Название: Auf dem Weg in ein neues Leben
Автор: Thomas Löffler
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957444851
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„Wir brauchen das Instrument aber!“, stöhnte Frau Kannegießer.
„Das glaube ich Ihnen“, antwortete Uwe, nun etwas ruhiger. „Das Reinigen ist noch das kleinere Übel. Sie werden keinen Klavierbauer finden, der den Kasten repariert.“ Mit diesen Worten wies der junge Klavierstimmer auf die von Motten zerfressenen Hämmerchen. „Zur Not kann ich das Klavier stimmen, das ist aber auch alles.“
Frau Kannegießer atmete erleichtert auf. „Das ist erst mal die Hauptsache.“ Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.
Undank ist der Helden Lohn, dachte Uwe und öffnete den Werkzeugkoffer.
„Ist Herr Jäger schon eingetroffen?“, fragte Herr Engelmann Frau Kannegießer, die etwas angesäuert den Raum betrat.
„Ja.“
Wo ist er jetzt?“
„Im Musikzimmer. Er regt sich wegen des Klaviers auf.“
„Mit Recht“, meinte Herr Engelmann. Der hochgewachsene, etwas schlaksig wirkende Mann saß auf einer Tischkante und spielte mit einem Kugelschreiber. „Ich wollte wegen etwas anderem mit Ihnen reden.“
„Wegen der Westdeutschen?“
Herr Engelmann nickte bestätigend. Er rutschte von der Tischkante und lief im Raum auf und ab. „Ein Herr ... Herr ...“ Der Mann ging zu einem kleinen Schreibtisch und wühlte in einem Schubfach. Endlich fand er das Gesuchte. Auf einem dicht beschriebenen Blatt Papier las er den Namen ab. „Ein Herr Steinert aus Oberlensbach gibt uns morgen die Ehre.“
„Hängt das mit der Zieling zusammen?“
„Vermutlich. Ich wurde nur gebeten, Herrn Jäger wegen eines oder zwei der Klaviere zu bestellen.“
„Was hat Herr Steinert damit zu tun?“, fragte Frau Kannegießer.
„Soviel ich weiß, ist er ein ehemaliger Lehrer von Herrn Jäger.“
„Und was hat die Westdeutsche damit zu tun?“
„Das weiß ich ebenso wenig wie Sie. Ich soll nur den Klavierstimmer nach Berlin holen. Irgendwie hängt die Frau mit drin.“
„Übernachtet er wieder im Gästehaus?“, fragte Frau Kannegießer.
„Er schläft doch jedes Mal dort, wenn es nötig ist. Ich schau mal nach ihm.“ Eiligen Schrittes verließ Herr Engelmann den Raum. Zwei Türen weiter betrat er leise das Musikzimmer.
Inmitten von herausgenommenen Tasten saß Uwe, mit einem Lappen Taste für Taste säubernd, auf dem Fußboden. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er den Gemeindehelfer erst wahrnahm, als dieser neben ihm stand.
Erstaunt blickte dieser auf das Durcheinander von Tasten, alten Lappen und neu aussehenden Filzscheiben. „Sie geben sich aber viel Mühe mit diesem Schrotthaufen.“
„Ich gebe mein Bestes“, knurrte Uwe. „Morgen werde ich Schnupfen haben.“
„Sind Sie Allergiker?“
„Leider. Deswegen nehme ich eigentlich keine Reinigungen mehr an.“
„Das hätten Sie uns sagen müssen.“
Uwe lachte: „Ich werde es überstehen.“
Herr Engelmann hockte sich neben dem Klavierstimmer auf den Boden. Nach einer Weile fragte er zögernd: „Kennen Sie einen Herrn Steinert?“
Vor Schreck ließ Uwe eine Taste fallen. „Er war mein Klassenlehrer.“
„Er kommt morgen Vormittag.“
„Ist deswegen Ihr Auftrag so dringend?“
„Nicht nur. Wir brauchen vor allem das Klavier im Gemeinderaum.“
Der Schrotthaufen hier ist dann wohl Beschäftigungstherapie, dachte Uwe. „Was möchte Herr Steinert von mir?“, fragte er.
„Das weiß ich selbst nicht.“
Uwe beschloss, die Frage vorerst auf sich beruhen zu lassen. Er nahm den Lappen, putzte die restlichen Tasten und setzte sie in die Klaviatur ein. „Ich möchte die Reinigung heute noch schaffen, sodass ich morgen für den Gemeindesaal Zeit habe.“
Nach einer Weile überließ Herr Engelmann den Techniker sich selbst und verließ den Raum.
Die geplante Ankunft Steinerts hatte Uwe aus dem Konzept gebracht. Das alles fand er sehr sonderbar. Aus welchem Grund interessierte sich sein ehemaliger Schullehrer zwei Jahre nach Abschluss der Berufsausbildung für ihn? Das letzte Mal hatte er ihn getroffen, um Meikes ersten Brief abzuholen. Meike? Sollte das Ganze doch mit ihr zusammenhängen? In ihren letzten Briefen hatte nichts darüber gestanden. Ruhelos lief Uwe durch den Raum. Konnte es sein, dass sie hier war? Bestimmt nicht. Sie hatte ein Einreiseverbot. Doch galt dies auch für Berlin? Hatte vielleicht das ewige Warten bald ein Ende?
Später, in seinem Gästezimmer, wollte der Schlaf nicht kommen. Lange wälzte sich Uwe in seinem Bett hin und her. Sicher machte er sich umsonst Hoffnung. Dass Herr Steinert in Berlin war, brauchte nicht zwangsläufig mit Meike zusammenzuhängen. Uwe stand auf und holte etwas aus seiner Tasche. Es war ein kleines Abzeichen, auf dem Schwerter zu Flugscharen abgebildet waren. Aus der Erinnerung heraus hörte er die Stimme seiner Freundin: „Ich möchte, dass du ein Andenken von mir hast. Schwerter zu Pflugscharen, das Symbol der Friedensbewegung. Es wird uns verbinden, bis wir uns wiedersehen.“
Uwe hielt das Abzeichen in der Hand. Seine Gedanken gingen, wie so oft, in die Vergangenheit zurück. Er sah sich mit seiner Schulfreundin an den verschiedensten Orten in der Blindenanstalt. Das Mädchen war sein Ruhepol, seine Zuflucht gewesen. Beide hatten Mobbing und Brutalität überstanden, nur um aufgrund der politischen Umstände auseinandergerissen zu werden. Meike sehnte sich nach einer Welt ohne Waffen und hatte in der Friedensbewegung für ihre Idee gekämpft. Zuletzt hatte es für sie nur die Flucht in den Westen gegeben. Uwe erschrak. Wie würde es sein, wenn er und Meike sich gegenüberstanden? Hatte ihre Liebe der zeitlichen und räumlichen Entfernung standgehalten? Würden sie sich wiedererkennen? Würden ihre unterschiedlichen Lebensgeschichten sie einander entfremden? War es nur eine Jugendliebe gewesen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war? Den jungen Mann überfiel auf einmal große Angst. Schließlich gab er sich einen Ruck. Uwe wollte nicht mehr nur der Brieffreund namens Peter sein.
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