Название: Theorie und Therapie der Neurosen
Автор: Viktor E. Frankl
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783846304570
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Zuerst wurde der Fall verhaltenstherapeutisch angegangen, aber auch nach 2 Monaten stellte sich kein Erfolg ein. „I decided to attempt Frankl’s paradoxical intention“, heißt es dann weiter. „I informed the patient that he wasn’t going to be able to change his premature ejaculation, and that he should, therefore, only attempt to satisfy himself.“ Als Ehrentraut dem Patienten dann noch empfahl, den Koitus so kurz wie nur möglich dauern zu lassen, wirkte sich die paradoxe Intention so aus, daß die Dauer des Koitus auf das Vierfache verlängert werden konnte. Zu einem Rückfall kam es seither nicht.
Ein anderer kalifornischer Sexualberater, Claude Farris, überließ mir einen Bericht, aus dem hervorgeht, daß die paradoxe Intention auch in Fällen von Vaginismus anwendbar ist.
Für die Patientin, die in einem katholischen Kloster erzogen wurde, war die Sexualität ein strenges Tabu. In Behandlung kam sie wegen heftiger Schmerzen während des Koitus. Farris wies sie nun an, die Genitalgegend nicht zu entspannen, sondern die Scheidenmuskulatur möglichst zu innervieren, so daß es ihrem Mann unmöglich wird, in die Scheide einzudringen. Eine Woche später erschienen die beiden abermals, um zu berichten, daß der Koitus das erste Mal in ihrem Eheleben schmerzfrei gewesen war. Rezidiv war keines zu verzeichnen. Das Bemerkenswerte an diesem Bericht ist aber der Einfall, die paradoxe Intention einzuschalten, um Entspannung zustande zu bringen.
In diesem Zusammenhang soll auch ein Experiment von David L. Norris, einem kalifornischen Forscher, erwähnt werden, in dessen Rahmen die Versuchsperson Steve angewiesen wurde, sich möglichst zu entspannen, was sie auch versuchte, aber ohne Erfolg, da Steve zu aktiv auf dieses Ziel lossteuerte. Norris konnte das sehr genau beobachten, da die Versuchsperson in einen Elektromyographen eingespannt war, der ständig auf 50 Mikro-Ampere ausschlug. Bis Steve von Norris erfuhr, daß er es in seinem ganzen Leben nicht dazu bringen werde, sich wirklich zu entspannen. Da platzte Steve heraus: „Soll die Entspannung der Teufel holen. Ich pfeif auf Entspannung.“ Und da schnellte auch schon der Zeiger des Elektromyographen auf 10 Mikro-Ampere hinunter. „With such speed“, berichtet Norris, „that I thought the unit had become disconnected. For the succeeding sessions Steve was successful because he was not trying to relax.“
Etwas Analoges gilt auch von den diversen Methoden, um nicht zu sagen Sekten, der Meditation, die heute nicht weniger „in“ ist als die Entspannung. So schreibt mir eine amerikanische Psychologieprofessorin: „I was recently trained in doing Transcendental Meditation but I gave up after a few weeks because I feel I meditate spontaneously on my own, but when I start meditation formally I actually stop meditating.“
Neurosenlehre und Psychotherapie
... tu laborem et maerorem consideras, ut ponas ea in manibus tuis.
Grundriß der Neurosenlehre
I Neurosenlehre als Problem
Zur Definition und Klassifikation neurotischer Erkrankungen
Den Ausdruck „Neurose“ hat Cullen geprägt (1777). Es würde aber irreführen, wollte man sich, was eine Definition der Neurose anlangt, auf die Definition von Cullen verlassen. Denn seither hat dieser Begriff, wie Quandt und Fervers hervorheben, einen Bedeutungswandel durchgemacht. Und man könnte sagen, daß sich die verschiedenen Bedeutungen mit der Zeit übereinanderkopiert haben. So ist es zu verstehen, daß sowohl Bumke als auch Kurt Schneider überhaupt für die Abschaffung des Ausdrucks „Neurose“ eingetreten sind. Auch Kloos wäre bereit, dafür zu plädieren, hält er doch den Begriff für nur allzu verschwommen und im übrigen auch ganz und gar entbehrlich; doch fügt er selber hinzu, daß sich der Ausdruck anscheinend als unausrottbar erweist.
Im allgemeinen zeigt sich, daß es im einschlägigen Schrifttum zwei Tendenzen gibt, was die Grenzziehung des Neurosenbegriffs anlangt: eine inflationistische und eine deflationistische. Was letztere betrifft, ist ihr markantester Vertreter Werner Villinger, der sich gegen eine Überdehnung des Begriffs, also gegen eine Ausweitung seines Umfangs, ausspricht. Auf der anderen Seite stünde ein Autor wie Rümke, der die Grenzen so weit zieht, daß er die Neurose überhaupt nicht für eine Krankheit, für keine nosologische Einheit hält, sondern für ein Syndrom, also eine bloß symptomatologische Einheit.
Wir selbst möchten nun eine Mittelstellung zwischen diesen beiden extremen Standpunkten einnehmen, und zwar insofern, als wir zwischen einer Neurose im eigentlichen, engeren Wortsinn einerseits und andererseits einer Neurose im weiteren Sinne unterscheiden. Wir können also von der eigentlichen Neurose Pseudoneurosen abgrenzen, womit nicht gesagt ist, daß wir die Vorsilbe „Pseudo“ auch aussprechen müssen – wir können sie ohne weiteres auch auslassen.
Zumindest im Sinne einer Arbeitshypothese, also in einem mehr oder minder heuristischen Sinne, schlagen wir nun vor, auszugehen von der Definition, daß wir als neurotisch jede Krankheit zu bezeichnen berechtigt sind, die psychogen ist.
Abb. 4
Sobald wir nun diese Ausgangsposition einnehmen, ergibt sich zwanglos ein Schema möglichen Krankseins des Menschen. Als nosologische Einteilungsprinzipien gebrauchen wir hierbei
1. die Symptomatologie oder Phänomenologie und
2. die Ätiologie der betreffenden Krankheit;
das heißt, wir teilen die Krankheiten ein je nach dem, was für (krankhafte) Erscheinungen, eben was für Symptome oder Phänomene sie erzeugen, und andererseits danach, wie sie entstanden sind: je nachdem unterscheiden wir phänopsychische bzw. phänosomatische und somatogene bzw. psychogene Erkrankungen (Abb. 4).
Zuerst begegnen wir dann der Psychose als einer Erkrankung, die psychische Erscheinungen macht (phänopsychisch), dabei aber somatischen Ursachen ihre Entstehung verdankt (somatogen). Damit ist natürlich nicht gesagt, daß man die supponierten somatischen Ursachen der Psychosen wissenschaftlich auch schon erforscht hat. (Wenn man so will, könnte man daher von den Psychosen als von kryptosomatischen Erkrankungen sprechen.) Im Gegenteil, Kurt Schneider bezeichnet es nachgerade als den Skandal der Psychiatrie, daß die Morbi der endogenen Psychosen bis heute unbekannt sind. Mit der Feststellung von Somatogenese ist selbstverständlich auch nicht gesagt, daß eine somato-gene Erkrankung nicht psycho-therapeutisch angehbar sei (siehe Seite 78).
Im vorstehenden haben wir Grenzen gezogen, und wo es Grenzen gibt, dort gibt es auch Grenzfälle. Nur muß man sich davor hüten, der Versuchung zu unterliegen, anhand von Grenzfällen etwas zu beweisen oder zu widerlegen, denn mit Hilfe von Grenzfällen läßt sich alles beweisen und alles widerlegen – und das heißt: nichts beweisen und nichts widerlegen. Mit Recht hat Jürg Zutt einmal darauf hingewiesen, daß es auch Lebewesen gibt, von denen man nicht ohne weiteres sagen kann, ob sie zu den Tieren oder den Pflanzen gehören; trotzdem wird niemandem einfallen, aus diesem Grunde zu bestreiten, daß es zwischen Tier und Pflanze einen Wesensunterschied gibt. Heyer bringt ähnliches zum Ausdruck, wenn er darauf hinweist, daß aus dem Vorkommen von Hermaphroditen niemand das Recht ableiten wird, den wesentlichen Unterschied zwischen Mann und Weib zu verleugnen.
Es soll auch keineswegs bestritten werden, daß das Psychische und das Somatische (also nicht nur das Psychogene und das Somatogene) am Menschen eine innige Einheit eingehen – die psychosomatische Einheitlichkeit des Wesens Mensch. Man darf aber darüber nicht übersehen, daß Einheit nicht СКАЧАТЬ