Geistlicher und sexueller Machtmissbrauch in der katholischen Kirche. Klaus Kießling
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Название: Geistlicher und sexueller Machtmissbrauch in der katholischen Kirche

Автор: Klaus Kießling

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783429065294

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СКАЧАТЬ auf erschreckende Weise gleichen und Betroffene oft von beidem berichten. Emotionaler Missbrauch, auf den Katharina Kluitmann8 abhebt, ist hier wie dort gegeben. Loyalitäten, gemeinsames, womöglich elitäres Sendungsbewusstsein und Opferbereitschaft9 schweißen zusammen. Ihr Übriges tun mit emotionalem Missbrauch einhergehende Scham- und Schuldgefühle – gehegt unter dem Eindruck des Opfers, nicht zu genügen.

      Auch die systemischen Bedingungen geistlichen Missbrauchs gleichen denen sexueller Gewalt: Geschlossene Systeme bilden etwa religiöse Gemeinschaften,10 wenn sie ihren Mitgliedern lediglich interne Begleitung anbieten und bei geistlichem Missbrauch unweigerlich Mitläufer*innen generieren, die vielleicht etwas merkten oder hätten merken müssen, sich damit aber an niemanden wenden können. Hier vermischen sich forum internum und forum externum – wenngleich vom Kirchenrecht unterschieden.11 Ein Beichtvater darf kirchenrechtlich außerhalb der Beichte nicht auf in der Beichte gewonnenes Wissen zurückgreifen, auch nicht gegenüber der beichtenden Person – aber was, wenn es in geschlossenen Systemen trotzdem geschieht?

      Geistlichen Missbrauch als Verletzung spiritueller Selbstbestimmung zu fassen, verweist erneut auf das Verständnis von sexuellem Missbrauch: »Erst auf der Grundlage des Menschenrechts auf sexuelle Selbstbestimmung wird unmissverständlich deutlich, worin die besondere moralische Verwerflichkeit sexuellen Missbrauchs besteht.«12 Und die kirchliche Situation bleibt alarmierend: »Nach derzeitigem Kenntnisstand erlauben die vorhandenen empirischen Daten die Schlussfolgerung, dass die sexuellen Missbrauchsvorwürfe gegen katholische Priester von 2009 bis 2015 nicht rückläufig sind und die Quote angezeigter Priester im Vergleich zur männlichen Allgemeinbevölkerung etwa gleich hoch ist. Die Vorstellung, dass die besonderen moralischen Anforderungen an den Priesterberuf mit einer niedrigeren Quote an Strafanzeigen wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern verbunden sind, lässt sich mit den vorhandenen empirischen Daten nicht bestätigen.«13

      Wenn ich mich etwa bei einem Unfall verletze, schlägt er dort eine Wunde, wo ich mir zuvor heil vorkam. Für geistlichen Missbrauch führt dieser Vergleich jedoch insofern in die Irre, als eine Verletzung spiritueller Selbstbestimmung meist nicht jene ereilt, die sich zuvor als spirituell selbstbestimmt und insofern gesund erlebten. Zumindest im Nachhinein erschließt sich Betroffenen oft eine unheilvolle Vorgeschichte, die an spirituelle Selbstbestimmung noch nie hatte denken lassen. Und auch die ebenso schlichte wie treffende Umschreibung von geistlichem Missbrauch als Verwechslung zweier Stimmen und Verstoß gegen die mosaischen Gebote bedarf der Einbettung in ein Beziehungsgeschehen, das von emotionalem Missbrauch geprägt ist, ohne dass dieser für geistlichen Missbrauch spezifisch wäre. Die vielfach geforderte theologische Aufarbeitung von Missbrauch hat mit den genannten und weiteren Kolleg*innen an Fahrt gewonnen, und sie muss weitergehen. Aber sie kann nur weitergehen, wenn sie sich auch für Erkenntnisse öffnet, die andere Disziplinen bereithalten.

      Als Menschen sind wir ein Leben lang auf andere Menschen angewiesen, auf deren Liebe, auf deren Anerkennung. Mit dieser Einsicht verbinden sich sowohl unsere beglückendsten als auch unsere schmerzlichsten Erfahrungen. Mancher Versuch, diese Abhängigkeit zumindest abzumildern, geht dahin, aus möglichst machtvoller Position heraus Liebe und Anerkennung zu gewinnen, zu erzwingen oder zu erkaufen.

      Sozialpsychologisch versteht sich Macht oder power als asymmetrische Relation zwischen Machthaber und Beherrschten, also als Vermögen einer Instanz (Person, Gruppe, Institution), nach eigenen Vorstellungen auf andere Einfluss auszuüben – mit dem Ziel, deren Verhalten und Erleben zu kontrollieren und womöglich auch gegen Widerstände zu verändern.14

      Ein Machtmotiv ist ein zeitlich stabiles und über verschiedene Situationen konsistentes Bedürfnis, machtbezogene Ziele anzustreben und Situationen aufzusuchen, die dies ermöglichen. Unterscheiden lassen sich sozialisierte Machtmotive, die dank gegebener Inhibitionstendenz zu gebremstem, eingehegtem, sozial verträglichem Machthandeln führen, und sogenannte personalisierte Machtmotive, aus denen ungehemmtes und darum sozial wenig verträgliches Machthandeln resultiert.15

      Unterscheiden lassen sich auch verschiedene Ressourcen, Machtquellen, Machtmittel:

      die Sanktionsmacht, die einer Zielperson die Belohnung oder die Bestrafung ihres Verhaltens in Aussicht stellt, sofern die Einfluss nehmende Person dieses kontrollieren kann, etwa in geschlossenen Systemen;

      die informationale Macht derer, die überzeugende Argumente vorbringen, aber auch entscheiden, welche Informationen fließen;

      die Expert*innenmacht, die der spezifischen Sachkenntnis (Expertise) einer Person zugeschrieben wird;

      die Vorbildmacht der Einfluss nehmenden Instanz, mit der sich eine Zielperson identifiziert, weil sie deren Eigenschaften für bewundernswert und deren Verhaltensweisen für nachahmenswürdig hält;

      eine legitime Macht, die sich durch formale Sozialstrukturen rechtfertigt, in denen Leitungspersonen als Autoritäten gelten 16

      Autorität kommt einer Person in einer Machtposition zu – dank eigener Kompetenz, dank überkommenen Ansehens, dank eigener Machtmittel.17

      Aus Machtbeziehungen Liebe und Anerkennung zu schöpfen, mag schon darum eine Weile gutgehen, weil zu ihren Charakteristika deren Verleugnung gehört, und zwar auf beiden Seiten: Denn machtvolles Auftreten verliert schließlich seine Kraft, wenn seine Legitimität infrage gestellt wird, und umgekehrt wirkt die Einsicht, des eigenen Einflusses beraubt und also ohnmächtig zu sein, kränkend.

      Aber je mehr ich aus Machtbeziehungen Liebe und Anerkennung schöpfe, meine Machtmotive auslebe, meine Machtmittel einsetze und meine Autorität gegenüber anderen zur Geltung bringe, desto weniger Eigengewicht messe ich diesen ja von mir selbst domestizierten und depotenzierten anderen bei, desto weniger Eigengewicht auch der mir durch sie zuteilwerdenden Liebe und Anerkennung. Ich mag in solchen Beziehungen der Mächtigere bleiben, aber meine Strategie geht nicht auf. Ein Teufelskreis setzt ein, indem ich auf noch mehr Macht setze und mich die fortwährende Mangelerfahrung in sogenannte narzisstische Wut versetzt. So entwickelt diese psychosoziale Dynamik ihren suchtartigen Charakter. Zugleich erinnert diese Entwicklung an die griechische Mythologie: Der schöne Jüngling Narziss verschmäht die Liebe der Nymphe Echo und anderer Nymphen, auch die des Bewerbers Ameinias. Von Nemesis, der Göttin der Vergeltung, wird er deshalb mit unstillbarer Selbstliebe bestraft: Beim Trinken beugt er sich über eine Quelle und verliebt sich in sein eigenes Spiegelbild. An dieser Liebe leidet Narziss und verzehrt sich. Er stirbt an der Liebe zu sich selbst. In der Unterwelt spiegelt er sich noch in den Wassern des Styx, bis er schließlich in die nach ihm benannte Blume verwandelt wird.18

      Narzissmus als psychologisches Konstrukt äußert sich typischerweise in Selbstüberschätzung, Überempfindlichkeit gegen Kritik, Suche nach Bewunderung und dominantem Interaktionsverhalten. Zwar wirken narzisstisch motivierte Personen bei ersten Begegnungen oft attraktiv, langfristig aber egozentrisch und selbstverliebt.19

      Damit geht oft ein Empathiemangel einher 20 Haben narzisstisch geprägte Persönlichkeiten von ihren Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen keine Empathie erfahren, sondern Gleichgültigkeit und Kälte? Hartnäckig hält sich die populäre Annahme eines unbewusst geringen Selbstwertgefühls, das durch prahlerisch inszenierte Grandiosität kompensiert werden will. Wer sich selbst und für sich selbst insgeheim nur schwarz sieht, greift nach der strahlend weißen Weste, um dafür Anerkennung zu finden und um alles Schwarze zugedeckt zu halten. Diese Konstellation kommt vor, aktuelle empirische Belege weisen jedoch in eine andere Richtung:21 Sie legen nahe, dass Eltern ihre Kinder im Übermaß gelobt und nie kritikfähig gemacht haben, sodass zwar ihr Verhalten auffällig erscheint, weil es keine Frustrationstoleranz erkennen lässt, nicht СКАЧАТЬ