Название: Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik
Автор: Michael Bohnet
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783846351383
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Abb. 3: Instrumente der Entwicklungspolitik
2 Die mühseligen Anfänge der deutschen Entwicklungspolitik (1953–1961)
Die ersten entwicklungspolitischen Versuche im Wirtschaftsministerium und im Auswärtigen Amt sowie Gründung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
❋ Beschreibung und Wertung
Die Anfänge der Entwicklungszusammenarbeit waren mühselig, mutig und verwirrend zugleich. Sie gehen auf den Beginn der 1950er-Jahre zurück.
Die Bundesrepublik Deutschland hat erstmals im Jahre 1953 Entwicklungshilfe geleistet. Im Haushaltsplan dieses Jahres wurde aus Gegenwertmitteln des MarshallplanMarshallplans1 ein Betrag von 500.000 DM für Entwicklungshilfe ausgewiesen, und zwar im Etat des Bundesministeriums für Wirtschaft als „Zuschüsse für die Förderung des Erfahrungsaustausches mit weniger entwickelten Gebieten“.2 Bemerkenswert ist, dass diese Mittel aus dem ERPSondervermögen stammten, obwohl nach dem Gesetz über die Verwaltung des ERPSondervermögens ERPMittel nur zur „Förderung der deutschen Wirtschaft“ ausgegeben werden durften. Als Hilfsbrücke diente die Bezeichnung „Erfahrungsaustausch“.3 Was Deutschland von den Amerikanern an Hilfe erfahren hatten, wurde weitergereicht an Entwicklungsländer – aus „Nehmenden“ wurden „Gebende“. Die Einschätzung, dass die Entwicklungshilfe als genuiner Bestandteil der Außenwirtschaftspolitik zu betrachten sei, ließ das neue Sachgebiet wie selbstverständlich in die Kompetenz des Bundesministeriums für WirtschaftBundesministerium für Wirtschaft (BMWi) fallen.4 Dem Drängen des BMWi auf eine Erhöhung der Mittel folgte der Bundestag im Bundeshaushalt 1956 mit einem Titel von 3,5 Mio. DM mit der Zweckbestimmung „Hilfeleistungen für den wirtschaftlichen Aufbau von weniger entwickelten Ländern“5, diesmal im Haushalt des AA.
In der Zwischenzeit hatte sich im Bundestag ein interfraktioneller Konsens unter entwicklungspolitisch motivierten Abgeordneten herausgebildet, die sich mit ihrer Forderung nach Erhöhung der Entwicklungshilfebeiträge allerdings nur langsam gegen die Haushalts und Finanzexperten der Fraktionen durchsetzen konnten. Gleichzeitig wirkten die USA über diplomatische Kanäle massiv auf eine Erhöhung der Beträge hin. Die USA begründeten ihr Drängen mit der notwendigen Aufteilung der Verteidigungslasten, zu denen sie auch die Kosten der Eindämmungspolitik gegenüber der Sowjetunion in der Dritten Welt rechneten.6, 7
Folgerichtig wurde im gleichen Haushaltsjahr 1956 ein Titel von 50 Mio. DM angesetzt, der im Auswärtigen Amt den Zweck „Förderung wirtschaftlich unterentwickelter Länder“ auswies. Dieser Impuls kam vom sozialdemokratischen Abgeordneten Helmut KalbitzerKalbitzer, Helmut. Mit diesen 50 Mio. DM begann im Auswärtigen Amt die deutsche Entwicklungshilfepolitik.8
Allerdings häuften sich im Auswärtigen AmtAuswärtiges Amt damit zugleich die Probleme. Für das neue Aufgabenfeld fehlte es an einem geeigneten Verwaltungsapparat. Dennert vergleicht zutreffend die damalige Situation des Auswärtigen Amtes mit der eines Mannes, „dem unverhofft ein Elefant geschenkt wird“,9 denn es fehlten Entwicklungshilfefachleute ebenso wie sachkundig durchgeprüfte Projekte und vor allem eine mit den Einzelproblemen und Eigenheiten der Entwicklungshilfe vertraute Administration.10 Um die neue Staatsaufgabe administrativ zu bewältigen, griff die Bundesregierung zunächst auf vorhandene Arbeitseinheiten der obersten Bundesverwaltung zurück, insbesondere auf die des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.11
Um die Interessen und Prioritäten aller beteiligten Ressorts gebührend zu bündeln, wurden die sog. interministeriellen Koordinierungsausschüsse auf Ministerialebene gebildet. Es war dies vor allem der interministerielle Ausschuss für Entwicklungspolitik, allgemein Lenkungsausschuss genannt, und die beiden interministeriellen Referentenausschüsseinterministeriellen Referentenausschüsse (IRAs) für Technische Hilfe und Kapitalhilfe.12, 13
Der Lenkungsausschuss bestand aus Vertretern der beteiligten Ministerien, und zwar unter wechselndem Vorsitz des AA und des BMWi. Er entschied unter Vorbehalt der Zuständigkeit des Kabinetts in allen Fragen der Entwicklungshilfe von grundsätzlicher Bedeutung. Ihm oblag die Bestimmung des Mitteleinsatzes, während die Durchführung der Projekte von den jeweils zuständigen Fachressorts übernommen wurde (etwa dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dem Bundesarbeitsministerium oder dem Bundesverkehrsministerium). Doch die Kompetenzkonflikte häuften sich. Vor allem das AA und das BMWi gerieten in einen permanenten Zuständigkeitskonflikt, der sich noch dadurch verschärfte, dass andere, sachlich an einzelnen Projekten beteiligte Ressorts ebenfalls Zuständigkeiten beanspruchten. Ordner um Ordner füllten Regale mit „Zuständigkeitsunterlagen“.14
Die Anstöße zur Errichtung eines Entwicklungsministeriums als Koordinationsorgan gingen nicht von der Verwaltung, sondern gegen Ende der dritten Bundesregierung unter Konrad AdenauerAdenauer, Konrad von Abgeordneten des Deutschen BundestagesDeutscher Bundestag aus.15,16 Insbesondere die Sprecher der oppositionellen SPD sowie der entwicklungspolitische Sprecher der FDP, Walter ScheelScheel, Walter, forderten immer wieder ein eigenes Entwicklungsministerium.17 Walter ScheelScheel, Walter: „Die Kompetenz sollte in einer Hand, in einer politisch verantwortlichen Hand konzentriert sein. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum man bei Finanzhilfen, bei Investitionshilfen neun Ressorts braucht. Das halte ich für baren Unsinn“.18 Niemand hat stärkeren Einfluss auf die Gründung des BMZ ausgeübt als ScheelScheel, Walter selbst.19
Im Parlament herrschte die Ansicht vor, dass der viel beklagte Mangel an Koordination der Hauptnachteil der deutschen Entwicklungshilfe sei. Die Verstärkung der Kompetenzkonflikte im Zuge der rapiden Steigerung der finanziellen Mittel könne durch „ein Koordinierungsministerium“ am besten aufgefangen werden. Die Bedeutung der Entwicklungshilfe sei durch eine selbstständige Vertretung im Kabinett zu unterstreichen, zumal das Mittelvolumen für Entwicklungshilfe bereits dasjenige bestehender Ministerien überstieg. Die Existenz eines eigenen Ressorts sollte den Willen der Bundesrepublik Deutschland zur praktischen Entwicklungshilfe manifestieren, das Image der deutschen Maßnahmen verbessern und die Kontakte zu den Entwicklungsländern konzentriert in geordnete Bahnen lenken.20 Der BundestagDeutscher Bundestag kann also mit Recht die Entwicklungspolitik als sein ureigenes Kind betrachten. Von Anfang an sah das Parlament in der Entwicklungspolitik eine Sache sui generis.21
Zur Gründung des BMZ trug bei, dass sich die Landkarte auf dem Nachbarkontinent Afrika beträchtlich änderte, viele Entwicklungsländer waren erstmals als solche präsent, viele standen kurz vor der Unabhängigkeit.
Im Vorfeld der Gründung des BMZ war 1959 – auf Initiative von Dr. Gerhard Fritz – die Deutsche Stiftung für EntwicklungsländerDeutsche Stiftung für Entwicklungsländer (DSE)22 in BerlinTegel errichtet worden, die die Aufgabe hatte, die Beziehungen der Bundesrepublik zu den Entwicklungsländern auf der Grundlage gegenseitigen Erfahrungsaustausches zu pflegen, insbesondere durch Tagungen, Seminare, Exkursionen und die Vorbereitung von Fachkräften für eine Tätigkeit in Entwicklungsländern. Die DSE war eine Art Vorhut des späteren Entwicklungsministeriums.
Bei der Bundestagswahl vom 15. September 1961 verlor die Union die absolute Mehrheit. In den Koalitionsverhandlungen mit der FDP Mitte November 1961 fiel die Entscheidung, ein eigenes Fachressort für Entwicklungshilfe bzw. politik zu gründen. Noch kurz davor, am 10. November 1961, hatten Außenminister Heinrich von Brentanovon Brentano, Heinrich und Wirtschaftsminister Ludwig ErhardErhard, Ludwig mit ihren Spitzenbeamten versucht, mit einer gemeinsamen Kabinettvorlage zu „Fragen der Zusammenarbeit und Organisation der Entwicklungshilfe“ dies zu verhindern, mit der Argumentation, dass das Ausschusssystem СКАЧАТЬ