Название: Auf dem Weg in ein neues Leben
Автор: Thomas Löffler
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957444851
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„Ich komme auf alle Fälle vorbei.“
„Es geht um 20:00 Uhr los. Halt den Kopf oben.“
Lange noch hielt Meike den Hörer in der Hand. Vier Monate waren es noch bis Juli. Wie würde sie Uwe gegenübertreten, falls sie sich trafen? War er noch der, den sie so liebte? Meike erschrak. War ihr Jugendfreund aus dem Internat in Oberlensbach überhaupt noch allein? Wartete er auf sie, so wie sie auf ihn wartete? Sie gab die Hoffnung nicht auf. Damit traf sie bei ihren Altersgenossen, vor allem bei Männern, die sich für sie interessierten, auf Unverständnis. Wie konnte sie auf einen Ostdeutschen, vielleicht sogar einen Kommunisten, warten? Der jungen Frau taten diese Vorurteile weh. Dennoch hielt sie an der Hoffnung fest, Uwe wiederzusehen, vielleicht sogar irgendwann ihr Leben mit ihm zu teilen. Zurück in die DDR konnte sie nicht. Im Westen angekommen hatte Meike ihre Mitarbeit in der Friedensbewegung fortgesetzt. Daher galt für sie bis auf Weiteres das Einreiseverbot. Oft kamen ihr Zweifel an der Richtigkeit des von ihr eingeschlagenen Weges. Meike war gegen die Aufrüstung in Ost und West. Deshalb hatte sie sich zum Ende der Berufsausbildung in Oberlensbach der ostdeutschen Friedensbewegung angeschlossen. Aufgrund eines Verrats war die Gruppe aufgeflogen und Meike war durch ihre Flucht in den Westen der Verhaftung entgangen. Sie hatte dabei die Trennung von Uwe in Kauf genommen. Seit dieser Zeit fühlte sich die junge Frau ihrem Freund gegenüber schuldig. Seinetwegen wies sie Männer ab und zog sich immer mehr zurück. Die neue Arbeitsstelle gab ihr die nötige Zuversicht. Nach anfänglichen Vorurteilen der Kollegen gegen sie als Ostdeutsche fühlte sich Meike inzwischen vom Team angenommen. Endlich legte sie den Hörer auf und fing an, sich für das Büro fertigzumachen.
„Wir müssen alles genau planen“, sagte Hans Timmroth am gleichen Abend zu seinen jugendlichen Gästen. Diese saßen in seinem kleinen Wohnzimmer auf Kissen und Matratzen. „In den VW-Bus der Kirchgemeinde passen mit Fahrer neun Mann. Somit könnten wir die ganze Gruppe unterbringen.“
Eine junge Frau von zwanzig Jahren meldete sich zu Wort. „Darf Meike mitfahren?“
„Ich gehe davon aus. Ihr Einreiseverbot bezieht sich nicht auf Tagesfahrten nach Ostberlin. Ich treffe mich bald mit dem Leiter der ostdeutschen Gruppe, um ein gemeinsames Programm aufzustellen.“
Günther, der stets im Hintergrund blieb, fragte vorsichtig: „Bleiben wir die ganze Woche drüben?“
Verneinend schüttelte Hans den Kopf. „Wir müssen jeden Abend zurück und fahren morgens wieder nach Ostberlin.“
Meike beschlich eine leise Trauer. Sie beherrschte sich und blieb still.
„Wenn ihr Vorschläge zum Programm habt, könnt ihr sie selbstverständlich anbringen. Ich bin für alles offen.“ Hans beendete den offiziellen Teil des Treffens.
Langsam löste sich die Gruppe auf. Meike nahm den weißen Langstock vom Haken und schickte sich an, die Wohnung zu verlassen.
An der Tür wurde sie von Hans zurückgehalten. „Hast du noch etwas Zeit?“
Meike zögerte: „Ich muss morgen zeitig aufstehen.“
Ohne darauf einzugehen, sagte ihr Gegenüber: „Ich fahre am Wochenende nach Ostberlin.“
Meike versuchte sich zu beherrschen. Zunächst hatte diese Ankündigung für sie keine Bedeutung. Hans fuhr oft in den Osten.
Nach langem Schweigen räusperte sich ihr Gesprächspartner. „Ich könnte dich mitnehmen.“
Das Mädchen hüllte sich weiter in Schweigen. Sollten die langen Jahre des Wartens bald ein Ende haben?
Hans ahnte, was in Meike vorging. Noch war die Katze nicht aus dem Sack. Vorsichtig fuhr er fort: „Ich habe in der Katharinengemeinde zu tun.“
Langsam richtete sich Meike auf. „Ist das nicht unsere Partnergemeinde?“
„Genau. Ende der Woche hat dort ein gewisser Klavierstimmer namens Jäger einen Termin.“
Endlich hielt es Meike nicht mehr auf ihrem Platz. Aufgeregt fragte sie: „Meinst du Uwe Jäger?“
Der Angesprochene schwieg.
„Nun sag doch was! Ist es Uwe?“
Kapitel 6
Nägel kauend saß Uwe vor dem Fernseher. An diesem Nachmittag lief die Handlung scheinbar ohne Spannung an ihm vorbei. Der Grund für seine Aufregung war ein dringender Auftrag eines Mitarbeiters der Katharinengemeinde in Berlin. Sein Name war Engelmann. Warum tat dieser so wichtig? Sicher, die Gemeinde gehörte zu Uwes Stammkunden, galt aber der großen Entfernung wegen zu den schwierigsten. Zögernd stand Uwe vom Fernsehsessel auf, ging zum Schreibtisch in der Ecke und zog den letzten Brief von Meike aus dem Stapel auf der Schreibtischplatte. Langsam glitten seine Finger über die Punkte.
Hallo Peter, gern möchte ich dir ein paar Zeilen schreiben. Viel Aufregendes gibt es nicht zu berichten. In der Firma finden personelle Umstrukturierungen statt. Ich bin zum Glück davon nicht betroffen. Meine Nachbarin hat sich einen Hund zugelegt. Der bellt den ganzen Tag. Magst du Hunde? Ich möchte mir gern einen Blindenführhund anschaffen. Leider ist meine Wohnung zu klein dafür.
Liebe Grüße
Karin
Uwe konnte hinter diesen wenigen Zeilen nichts Geheimnisvolles entdecken. Er las sie ein zweites und ein drittes Mal. Auch der vorletzte Brief enthielt keine versteckten Nachrichten. Also legte er die Briefe wieder weg.
Es war wohl besser, überlegte er, den Auftrag als wichtig einzustufen. Uwe suchte die Karteikarte der Katharinengemeinde aus dem Kasten. Neben den Standardangaben des Kunden hatte er darauf auch einige Informationen notiert, die die Instrumente betrafen. Beim Lesen musste er schmunzeln.
- Gemeindesaal: kalt, ein Piano, Tasten gequollen und rostige Saiten.
- Musikzimmer: ein Piano, Brötchen in der Mechanik, Mäusedreck und Mottenfraß. Dämpferabhebestange zum Pedal gebrochen.
- Frau Lippert: Gussrahmen gerissen.
Dieser Dame musste Uwe endlich klarmachen, dass ihr Instrument auf den Schrott gehörte. Und dann war da noch Herr Heimstätter. Er war der Kantor dieser Gemeinde. Der bildete sich ein, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Uwe mochte diese Art von Kunden nicht.
Er griff sich die Notizen, die er während des letzten Telefonats gemacht hatte. Da stand es klar und deutlich: Die Berliner wollten offenbar seinen Unmut heraufbeschwören. Der Gemeindesaal und das kleine Zimmer nebenan waren wieder mal dran. Uwe rang die Hände. Die Kiste im Musikzimmer bedurfte einer Grundreinigung. Fest stand, dass beide Instrumente an einem Tag nicht zu schaffen waren. Zudem litt Uwe unter einer Hausstauballergie. Aus diesem Grund lehnte er Grundreinigungen meist ab. In Berlin kam er aber wohl nicht drum herum. Mottenfraß bedeutete, dass unter anderem die Filzscheiben unter den Tasten erneuert werden mussten. Die standen auf der Bestellliste und waren noch nicht verfügbar. Uwe atmete auf. Der Kelch ging also noch einmal an ihm vorbei. Ihm blieb der Gemeindesaal. Schlimm genug!
Uwe wollte gerade die Karte in den Karteikasten СКАЧАТЬ