBCT-Protokolls, weil man vermeiden wollte, innerhalb dieser vulnerablen Population bestimmte Emotionen zu aktivieren: MBCT konzentriert sich mehr auf das Entwickeln eines dezentrierten achtsamen Gewahrseins depressiver Gedankengänge.
Drei Kernelemente von MBSR und MBCT wurden für das MSC-Programm adaptiert, wobei besonders Herzenswärme und Wohlwollen im Mittelpunkt stehen. Die Meditation Liebevolles Atmen ist bei MSC beispielsweise eine Form der Atemmeditation, die die Teilnehmenden dazu einlädt, den sanften Rhythmus des Atems zu genießen – insbesondere die Erfahrung, innerlich vom Atem gewiegt und liebkost zu werden.
Bei dieser Meditation steht nicht die Konzentration im Vordergrund, sondern das Gefühl, vom Atem gehalten und genährt zu werden – was unweigerlich zu einer erhöhten Konzentration beiträgt. Der »Bodyscan mit Mitgefühl« des Achtsamen-Selbstmitgefühl-Programms ähnelt dem MBSR-Bodyscan, konzentriert sich aber stärker darauf, zu würdigen, wie hart jeder Teil des Körpers für uns arbeitet, jedem Körperteil Gutes zu wünschen und dem Herzen zu erlauben, dass es weich und mitfühlend wird, wenn emotionales oder körperliches Leiden zutage treten. MSC enthält auch eine Bewegungspraxis – Compassionate Movement oder mitfühlende Bewegung –, bei der die Aufmerksamkeit bewusst auf gestresste Bereiche des Körpers gelenkt wird und die Teilnehmenden ermutigt werden, ihren Körper spontan frei zu bewegen, um den Stress abzubauen.
Während die Liebevolle-Güte-Meditation bei MBSR in der Regel nur am Retreat-Tag praktiziert wird, wurde sie in MSC zu einem Kernelement. (MSC enthält eine zusätzliche Praxis, die den Teilnehmenden hilft, ihre eigenen Sätze der liebevollen Güte und des Selbstmitgefühls zu entdecken.) Andererseits ist der Bodyscan eine Hauptpraxis von MBSR und wird in MSC nur beim Retreat-Tag gelehrt. Diese Unterschiede zwischen MSC und MBSR spiegeln die jeweiligen Schwerpunkte der beiden Programme wider: ein weites Gewahrsein im gegenwärtigen Moment bei MBSR und Herzenswärme und Wohlwollen gegenüber sich selbst bei MSC. MBSR und MSC vermitteln Qualitäten, die einander ergänzen.
Nach unserer Erfahrung können erfahrene MBSR- und MBCT-Lehrerinnen und Lehrer relativ einfach lernen, MSC zu lehren, wenn sie die Prinzipien und Praktiken von MSC verstehen. Zu den Skills, die sie in der Regel bereits erworben haben, zählen eine stabile persönliche Meditationspraxis, das Wissen um den Unterschied zwischen »Fixierung« auf das Leiden und »Sein mit« dem Leiden, das Wissen um die zentrale Bedeutung der Güte und Freundlichkeit in Lehre und Praxis sowie die Fähigkeit, eine Gruppe so anzuleiten, dass ein offener, urteilsfreier Raum entsteht.
Wir haben festgestellt, dass unsere besten Mitgefühlstrainer und -Trainerinnen oft voller Achtsamkeit sind und unsere besten Achtsamkeitslehrer und Lehrerinnen voller Mitgefühl. Das Selbstmitgefühlstraining bringt allerdings eine neue Perspektive ins Achtsamkeitstraining. Wenn ein Praktizierender Probleme hat, könnte eine Achtsamkeitslehrerin fragen: »Kannst du in dir etwas Raum für diese Erfahrung schaffen?« Oder: »Kannst du diese Erfahrung freundlich im Gewahrsein halten?« Ein Selbstmitgefühlslehrer könnte hinzufügen: »Kannst du dir selbst in diesem Moment etwas Freundlichkeit entgegenbringen?« Oder: »Was würdest du deiner Meinung nach jetzt brauchen?« Achtsamkeit konzentriert sich auf die Erfahrung des Augenblicks, während sich Mitgefühl auf die leidende Person oder das »Selbst« fokussiert.
Achtsamkeitslehrer und -lehrerinnen mögen Fragen oder Bedenken hinsichtlich MSC haben, die die Unterschiede zwischen diesen beiden Ansätzen widerspiegeln. Einige dieser Fragen wollen wir im Folgenden aufgreifen und klären:
Ist es nicht eine subtile Art des Widerstands gegen die Erfahrung des Augenblicks, wenn man Gewahrsein mit liebevoller Güte und Mitgefühl »anwärmt«?
Das ist tatsächlich eine inhärente Gefahr in der Praxis des Selbstmitgefühls. Anfangs versuchen Schülerinnen und Schüler oft, Mitgefühl wie eine Decke über das Leiden zu breiten, um es zum Verschwinden zu bringen, wodurch ein subtiles Element des Strebens und des Widerstands in die Erfahrung des Augenblicks hineinkommt. Im Lauf der Zeit entdecken sie aber die eigentliche Bedeutung von Selbstmitgefühl, nämlich zuzulassen, dass das Herz in der Hitze des Leidens weich wird, indem man Streben und Widerstand aufgibt. Während man beim Selbstmitgefühl bewusst Herzenswärme in die Achtsamkeit hineinbringt, ist das nicht mit mehr Mühe oder Streben verbunden. Achtsamkeit und Selbstmitgefühl sind beides Qualitäten, die es den Praktizierenden ermöglichen, ihren instinktiven Widerstand gegen das Leiden loszulassen.
Wozu brauchen wir überhaupt Mitgefühlstraining? Sind Mitgefühl und Selbstmitgefühl nicht schon im Achtsamkeitstraining enthalten?
Wenn volle Achtsamkeit da ist, ist sie von Güte und Mitgefühl durchdrungen. Es ist jedoch sehr schwierig, vollkommen achtsam zu bleiben, wenn man mit intensiven und belastenden Gefühlen wie beispielsweise Scham konfrontiert ist. Wenn wir Scham empfinden, verengt sich unser Bewusstseinsfeld vor Angst, und unsere Aufmerksamkeit wendet sich angewidert ab. Scham bewirkt auch eine Abspaltung vom Körper und untergräbt das beobachtende Selbst. Dann müssen wir das beobachtende Selbst durch Mitgefühl explizit wiederaufbauen. Wenn wir uns in der Umarmung des Mitgefühls sicherer fühlen, können wir wieder achtsam sein.
Umgehen wir, indem wir uns trösten, wenn wir leiden, nicht wichtige Lebenslektionen wie Vergänglichkeit, Leiden und Selbstlosigkeit?
Es ist wahr, dass Selbstmitgefühl dazu benutzt werden kann, schwierige Erfahrungen mit Zuckerguss zu überziehen, was uns am Lernen hindern kann. Jede Praxis kann missbraucht werden. Deshalb müssen wir uns zuerst achtsam für das Leiden öffnen, bevor wir uns mitfühlend trösten. Mit wie viel Leiden wir uns konfrontieren, bevor wir Mitgefühl hineinbringen, hängt teilweise davon ab, was wir als Praktizierende suchen: Weisheit oder Mitgefühl? Praktizierende, die Weisheit suchen, werden sich vielleicht länger mit dem Leiden beschäftigen wollen, um Einsichten – beispielsweise in die Vergänglichkeit des Leidens - zu gewinnen, während jemand, der Mitgefühl praktiziert, es vielleicht vorzieht, Herzensqualitäten wie Freundlichkeit und Spontaneität zu entwickeln, um sich unmittelbar und spontan der Linderung des Leidens zu widmen.
Selbstmitgefühl aktiviert alte Verletzungen, die aus Beziehungen herrühren. Ist es nicht gefährlich, dies in einem Acht-Wochen-Programm zu tun?
Ein Gefühl der Sicherheit ist die Basis des Selbstmitgefühlstrainings (siehe Kapitel 8). MSC-Schüler СКАЧАТЬ