Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 17. Monika Waldis
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СКАЧАТЬ her Lehrerinnen und Lehrer sind. Lehrerin und Lehrer wird oder sollte nur werden, wer von der besonderen Nützlichkeit ihres oder seines Tuns überzeugt ist (was beispielsweise nicht unbedingt für Versicherungsagenten oder Vermarkter von Fußballrechten gilt). Im Laufe der Berufsjahre wird der Nützlichkeitsgedanke gewiss Teil eines eigenen Berufsethos. Wenn daher (ehemalige) Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer geschichtsdidaktische Forschung betreiben, wird diese oft mit einer Coda geschlossen, einmal recht drastisch: Ein Befund sei »erschreckend«, »Besorgnis erregend«, »desillusionierend«, ein andermal eher dezent, nämlich dass die einen dieses oder jenes weniger tun als erwartet, dass Denken oder Handeln in die eine oder andere Richtung weiterzuentwickeln sei, dass Ergebnisse der Forschung in die Sicherung der Unterrichtsqualität einfließen möchten.

      Man kann das auch komplizierter zur Kenntnis geben:

      »Das geschichtsdidaktisch profilierte Modell der Problemorientierung scheitert nicht an der Unterrichtspraxis, sondern wegen der Übersetzung in leere Bekenntnissprechakte, die durch den Erfüllungswunsch einer didaktischen Mode sinnlogisch motiviert sind.« (Mehr, 2016, 173)

      Das klingt nun etwas geschraubt, zudem, was im Übereifer schnell passiert, tautologisch und widersprüchlich, denn Bekenntnisse sind immer Sprechakte und können nicht leer sein (sonst wären sie keine – gemeint sind wohl schlicht »Lippenbekenntnisse«), und Wünsche streben per definitionem nach Erfüllung; ob außerdem Moden »logisch« motiviert sein können, möchte man bezweifeln (denn sind sie nicht gerade flatterhaft bzw. unberechenbar?). Aber der hierbei korrekt zum Ausdruck gebrachte Punkt ist, dass in einer anwendungsorientierten, involvierten, »eingreifenden« (Pierre Bourdieu) Wissenschaft Einschätzungen und Evaluationen der Resultate durchaus zulässig sind. Denn sie fordern auf, über das Gute und Nützliche an der Forschung nachzudenken.

      Das Nützlichkeitsparadigma ist in einer steuerfinanzierten Forschung, die sich noch dazu auf einen Anwendungsbereich bezieht, der ebenso weitgehend steuerfinanziert ist – die Bildung –, nicht ganz irrelevant. Ich bin der Meinung, sowohl die theoretische Ausrichtung des jeweiligen Fachs als auch die Lehr-Lern-Forschung in den Fachdidaktiken, mindestens den geisteswissenschaftlichen, unter das Dach der Kompetenzorientierung zu bringen, war seinerzeit und ist heute immer noch ein Programm der Nützlichwerdung. Ganz besonders galt das ab dem Augenblick, als auch die universitäre Lehre bei Studierenden Kompetenzen innerhalb von gezimmerten »Qualifikationsrahmen« fördern sollte, womit die Universität einige große Schritte von der Bildungs- zur Ausbildungsanstalt getan hat. Kompetenzorientierung und empirische Forschung passen deswegen gut zueinander, weil sich beide gegenseitig ihrer Hilfe bei der Entindividualisierung jener versichern können, zu deren Bestem die Forschung vorangetrieben wird. Probanden können, es wurde schon gesagt, instrumentell zu Merkmalsträgern verkürzt werden, auf die eingewirkt werden kann.

      Der Erfolg dieses Einwirkens ist dann der letzte Nutzen der Forschung. Nicht ganz zufällig war in der unmittelbaren Nach-PISA-Zeit die Einladung der Allgemeinen Didaktik oder der Erziehungswissenschaften, die auf bisher ungekannte Art die Nähe zu den Fachdidaktiken suchten, obwohl sie doch ohne Zweifel die Avantgarde der empirischen Methodologie darstellten, mit dem geraunten Argument verbunden, so könnten die Fachdidaktiken endlich einmal ihre Brauchbarkeit unter Beweis stellen. Gleichzeitig wurden die Erziehungswissenschaften hart darauf gestoßen, dass sie mit ihrem ausgefeilten Instrumentarium (sofern sie sich freilich überhaupt dem Lehren und Lernen in der Schule zuwandten) generell etwas untersuchten, was es gar nicht gibt, nämlich »Unterricht«, denn spätestens ab der fünften Jahrgangsstufe gibt es nur noch Fachunterricht. Die damals erträumte Symbiose zwischen Erziehungswissenschaft und Fachdidaktiken hat sich, wie mir scheint, nur zum Teil realisieren lassen. Aber wir können aufgrund der nunmehr plausibel gewordenen disziplinären Aufgabenteilung (Bertram, 2016, 64) auch nicht mehr vor das Jahr 2000 zurück. Das lässt die pädagogische Forschung schon deswegen nicht zu, weil ihr dann auf ihrem ureigenen Feld nicht mehr viel zu tun bliebe: Die Daten dort sind ja alle erhoben, über ihre Deutung gibt es kaum Kontroversen, jede weitere große Feldstudie, ob durch OECD, Paritätischen Gesamtverband, Bertelsmann-Stiftung, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, kommt zu den immer selben Ergebnissen: Soziale bzw. vertikale Mobilität an deutschen Schulen gibt es kaum, Chancengleichheit für Kinder aus »bildungsfernen Elternhäusern« – was für ein monströses Wort – lässt auf sich warten. Als Errungenschaften des sozialen Aufstiegs dienen deutsche Schulen heute weniger denn je. Jugendliche aus benachteiligten Milieus liegen in ihren Lesefähigkeiten bis zu zwei Jahre hinter jenen aus privilegierten Milieus zurück. Nur noch 24 Prozent aller Heranwachsenden haben einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern, Tendenz fallend, gerade auch im Vergleich etwa zu Finnland mit 56, Frankreich mit 45, Polen mit 44 Prozent (Vitzthum, 2014). Gleichzeitig bleibt die Vorurteilsverhaftung der Lehrkräfte hartnäckig: Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wird regelmäßig weniger zugetraut als solchen ohne.

      Jedoch dies alles interessiert uns in der Geschichtsdidaktik nur ganz am Rande. Denn der Grund, auf dem wir stehen, ist das Fach, und aus berufsethischen Gründen müssen wir an die Lehrbarkeit der Sache unter quasi allen (schwierigen) Umständen glauben. Und zwar, weil wir in ihr, der Sache, den Nutzen von Bildung erkennen, nicht an Modellen von Unterricht, Problemlösungsschemata, Kommunikationsstrategien und auch nicht an Instrumentenentwicklung oder Methodologie.

      Ich finde, die Geschichtsdidaktik hat längst den Beweis geführt, dass sie qualitative, hermeneutische ebenso wie quantifizierende Designs bzw. Erhebungs- und Auswertungsverfahren zum Nutzen der jeweils anderen – der Erziehungswissenschaften, der Pädagogischen Psychologie, der Soziologie – zu handhaben versteht. Auch deswegen kann sie sich nun wieder mehr ihrer eigenen Sache zuwenden. Was es mit dieser Sache von Narrativität und Konstruktivität der Geschichte auf sich hat, kann und will ich an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal erörtern. Aber einsichtig sollte sein, dass diese Sache werthaltig ist, und sie heißt natürlich: Sinnbildung über Zeiterfahrung. Merkwürdig, wie selten diese zentrale Bestimmung oder Zielmarkierung in Texten auftaucht, in denen das Design, der Zweck oder die Relevanz von geschichtsdidaktischen empirischen Studien erläutert werden, schon gar nicht in Titeln und Überschriften.

      Dabei könnte der Rückverweis auf Sinnbildung eine erste Annäherung an den ja noch nicht formulierten dritten Schritt »zur Theorie zurück« sein. Denn dieses Zurück soll ja ganz und gar nicht heißen, dass wir zu einem Ausgangspunkt wiederkehren, sondern zu einer Idee, die durch weitere Theoriebildung und anschließende Empirie verändert wurde. Vielleicht kann man es sich so wie beim bildenden Lernen vorstellen: Im Gegensatz zum reaktiven Lernen, etwa in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, verändert das bildende Lernen nämlich nicht nur den Lernenden, sondern genauso seinen Lerngegenstand im Augenblick der lernenden Aneignung. Eine historische Erzählung, die ich gelernt habe, ist danach nicht mehr dieselbe wie zuvor, nicht für mich, nicht für die anderen Lernenden, auch nicht für den Geschichtenerzähler. Nach erfolgter empirischer Prüfung dessen, was die anderen – meist jüngeren – können, vermögen, wollen, vorschlagen, einbringen, ablehnen, belächeln, könnten wir also, uns auf die gut eingeführten Typologien verlassend, diskutieren, welchen Weg wir möglichst gemeinsam einschlagen wollen: Was und wie viel von dem, was die Alten vor uns eingerichtet haben, wollen wir traditional anerkennen, übernehmen, fortführen; woran aus der Vergangenheit nehmen wir uns in einer Gegenwart, die sich von jener meist fundamental unterscheidet, trotzdem ein Beispiel; wovon können wir uns absetzen, um es anders, möglichst besser zu machen; und wo gestehen wir uns ein, dass Geschichte in uns genetisch wirkt und wir noch viel reflexiver werden müssen, um unser Denken und darauf das Handeln zu emanzipieren? Unter diesem Dach vereinen sich eine philosophisch fundierte und empirisch erprobte historische Bildung.

      Denn Theorieentwicklung nach erfolgter Empirie ist nicht reaktiv, sondern bildend. Sie reagiert nicht auf die Befunde, sondern entwirft sich selbst in einem neuen Licht der »Evidenz«, die nichts anderes ist als der Vorschlag, eine Sache, ein Problem so zu verstehen, wie man es für den Augenblick, im besten Wissen und Bewusstsein, nur vermag. Theorie in der Geschichtsdidaktik ist damit wertebildend. Werte beginnen dort, wo man seiner eigenen ideologischen Verhaftung gewahr wird. Deswegen soll der empirischen Forschung in allen Fachdidaktiken СКАЧАТЬ