Deutsche Sprachgeschichte. Stefan Hartmann
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Название: Deutsche Sprachgeschichte

Автор: Stefan Hartmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783846348239

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СКАЧАТЬ Zahn tooth tand zahm tame tam (er)zählen tell (ver)tellen zehren (früher auch: ‚reißen‘, vgl. mhd. zerzern ‚zerreißen‘) tear ‚(zer)reißen‘ teren ‚zehren‘ Zinn tin tin Zuber tub tobbe Zwirn twine twijn

      Tab. 2: Beispiele für Kognaten mit /ts/ im Deutschen und /t/ in anderen westgermanischen Sprachen.

      Anhand dieser und weiterer Wörter lässt sich eine relativ klare Lautentsprechung nachweisen: Dem /ts/ im Deutschen entspricht im Englischen und Niederländischen – und auch in anderen westgermanischen Sprachen – der stimmlose Plosiv /t/. Historisch ist dies, wie wir in Kap. 4.1.1 sehen werden, auf die 2. Lautverschiebung zurückzuführen, die das Deutsche von allen anderen germanischen Sprachen trennt. Um Wandelphänomene wie die 2. Lautverschiebung entdecken zu können, bedarf es jedoch zunächst des Sprachvergleichs – genauer: der komparativen Methode.

      Schritt 3: Den Proto-Laut rekonstruieren

      Woher weiß man jedoch, dass bei den in Tab. 2 genannten Beispielen /ts/ der jüngere Laut ist und /t/ der ältere? Hierfür gibt es verschiedene Indizien. Erstens finden zahlreiche Lautwandelprozesse sprachübergreifend in eine bestimmte Richtung statt (Direktionalitätsprinzip): So gibt es viele Sprachen, in denen ein Wandel von /k/ zu /f/ belegt ist, während dieser Wandel in der umgekehrten Richtung praktisch nicht vorkommt (vgl. Campbell 2013: 113).

      Zweitens gilt das Mehrheitsprinzip: Wenn keine anderen Indizien dagegen sprechen, wird jener Laut als Proto-Laut angenommen, der in meisten Tochtersprachen der zu rekonstruierenden Proto-Sprache auftritt (vgl. Campbell 2013: 114). So werden wir in Kap. 4.1.1 sehen, dass sich das Deutsche durch die sog. 2. Lautverschiebung von allen anderen germanischen Sprachen unterscheidet. Das zeigt sich auch in Tab. 2, denn das Englische und Niederländische haben hier wie die überwältigende Mehrheit der westgermanischen Sprachen /t/, wo das Deutsche /ts/ hat: isländisch tíu, Afrikaans tien, norwegisch und dänisch ti, schwedisch tio, färöisch tíggju – deutsch zehn. Das lässt darauf schließen, dass /t/ der ältere Laut ist.

      Drittens gilt es, die gemeinsamen phonologischen Eigenschaften der unterschiedlichen Laute in den Tochtersprachen einzubeziehen. So diskutiert Campbell (2013: 116) ein Beispiel aus den romanischen Sprachen. Hier entspricht spanisch und portugiesisch /b/ im Französischen /v/ und im Italienischen /p/. Alle drei Laute teilen das Merkmal [+labial]. /b/ und /p/ teilen darüber hinaus das Merkmal [+plosiv], während /b/ und /v/ das Merkmal [+stimmhaft] gemeinsam haben. Nach dem Mehrheitsprinzip könnte man nun annehmen, dass */b/ als Proto-Laut zu rekonstruieren sei, doch spricht das Direktionalitätsprinzip dagegen, da sich stimmlose Plosive häufig zu stimmhaften Plosiven wandeln und Plosive zwischen Vokalen häufig zu Frikativen werden. Daher ist es plausibel anzunehmen, dass */p/ der gesuchte Proto-Laut ist, der in einigen der Tochtersprachen den häufig beschrittenen Wandelpfad p > b > v gegangen ist. Im Zweifelsfall kann es mithin sinnvoll sein, dem Direktionalitätsprinzip – unter Einbezug der geteilten phonologischen Merkmale der jeweiligen Laute – den Vorzug vor dem Mehrheitsprinzip zu geben.

      Schritt 4: Status der Lautentsprechungen bestimmen

      Bislang mag der Eindruck entstanden sein, dass einem Laut in der Protosprache immer genau ein Set an Korrespondenzen entspreche, etwa dem Proto-Laut */p/ die Korrespondenz /b/ – /p/ – /v/ im Spanischen, Portugiesischen, Französischen und Italienischen. Das ist aber keineswegs immer der Fall, wie folgendes Beispiel aus den germ. Sprachen zeigt: Das stimmhafte /d/ in Bruder und das stimmlose /t/ in Vater gehen auf den gleichen Proto-Laut zurück; die rekonstruierten ie. Formen lauten *bhrāter- bzw. *pətḗr (vgl. Pfeifer 1993). Die Formen haben sich im Deutschen durch Lautwandel auseinanderentwickelt. Synchron haben wir es daher mit zwei verschiedenen, sich jedoch teilweise überlappenden Korrespondenzenbündeln zu tun:

dt. /t/ nl. /d/ engl. /ð/
Vater vader father
dt. /d/ nl. /d/ engl. /ð/
Bruder broeder brother

      Tab. 3: Beispiel für zwei verschiedene, einander überlappende Sets an Lautkorrespondenzen.

      Die Lautkorrespondenzen in Tab. 3 ließen sich natürlich noch um weitere Sprachen ergänzen. Doch schon in dieser kleinen Auswahl an Sprachen wird deutlich, dass die Faustregel „ein Laut in Sprache A entspricht einem Laut in Sprache B“ keineswegs immer aufgeht. Bei solchen einander überlappenden Korrespondenzenbündeln muss daher in jedem Einzelfall entschieden werden, ob es sich um zwei verschiedene Korrespondenzmuster handelt oder ob sich die beiden Korrespondenzmuster auf einen Proto-Laut zurückführen lassen – was im Falle der Vater/Bruder-Kognaten sehr wahrscheinlich ist.

      Schritt 5: Plausibilität des rekonstruierten Lauts überprüfen

      Abschließend gilt es, die Plausibilität des rekonstruierten Lauts im Kontext des gesamten bisher rekonstruierten Phoneminventars vor dem Hintergrund typologischer Erwartungen zu überprüfen (vgl. Campbell 2013: 124–128) – in anderen Worten: zu überprüfen, wie plausibel die Annahme ist, dass a) eine Sprache das rekonstruierte Phoneminventar aufweist und dass b) in einer Sprache, die dieses Phoneminventar hat, genau dieser Laut auftaucht.

      Gehen wir zunächst auf a) näher ein. In den Sprachen der Welt sind bestimmte Phoneminventare deutlich verbreiteter als andere, während einige hypothetisch denkbare Konfigurationen gar nicht auftreten. Zum Beispiel ist keine Sprache bekannt, in der es gar keine Vokale gibt. Ein rekonstruiertes Phoneminventar ganz ohne Vokale wäre folgerichtig eher unplausibel.

      Weiterhin gibt es eine Reihe sprachlicher Universalien. Unter Sprachuniversalien versteht man Aussagen, die für alle (oder zumindest tendenziell für alle) Sprachen gelten. Wie „universal“ die in der Forschung angenommenen Universalien sind, ist hochumstritten, zumal nur ein Teil der auf der Welt gesprochenen Sprachen dokumentiert ist, von den bereits ausgestorbenen Sprachen ganz zu schweigen. Evans & Levinson (2009) sehen die Existenz von Sprachuniversalien daher als „Mythos“, wobei sie sich jedoch nur auf Aussagen beziehen, die ausnahmslos für alle Sprachen gelten sollen. Dass es statistische Tendenzen gibt, erkennen sie jedoch ausdrücklich an. Auf genau solche Tendenzen bezieht sich Kriterium b).

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