Название: Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie
Автор: Ingo Pies
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783846345757
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|165|Entgegen solchen eher oberflächlichen Bestimmungen wird hier versucht, die Theorieleistung von Ronald Coase auf einer anderen, fundamentaleren Ebene zu verorten und einen – von der einschlägigen Literatur bislang weitgehend unbemerkt gebliebenen – Ansatz zu identifizieren, der nicht nur den zwei oder drei unbestritten wichtigen Aufsätzen (sowie den Ergänzungsstudien), sondern mindestens noch einem vierten Aufsatz zugrunde liegt. Es handelt sich um einen konstruktivistischen – und als konstruktivistisch ausdrücklich ausgewiesenen – Ansatz, d.h. um einen Ansatz, der sich darum bemüht, das ökonomische Denken mit geeigneten Denkkategorien zu versorgen. Besonders anregend hierbei ist, dass Coase die für ihn offenkundigen Defizite ökonomischer Theorie nicht dadurch zu heilen versucht, dass er die nötigen Korrekturen durch einen Rekurs auf externe Instanzen – vulgo: ‚Interdisziplinarität‘ – in die Disziplin hinein trägt, sondern dadurch, dass er gerade umgekehrt die nötigen Korrekturen aus der Ökonomik heraus entwickelt.
Gerade das Nebeneinanderstellen der insgesamt vier als grundlegend rekonstruierten Coase-Aufsätze erlaubt es, den konstruktivistischen Ansatz vergleichend nachzuvollziehen: Es dürfte deutlich geworden sein, dass Coase seinen Einwand gegen die methodologischen Empfehlungen Friedmans als eine interne Kritik vorbringt und dass gerade hierin eine – für ein Verständnis seines konstruktivistischen Ansatzes aufschlussreiche – Analogie liegt zu seinen Einwänden gegen die wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Wohlfahrtsökonomik: In beiden Fällen erfolgt eine völlige Dekonstruktion der Gegenposition, die durch eine interne Kritik eingeleitet wird und in der Vorstellung einer institutionenökonomischen Position ihren Abschluss findet, stets nach dem Motto: „Modern institutional economics is economics as it ought to be.“[265] Es ist diese Perspektive und die konstruktivistische Einführung dieser Perspektive, von der wir noch heute lernen können, isnbesondere dort, wo es auf eine den (Politik-)Problemen angemessene Wahrnehmung relevanter Alternativen ankommt.
8. Nachtrag 2016
Viele berühmte Ökonomen bleiben arbeitsame und sogar produktive Wissenschaftler bis ins hohe Alter hinein. Aber auch in dieser Hinsicht treibt Ronald Coase es auf die Spitze, als er – gemeinsam mit dem Ko-Autor Ning Wang – im März 2012 im biblischen Alter von 101 Jahren ein aufsehenerregendes und ausgesprochen lesenswertes Buch über Chinas Reformprozess publiziert.[266]
Die Hauptthese des Buches besteht darin, dass Chinas Wandel zur Marktwirtschaft – entgegen zahlreicher Darstellungen – nicht auf eine Top-Down-Strategie der Kommunistischen Partei zurückzuführen ist, sondern stattdessen auf vier „marginalistische Revolutionen“, mit denen der Privatsektor von fesselnden Regulierungen befreit wurde. Diese Revolutionen betrafen den Agrarsektor, die Kommunalunternehmen, das Entstehen privater Unternehmen und schließlich die Einführung von experimentierfreudigen Sonderwirtschaftszonen. Die Pointe |166|dieses historischen Narrativs besteht darin, dass es nicht die strategische Weitsicht einer starken kommunistischen Führung war, die China ein welthistorisch einmaliges Wirtschaftswunder beschert hat, sondern vielmehr der politische Entschluss, entgegen der kommunistischen Ideologie schrittweise Rechtssicherheit und wirtschaftlichen Freiraum zu gewähren. Chinas Erfolg wird hier als ein Deregulierungs-Erfolg gedeutet, in den die Führung mehr oder weniger hineingestolpert ist, sobald sie damit anfing, partiell auf marktlichen Leistungswettbewerb zu setzen.
Im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit (insbesondere die Innovationsfähigkeit) Chinas bemängeln Coase und Wang, dass es dort bislang nicht gelungen sei, einen freien Markt für Ideen einzurichten. Sie sehen hierin die größte Hypothek für die Weiterentwicklung des Landes.
Abschließend hinzuweisen ist auf die autobiographische Auskunft des Nobelpreisträgers Ronald Coase[267], auf seine im gleichen Jahr veröffentlichte Aufsatzsammlung[268], auf den für 2016 angekündigten Kommentarband „The Elgar Companion to Ronald H. Coase“[269] sowie auf einen kurzen Aufsatz[270], der nachzeichnet, welche politischen Ansichten Coase vertreten hat.
Literatur
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Coase, Ronald H. (1972, 1988): Industrial Organization: A Proposal for Research, in: ders., The Firm, the Market, and the Law, Chicago–London, S. 57–74.
Coase, Ronald H. (1974, 1988): The Lighthouse in Economics, in: ders., The Firm, the Market, and the Law, Chicago–London, S. 187–213.
|167|Coase, Ronald H. (1982): How Should Economists Choose?, hrsg. vom American Enterprise Institute for Public Policy Research, Washington–London.
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Coase, Ronald H. (1988a): The Firm, the Market, and the Law, Chicago–London.
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Coase, Ronald H. (1991, 1993): 1991 Nobel Lecture: The Institutional Structure of Production, in: Oliver E. Williamson und Sidney G. Winter (Hrsg.), The Nature of the Firm. Origins, Evolution, and Development, New York–Oxford, S. 227–235.
Coase, Ronald H. (1994): Essays on Economics and Economists, Chicago.
Coase, Ronald und Ning Wang (2012): How China Became Capitalist, Basingstoke und New York.
Coase, Ronald und Ning Wang (2012, 2013): Chinas Kapitalismus: СКАЧАТЬ