Spielen! Was sonst?. Erny Hildebrand
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Название: Spielen! Was sonst?

Автор: Erny Hildebrand

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783960088073

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СКАЧАТЬ Eine andere Welt

      Letztens in der Straßenbahn hörte ich zufällig ein Gespräch zweier Jugendlicher mit. Sie tauschten sich voller Begeisterung über die neusten Internetspiele aus. Je mehr sie darüber sprachen, desto weniger verstand ich etwas. Es war eine total fremde Welt, die sich da vor mir auftat. Ausdrücke wie World-of-Warcraft, Second-Life, Lebensenergie, Katakis, Takatis …“

      Ich bat die Jugendlichen, mir zu erklären, wie das mit den Onlinespielen sei. Sie schauten mich entgeistert an und hatten schon eine abweisende Antwort auf den Lippen. Also setzte ich noch einmal nach und erklärte: „Ich würde wirklich gern etwas darüber erfahren. Meine Enkel finden das so cool, aber ich verstehe absolut nichts davon.“

      Vielleicht hat meine Unwissenheit sie gerührt oder mein weißes Haar sie so besänftigt, dass sie begannen, mir die Welt der Online Spiele zu eröffnen. Der Lange mit der Undercut-Frisur holte weit aus: „Zum einen gibt es Browser-basierte Onlinespiele, die entweder auf reinem HTML-Code basieren oder zusätzliche Browser-Plug-Ins, zum Beispiel Flash oder Java, benötigen.“ Der Kurze fiel ihm ins Wort: „Und dann gibt es die Clientbasierten Multiplayer-Onlinespiele. Diese setzen die Installation einer Client-Software voraus. Die Client-Software verbindet sich dann entweder mit anderen Clients oder sie stellt eine Verbindung zu einem Spielserver her.“ Sie schauten mich erwartungsvoll und um Verständnis heischend an. Ich schüttelte den Kopf, um den Wortschwall der mir fremden Begriffe abzuschütteln. „Tut mir leid, ich habe nichts verstanden!“ Sie schauten sich an. Der Lange zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Der Kurze blickte mir ins Gesicht und da er meinen echten Wunsch darin las, die Sache zu verstehen, raffte er sich noch einmal zu einem Erklärungsansatz auf. „Wissen Sie, es gibt z. B. Ego-Shooter Spiele, bei denen man früher zumeist allein gegen Feinde kämpfte und sie möglichst alle vernichten musste. Man hatte die unterschiedlichsten Waffen zur Verfügung: Pistolen, Pumpguns, Raketenwerfer mit unterschiedlicher Munition, Feuerrate und Streuung.“ Ich spürte, wie Erinnerungen an den Krieg in mir aufsteigen, doch der Junge holte tief Luft und fuhr begeistert fort: „Heutzutage gibt es aber den Mehrspieler-Modus, bei dem sich mehrere Spieler über das Internet oder über ein Netzwerk zusammenfinden, um sich in Gruppenkämpfen oder Mannschaftsspielen miteinander zu messen. Manchmal sind weltweit über 3,5 Millionen gleichzeitig angemeldete Spieler im Netz, nicht nur im Ego-Shooter, sondern auch mit Kriegsspielen, Counter-Strikes und MMOGs und in den social network games.“ Ich winkte verzweifelt ab und stoppte die Informationsflut. „Ich glaube, das ist mir doch zu fremd, um es zu verstehen!“ Nach einer kurzen Pause stellte ich fast verschämt die Frage: „Trefft ihr euch denn noch mit Freunden? Fahrt ihr noch Fahrrad? Spielt ihr noch Schach oder Malefiz?“ „Ja, gelegentlich, wenn wir noch Zeit dazu haben“, war seine Antwort. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Jede Zeit gebiert die ihr eigenen Spiele.

       Suzanne Augenstein

       Dr. Suzanne Augenstein, 1957 geboren in Sao Paulo. Studium in München und Berlin, Promotion in Essen. Wissenschaftliche Arbeit und wissenschaftliche Veröffentlichungen, Tätigkeiten im Bereich Marketing und PR, Bildung und Ausbildung sowie als Yogalehrerin. Seit 2015 Gesellschafterin und Poolsprecherin im Familienunternehmen.

       Ich wäre dann mal der Majoratsherr

      Jeder spielt eine Rolle in seiner Familie. Meine verändert sich gerade gewaltig. Ich stamme aus einer Unternehmerfamilie. Bei uns spielen die einzelnen Mitglieder festgelegte Rollen nach einem unsichtbaren Drehbuch. Die Rollen erlernt man nicht dadurch, dass man auf sie vorbereitet wird. Man erlernt sie eher durch Aussagen wie: „Das spielt doch keine Rolle!“ oder „Spiel dich nicht so auf!“. Der Spielaufbau an sich ähnelt dem in den mittlerweile bedeutungslos gewordenen und verarmten Adelsfamilien: Es gibt einen Familienbesitz, der über Generationen und möglichst bis in alle Ewigkeit zusammengehalten wird, wobei die alles entscheidende Frage lautet, wer diesen Besitz letztlich bekommt und zu welchen Bedingungen.

      Seit ich denken kann, ist meine Familie besessen von der Bedeutsamkeit der männlichen Erbfolge, die bei uns in Form des „Majoratsherrn“ seit mindestens 150 Jahren Gestalt angenommen hat. Denn so lange zurück reicht die mündliche Erzählung. Als mir zum ersten Mal die alles entscheidende Rolle des Majoratsherrn ganz und gar bewusst wurde, versagte mein Schließmuskel bei einem plötzlichen Durchfall. Ich hatte entdeckt, dass man unter Majorat das Ältestenrecht versteht. Demnach ist zur Erbfolge allein der nächste männliche Verwandte und bei gleichem Verwandtschaftsgrad der Älteste zur Erbschaft berufen. Der Erbe zahlt den jüngeren Söhnen und den Töchtern des Erblassers allenfalls einen geringen Unterhalt.

      Nun wusste ich Bescheid. Das erklärte viel. Zum Beispiel, warum ich als erstgeborenes Kind nie der Majoratsherr sein konnte, denn ich bin eine Frau und im Grunde nebensächlich. Mein Großvater machte das allen Beteiligten von Anfang an unmissverständlich klar. Völlig außer sich zertrümmerte er das Geschirr meiner Großmutter an der Küchenwand, als ihn aus Brasilien die Nachricht von meiner Geburt erreichte. Dort lebten zu dieser Zeit meine Eltern. Im Ausland. Um das Geld zu verdienen, das sie damals nicht hatten. Das nach der Idee meines Großvaters den Grundstein legen sollte für ein Unternehmen, das zukünftige Erbe, für das ein Stammhalter gebraucht wurde. Und nun das. Der Erstgeborene – ein Mädchen. Ich. Womöglich das erste und letzte Kind. Nicht nur ich war eine Enttäuschung, sondern auch dass mein Vater als der zweitgeborene und nicht sein älterer Bruder zuerst für Nachwuchs gesorgt hatte. Denn mein Onkel, der eigentliche Majoratsherr, entzog sich dieser Aufgabe dauerhaft und verbrachte ein kinderloses Leben, so weit wie möglich weg von den Erwartungen seiner Vorfahren.

      „Muss ich meine Enkel selber machen?“ wütete mein Großvater und entwertete damit alle Mitglieder unserer kleinen Familie. In der Folge stand meine Mutter unter enormem Druck zu beweisen, dass sie zu mehr imstande war. In rascher Folge wurde sie wieder schwanger, erfüllte ihre Aufgabe und brachte nach einer Fehlgeburt meine beiden Brüder und damit die Grundlage für die zukünftige Dynastie zur Welt.

      Es gab damals zwar noch gar nichts zu vererben, aber es gab die Idee für ein Erbe in Form des Unternehmens, das gegründet worden war, als meine Eltern mit mir wieder zurück in Deutschland waren. Ich war damals zwei Jahre alt. Und alle in der Familie schafften für das Geschäft, so nannten wir das Unternehmen, das in den Anfängen steckte. Mein Vater, meine Mutter, meine Oma, meine Tanten, mein Großvater – alle schafften im Geschäft. Mein Vater außer Haus, meine Mutter in der Küche, wo sie abends Ketten fertigte in Handarbeit, wenn wir Kinder früh im Bett waren. Weitgehend allein gelassen mit mir und eingebunden in ein Gespinst aus Verhältnissen, die ich nicht durchschaute, verbrachte ich meine Kindheit in dieser Atmosphäre, die vom ständigen Schaffen für etwas geprägt war.

       Die Goldene Hochzeit meines Ururgroßvaters

      Die Energie meines Großvaters als Gründervater des Unternehmens war allgegenwärtig. Seine körperliche Kraft war ebenso legendär wie seine Trinkfestigkeit. Im Kampf um den ersten Platz als stärkster Mann im Dorf hatte er dem Schmied ein Ohrläppchen abgebissen. Und immer wieder ging er siegreich aus Auseinandersetzungen hervor, wenn ihm etwa mal wieder wegen Trunkenheit sein Führerschein abgenommen werden sollte. In solchen Fällen behauptete er sich gegenüber der Polizei mit Aussagen wie: „Euer Gehalt wird von mir bezahlt!“. Geschichten darüber begleiteten meine Kindheit, in deren Kern es darum ging, dass mein Großvater das Gesetz war.

       Mein Ururgroßvater

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