Название: Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie
Автор: Ingo Pies
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783846345757
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Die zeitgenössische Literatur über Marktversagen rezipierend, trägt Williamson mehrere Überlegungen zusammen, die letztlich dahingehend zusammengefasst werden können, dass Marktverträge stets unvollständige Verträge sind, |174|weil es entweder unmöglich ist oder aber prohibitiv teuer wäre, alle Eventualitäten vorauszusehen und ex ante so zu regeln, dass die Vereinbarung justitiabel ist, d.h. im Ernstfall vor Gericht Bestand hat. Dieser mangelnde Vertragsschutz aufgrund vertraglicher Unvollständigkeiten mache sich vor allem dort bemerkbar, wo die Interessen der Vertragspartner im Zeitablauf stark divergieren (können). In solchen Situationen erweise sich dann eine firmeninterne Abwicklung als überlegen. Abstrakt zusammengefasst: Der marktliche Vertrag und die firmeninterne Hierarchie werden als funktionale Äquivalente zur Herstellung von Anreizkompatibilität aufgefasst, die in unterschiedlichen Situationen zu unterschiedlichen Kosten führen, so dass Effizienzüberlegungen mal für die eine und mal für die andere Alternative sprechen. Je größer der Bedarf für Verhaltensanpassungen im Zeitablauf, desto größer, so Williamson, der Vorteil der Firmenhierarchie als Governance-Struktur: „Perhaps the most distinctive advantage of the firm … is the wider variety and greater sensitivity of control instruments that are available for enforcing intrafirm in comparison with interfirm activities“[274].
4. Die Aufbauphase
In seinem Buch von 1975 legt Williamson einen ausgearbeiteten Ansatz vor, mit dem das Problem vertikaler Integration systematisch analysiert werden kann. Die Kernidee besteht darin, durch Kopplung jeweils einer Akteurseigenschaft und einer Umwelteigenschaft auf ein Problem marktlicher Verträge hinzuweisen, das möglicherweise firmenintern vergleichsweise besser gelöst werden kann (Abb. 2).
Die Akteurseigenschaft beschränkter Rationalität in Kombination mit der Umwelteigenschaft einer besonders unsicheren Zukunft lässt langfristige Verträge ungeeignet erscheinen, um entsprechende Transaktionen abzuwickeln. Je stärker diese beiden Faktoren ausgeprägt sind, um so mehr klafft die Schere auseinander zwischen dem Erfordernis auf der einen Seite, bereits bei Vertragsabschluss für mögliche Überraschungen Vorsorge zu treffen, und dem Vermögen auf der anderen Seite, zukünftige Ereignisse und ihre Konsequenzen bereits heute vorauszusehen. Je mehr aber diese Schere auseinanderklafft, desto attraktiver wird die organisatorische Alternative einer firmeninternen Transaktionsabwicklung, denn innerhalb einer Firma ist es möglich, Entscheidungen sequentiell zu treffen und folglich Probleme dann zu lösen, wenn und wann sie auftreten. Man muss nicht für alle prinzipiell möglichen Probleme Vorkehrungen treffen, sondern kann sich auf die tatsächlich anfallenden Probleme konzentrieren. Williamson (1975; S. 25, H.i.O.): „[A]daptive, sequential decision processes economize greatly on bounded rationality.“ Hinzu kommt, dass eine firmeninterne Organisation Unsicherheit reduzieren kann und dann eine verlässlichere Erwartungsbildung erlaubt. Firmeninterne Kommunikation kann eigene Codes ausbilden, die den Informationsaustausch erleichtern. Des weiteren können firmeninterne Regeln dafür sorgen, dass Abteilungen innerhalb einer Firma ihr Verhalten besser aufeinander einstellen können als zwei Produktionsabteilungen, die in unterschiedlichen Firmen angesiedelt sind. Auch dies trägt zur Reduktion von Unsicherheit |175|bei und erhöht damit ceteris paribus die relative Effizienz firmeninterner Transaktionsabwicklung.
Vier Hauptfaktoren vertraglicher Transaktionsprobleme auf Märkten
‚Opportunismus‘ bedeutet, dass Menschen sich nicht automatisch an Regeln halten und dass sie versucht sein können, einen individuellen Vorteil durch Lügen und Betrügen, durch arglistige Täuschung und falsche Versprechen anzustreben. ‚Abhängigkeit‘ bedeutet, dass man auf wenige – im Extremfall: auf einen einzigen – Transaktionspartner angewiesen ist, so dass Wettbewerb als Disziplinierungsinstrument nicht greifen kann. Die Akteurseigenschaft ‚Opportunismus‘ in Kombination mit der Umwelteigenschaft ‚Abhängigkeit‘ lässt eine Serie kurzfristiger Verträge als ungeeignet erscheinen, um eine entsprechende Transaktionsbeziehung institutionell einzurahmen: Je stärker diese beiden Faktoren ausgeprägt sind, um so größer ist die Gefahr, dass Interessenkonflikte auftreten, die die Transaktionsabwicklung teuer machen. In dieser Hinsicht weist die firmeninterne Hierarchie Vorteile auf, denn sie kann Vorkehrungen gegen opportunistisches Verhalten treffen und damit indirekt das Problem der Abhängigkeit entschärfen. Williamson weist auf drei Vorteile hin: Erstens könne firmenintern mittels Anreizen für eine größere Interessenkonvergenz gesorgt werden. Während unterschiedliche Firmen jeweils an ihrem eigenen Gewinn interessiert seien, so dass ein prinzipieller Interessenkonflikt zwischen Vertragspartnern vorliege, könne die Entlohnung innerhalb einer Firma so ausgerichtet werden, dass zwischen den Transaktionspartnern ein gemeinsames Interesse am Firmenerfolg im Vordergrund stehe. Zweitens sei die Verhaltenskontrolle innerhalb einer Firma leichter zu gewährleisten als eine Verhaltenskontrolle zwischen Firmen. Und drittens sei für den Fall eines aufbrechenden Interessenkonflikts eine firmeninterne Schlichtung mittels hierarchischer Entscheidung sehr viel leichter und weniger aufwändig als eine (gerichtliche) Schlichtung zwischen marktlichen Vertragspartnern.
Neben diesen vier Faktoren – beschränkte Rationalität und Unsicherheit, Opportunismus und Abhängigkeit –, die jeweils in Zweierkombination ein Problem für marktliche Verträge konstituieren, diskutiert Williamson zwei weitere Faktoren, die es vorteilhaft werden lassen, eine Transaktion firmenintern abzuwickeln. Als fünften Faktor führt er das Problem asymmetrischer Informationen an, das vor allem in Verbindung mit opportunistischem Verhalten zu hohen Transaktionskosten führen kann. Da Anreize firmenintern so konfiguriert werden können, dass zum einen opportunistische Verhaltensweisen entmutigt und zum anderen Informationsgewinnung und Informationsübermittlung gefördert |176|werden, gebe es Fälle, so Williamson, in denen vertikale Integration als Lösung für Probleme asymmetrischer Information interpretiert werden kann.
Die Transaktions-‚Atmosphäre‘ ist für Williamson der sechste Faktor, der eine Effizienzüberlegenheit der Firma gegenüber marktlichen Verträgen begründen kann. Hier kommen Emotionen ins Spiel: Während marktliche Verträge oft zwischen anonymen Transaktionspartnern abgewickelt werden und sich diese Abwicklung zumeist an rein monetären Gesichtspunkten orientiert, biete eine organisationsinterne Abwicklung vielfach die Möglichkeit, auch nicht-monetären Aspekten Rechnung zu tragen und z.B. Praktiken moralischer Reziprozität zu fördern – oder spiegelbildlich solche Praktiken zu unterbinden, die als moralisch bedenklich eingestuft werden.[275]
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Williamson Faktoren zu identifizieren versucht, von deren Zusammenspiel Transaktionsprobleme ausgehen, die institutionelle Lösungen erforderlich machen, so dass die Governance-Struktur der Firma unter bestimmten Bedingungen als vorteilhaft gegenüber marktlichen Verträgen ausgewiesen werden kann, was ihre Existenz und ihre Größe, insbesondere ihr Größenwachstum durch vertikale Integration, zu erklären vermag.
5. Die Konsolidierungsphase
In seinem Buch von 1985 reduziert Williamson die vormals sechs Erklärungsfaktoren auf im wesentlichen drei. An den Akteurseigenschaften beschränkter Rationalität und opportunistischen Verhaltens hält er unverändert fest. Konzeptionelle Umstellungen betreffen lediglich die anderen Bestandteile seines Erklärungsansatzes: Die Umwelteigenschaft ‚Unsicherheit‘ wird – analog zum ökonomischen Begriff der Knappheit – als universelle Hintergrundannahme ausgewiesen.[276] Die Erklärungsgröße ‚Abhängigkeit‘ wird durch СКАЧАТЬ