Der Mann, der aus dem Fenster sprang. Ludwig Lugmeier
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Название: Der Mann, der aus dem Fenster sprang

Автор: Ludwig Lugmeier

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783956140167

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СКАЧАТЬ war rot und lang wie mein Arm. Als ich am See entlang lief, wurde sie weich in meiner Hand, die rote Farbe blätterte ab und sie verbog sich ein wenig. Ich versuchte sie geradezubiegen, aber da brach sie in zwei Teile, die nur noch der Docht zusammenhielt. Vor Schreck darüber stand ich lange neben der Straße und rührte mich nicht. Dann spuckte ich in die Bruchstelle und drückte sie zusammen. Aber die Spucke klebte nicht. Zum Glück war Gott nicht da, als ich bei Altenheim anlangte. Vom Klingelknopf hing ein loser Draht und als ich auf den Knopf drückte, wußte ich, daß es keine Verbindung gab. Ich drückte dreimal auf den Knopf. Aus einem Fenster blickte eine Greisin und wackelte mit dem Kopf, bis ich glaubte, daß Gott nicht da war und weiter nach Kochel ging. Von dort läuteten bereits die Glocken. Auf dem Weg zur Kirche, wo auch die Heimatbühne und das Kino waren, traf ich meine beiden Cousinen. Sie hießen Gitti und Roswitha, hatten weiße Kleider an und hielten weiße Gesangbücher in den Händen.

      »Deine Kerze ist kaputt«, sagte Gitti, »die gilt nicht mehr.«

      Und Roswitha sagte: »Eine kaputte Kerze bringt Unglück, weil sie mitten auseinander ist.«

      Ich spuckte in die Bruchstelle und behauptete: »Jetzt hält sie wieder.«

      »Kaputt ist kaputt«, sagte Gitti.

      »Gott ist unsichtbar«, erklärte Rosi, »der sieht alles. Der sieht auch, daß du draufgespuckt hast.«

      »Der hat ein dreieckiges Auge«, sagte Gitti, »so –«

      Sie zeichnete mit der Schuhspitze ein Dreieck in den Staub.

      »Da ist das Aug drin. Damit sieht er im Dunkeln.«

      Der Pfarrer trug ein weißes Meßgewand mit einem goldenen Kreuz auf dem Rücken und die Ministranten klingelten mit Silberglöckchen. Ich saß in der ersten Bank, vor mir hielt der Pfarrer den Kelch hoch und zeichnete Kreuze in die Luft. Wie groß das Kirchenschiff war! Und wie fremd und wie leer über den Leuten! Lauter Luft und Licht, das durch die Fenster fiel. Der Pfarrer ruderte darin herum und verbeugte sich. Da wußte ich, daß er gar nicht da war, dieser Gott, und mich auch nicht aus dem Wasser ziehen würde, wenn das Eis einbrach. Als die Messe vorbei war, nahm ich die Kerze wieder mit.

      »Jetzt hast dem lieben Gott die Kerze gestohlen«, sagte Gitti.

      »Das hat er alles gesehen«, sagte Roswitha.

      Aber ich hatte sie ihm gar nicht gegeben gehabt.

      »Die Kerze hat keinen Taug«, sagte ich und da wurden die Cousinen still.

      Ich gab sie meiner Großmutter. Sie wohnte bei ihrem Sohn und seiner Familie, in der Speisekammer der Mansardenwohnung im ersten Stock. Im Treppenhaus hingen Geweichtel und Geweihe an der Wand und vor der Tür stand zusammengelegt ihr Feldbett. Die Kammer war so schmal, daß sie mit gespreizten Armen die Wände berühren konnte. Ein Regal stand drinnen, ein Tisch, ein Schemel. An Kleiderhaken hingen ihre Kittel und der Mantel, und von der Decke baumelte eine Glühbirne. Auf dem Fensterbrett standen Büchsen mit Blumen. Auch das Zimmer nebenan war eng und am Tisch hatten wir gar nicht alle Platz. Sie kochte Gulasch und als das Essen fertig war, schöpfte sie zwei Teller voll und ich ging mit ihr in die Kammer.

      Das Gulasch war scharf, aber sie sagte: »Ein richtiges Gulasch muß in der Gosche brennen, daß einer Feuer spuckt.«

      Ich hockte mich auf den Boden und sie sich auf den Schemel. Das Gulasch brannte, daß mir Tränen in die Augen traten, aber ich aß den Teller leer und als sie fragte, ob es geschmeckt hätte, sagte ich: »Ja.«

      »Warum heulst dann?« fragte sie und wischte mit einem Stück Brot den Teller aus. »Hast den lieben Gott gesehen?«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Dann bist umsonst gelaufen.«

      Sie lachte. Aber auf einmal wurde sie still.

      »Der hilft keinem«, sagte sie, »weil er dir gar nicht helfen kann, wenn der Tod von unten kommt.«

      Sie schnitt den Kerzendocht entzwei, stellte die Hälften aufs Regal. Dann zündete sie sie mit dem Feuerzeug an. Am Nachmittag holte mich mein Vater ab und ein paar Tage später nahm mich meine Großmutter mit zur Leichenfrau. Ich war schon oft bei ihr gewesen. Sie war freundlich und dick und trat vor das Haus, wenn sie uns kommen sah. Sie gab mir Plätzchen zu essen und stellte mir eine Brause auf den Tisch und meine Großmutter legte ihr die Karten, um herauszufinden, ob die Totenernte ertragreich sein würde. Die Leichenfrau kannte die Leute, die auf den Tod warteten, und wenn sie bei ihr auf den Schragen lagen, wußte sie ihre Geschichten und woran sie gestorben waren. Dann schaute sich meine Großmutter die Gesichter an, drückte ihnen die Nasen und hielt einen kleinen Spiegel vor die Münder.

      »Der hat’s schwer gehabt«, sagte sie.

      »Lang hat der gebraucht«, sagte die Leichenfrau, »bis er hat loslassen können.«

      An diesem Tag aber war es anders als sonst.

      »Du darfst es keinem sagen«, sagte die Leichenfrau. »Auch deiner Mama nicht. Sonst darfst du nicht mehr kommen. Sonst kriegst keine Brause mehr und keine Plätzchen auch nicht.«

      »Nein«, sagte ich.

      Sie legte mir Plätzchen auf einen Teller, die einen Schokoladenguß hatten.

      »Die sind noch besser als die anderen«, sagte sie, »greif zu! Aber wenn du was erzählst, kommt der Pfarrer und dann –«

      »Er sagt nichts«, meinte meine Großmutter.

      »Einem Kind rutscht schnell was raus.«

      Ich überlegte, was aus mir rausrutschen könnte. Aber da faßte sie mich an der Hand und ihre Stimme war ganz eindringlich: »Die Toten tun keinem was und ich hab ihn mit Essigwasser gewaschen und als er gelebt hat, war er ein sauberer Mann, ein Lehrer, aber die Kinder haben ihn trotzdem gemocht.«

      Ich hatte keine Angst, denn die Leichenfrau war freundlich. Sie steckte sich Schokoladenplätzchen in die Schürzentasche, für danach. Sie hatte Augen wie eine Eule und damit ich lachte, klapperte sie mit dem Gebiß. Das machte klackklackklack. Das Messer in der Milchkanne meiner Großmutter machte auch klackklack. Dann machte die Leichenfrau wieder klackklackklack. Wir gingen ein Stück am See entlang. Als ein Mann mit Stiefeln, die bis zum Bauch reichten, einen Fisch an der Leine hatte, sagte sie: »Schau, was für einen großen Fisch der hat.« Im Leichenhaus roch es nach Blumen und der Tote sah aus, als würde er schlafen. Er hatte graue Haare und ein bleiches Gesicht mit roten Wangen und roten Lippen. Seine Augen waren geschlossen und um die gefalteten Hände hatte er einen Rosenkranz mit einem Silberkreuzchen gebunden. Ein weißes Tuch war über ihn gebreitet und neben den Schragen standen Eimer mit Blumen. Die Leichenfrau richtete ihm das Kopfkissen und kämmte sein Haar.

      »Sieht er nicht ordentlich aus?« fragte sie. »Ist er nicht eine schöne Leich? Manchmal blinzeln sie noch, aber wenn du genau hinsiehst, haben sie doch die Augen zu. Gestern hat er mich die ganze Zeit angeblinzelt.«

      Sie stellte sich an die Tür und paßte auf.

      Meine Großmutter stach dem Toten eine Nadel ins Nasenloch und hielt ihm ein Spiegelchen vor den Mund.

      »Der blinzelt nicht mehr«, sagte sie.

      »Ich weiß«, sagte die Leichenfrau, »aber trotzdem blinzelt er, wenn man nicht hinsieht.«

      »Die СКАЧАТЬ