Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810. Harald Rockstuhl
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Читать онлайн книгу Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810 - Harald Rockstuhl страница 6

СКАЧАТЬ gewonnen, alles schwärmte für ihn; sogar die Schullehrer erzählten uns davon. Ich mußte meinem Vater und dem alten Buschmann zuweilen aus der Zeitung vorlesen; über die Lage der Länder und Städte wußte ich schon ziemlich Bescheid.

      Den letzten Winter – 1799 auf 1800 – war ich auch jüngstes Mitglied in einem kleinen Theater geworden und hatte einigemal untergeordnete Rollen zu spielen. Außer mir wirkten noch verschiedene Schüler und vier Mädchen mit, darunter meine älteste Schwester. –

      Im Juni 1800 wurde das neue Haus in Holz aufgerichtet und Friedrich Wenk, unser Nachbar vis-à-vis, hielt die Zimmermannsrede. Er stand neben einem großen Tannenbusch hoch oben und ich kuzte [Thüringer Mundart: kauerte] versteckt hinter ihm und machte den Souffleur.

      In dieser Stunde kamen drei Nassauer Bäckergesellen vor das Haus, um zuzusprechen und ein Geschenk zu holen. Mein Vater brauchte einen Gesellen, war aber nicht gleich zugegen und meine Mutter sagte: „Die zwei Kerle haben abscheuliche Bärte, fragt doch den jungen, schmalen, ob er nicht Lust zu arbeiten hat.“ Es geschah! Und Christian Minor blieb bei uns. Die zwei anderen waren sein Bruder Wilhelm und einer namens Pelzer aus Bergnassau. Christian Minor zeigte sich geschickt und fleißig und war bald wie zum Hause und zur Familie gehörig.

      Anfang September buken wir schon wieder im neuen Hause. Während des Baues hatten wir uns bei Verwandten und Nachbarn beholfen und die Bäckerei so gut im Stand gehalten, wie es ging.

      Die Pfefferkuchenbäckerei nahm nun bald ihren Anfang. Jeden Tag wurde bis spät abends gearbeitet. Wenn meine Schul- und Lernstunden vorüber waren, tat ich ein Vortuch um, ging in die Backstube und half meinem Vater, wo ich nur konnte. Er litt an einem heftigen Husten, war aber robust und stark dabei. So ging der Oktober und November hin. Nun aber kam der Dezember; wir konnten nicht satt Pfefferkuchen schaffen. Mein guter Vater wurde krank und mußte endlich ganz von der Arbeit weg und im Bett bleiben. Zur gleichen Zeit lag meine ältere Schwester am Scharlach darnieder. Meine Mutter fiel fast über ihre Beine vor Müdigkeit und Gram und manche Träne mag zwischen die Pfefferkuchen gefallen sein, die sie den Käufern in die Körbe packte.

      Ich kam nicht mehr viel aus der Backstube. Dr. Steller und Dr. Stolte waren täglich mehrmals im Hause und der Barbier Schnitzer saß am Bett bei meinem Vater und gab ihm die Medizin. Vielmal des Tages ging auch ich zu ihm, gab ihm die Hand und weinte.

      „Bäckt denn der Christian gute Ware?“ fragte er dann wohl leise. „Ja, Vater“, sagte ich. „Nu mach nur hin und arbeite, bis ich wieder gesund bin, da sollst du wieder in die Schule gehn.“

      Aber er wurde nicht mehr gesund. Am Abend vor seinem Tode hatte ich nicht aus der Kammer gewollt und war auf dem Fußboden eingeschlafen; die Gesellen hatten mich schlafend hinauf ins Bett getragen. Als sie mich die Nacht zur Arbeit weckten und ich nach meinem Vater fragte, wollten sie nicht mit der Sprache heraus, wodurch ich merkte, daß er tot sei. Als ich eine Viertelstunde bei meinem toten Vater in der Kammer gewesen war, da mußte ich wieder in die Backstube.

      Den Sonntag vor Weihnachten wurde mein Vater begraben. Es war Glatteis, so daß gestreut werden mußte. Dies Leid ging vorüber wie alles in der Welt und nach und nach heilten die Gemüter.

      Bis Ostern mußte ich noch zur Schule gehen, dann wurde ich der Backstube förmlich einverleibt. Meine Lehrjahre waren hart zu nennen in Beziehung auf die lang anhaltende Arbeit, die oft von zwei bis drei Uhr früh bis sieben bis acht Uhr abends dauert; doch die Einigkeit mit dem Gesellen Christian Minor, der sich unseres Geschäfts auf eine Weise annahm, die ziemlich einzig in der Welt dasteht, erleichterte alles wieder. Wir bekamen den Ruf als erste und feinste Bäckerei in der Stadt und Umgebung und meine Mutter konnte die 800 Taler, welche mein Vater auf Wort und Handschlag von seinem Freund Bertling zum Hausbau bekommen hatte, in wenig Jahren zurückzahlen, was mir große Freude und Lust zur Arbeit machte.

      Da das Geschäft mit der Zeit immer mehr in Schwung kam, so mußte meine Mutter noch zwei Gesellen einstellen, wodurch ich etwas Muße zu meinen Liebhabereien gewann. Ich lernte Zither spielen und sang dazu, trieb Geographie und las gern Reisebeschreibungen – die Lust am Wandern fing schon damals an, sich bei mir festzusetzen.

      Der Bruder von Musje Minor (so wurde nämlich nunmehro unser Obergeselle genannt) arbeitete in Gotha, etwa nach der Erntezeit im Jahr 1802. Wir hatten ihm einen Besuch zugedacht. Um im Geschäft nichts zu versäumen, fingen wir morgens eine Stunde früher zu backen an und waren um acht Uhr marschfertig. Von Fahren war damals keine Rede; das hieß zu großer Luxus, Chausseen gab’s auch noch nicht hier und bei schlechtem Wetter blieben die Fuhrleute manchmal zehn Stunden unterwegs von Langensalza bis Gotha.

      Wir gingen über Henningsleben, Wiegeleben, Hochheim und Goldbach und standen gegen Mittag vor der Stadt. Weil es nun gerade Essenszeit war, wollte Minor nicht gleich seinen Bruder aufsuchen. Wir kehrten drum im Gasthof zum grünen Baum ein und ließen uns Mittagbrot und Bier geben. Ich hatte mir schon ein Tabakspfeifchen angeschafft und obwohl Minor das Rauchen ebensowenig vertragen konnte wie ich, pafften wir, bis das bestellte Essen kam. Nun aßen wir uns recht satt und dachten dann beim Bier noch ein Halbstündchen zu pausieren. Dabei fielen uns die Augen zu; einer nach dem anderen legte den Kopf auf den Tisch. Aber nun! was geschah?

      Minor wacht auf, ist betäubt, rüttelt mich am Kopf, ich fahre in die Höhe, weiß aber in der ersten Sekunde nicht, was vorgeht, wir starren uns an – es brannte Licht in der Stube – die Leute lachten. „Nu, ihr Burschen“, sagte die Wirtsfrau, „guten Morgen auch!“ – Es war sieben Uhr abends.

      „Was sind wir schuldig?“ – „Soundso viel.“

      „Hier liegt das Geld“ – jeder griff zum Stock und wir schoben im Trab den Mohrenberg hinunter. Da es zehn Uhr schlug, waren wir nicht weit vom Lindenbühler Tor. Ungefähr 14 Tage darauf machten wir den Weg nach Gotha noch einmal und da glückte es besser. –

      Um diese Zeit wurde in Langensalza die Seidenweberei stark betrieben; die Fabriken beschäftigten über 300 Seidenwirkergesellen und viel Geld war im Umlauf.

      Im Böhmen [Vergnügungsort bei Langensalza] gab es oft große Schlägereien unter den Handwerksburschen, worunter auch Bürgersöhne waren. Die Folge davon war, daß die ärgsten Kampfhähne, sofern sie Landeskinder waren, Soldat werden mußten; ein ruhiger Bürgersohn wurde nie dazu angefordert. Wenn aber ein Vater aufs Rathaus ging und klagte: „Herr Bürgermeister, mein Sohn ist ein Schlingel, er kommt besoffen nach Hause, hat seine Mutter geprügelt, ja, sogar gestohlen –“

      „Gut, gut“, sagte dann der Bürgermeister, „wie heißt der Sohn und wo ist er zu finden?“ „Da und da.“ – Der Mann ging nach Hause und der Bürgermeister schickte diese Nota dem Militärchef. Oft drei bis vier Stunden darauf kamen zwei starke Unteroffiziere mit derben Stöcken ins Haus, packten den Musje und nahmen ihn mit fort. Er mußte auf dreizehn Jahre zur Fahne schwören und wurde sogleich ins Regiment Prinz Clemens einrangiert.

      Viele Soldaten wurden auch durch Handgeld angeworben; aber die mehresten wurden designiert, das heißt, sie wurden vom Magistrat der Militärbehörde als überflüssige, der bürgerlichen Gesellschaft schädliche Subjekte bezeichnet und dann zum Trommelfell kommandiert. Manchmal bekam einer Wind davon, versteckte sich vorläufig und floh bei Nacht und Nebel über die Grenze. Kam solch ein Ausreißer nach Jahr und Tag zurück und führte sich gut, so war das vergessen.

      Das war eine löbliche Einrichtung. Wie schön wäre es, wenn kein Fürst der Erde die Macht besäße, Menschen mit Gewalt zu seinem Dienst zu pressen, ausgenommen etwa Sträflinge und anerkannte Taugenichtse; durch Handgeld fänden sich dann auch wohl noch Freiwillige. Auf diese Art wären die Armeen nicht so stark, das Morden und Totschießen nicht so groß und die Verluste zum größten Teil für die Menschheit kaum beklagenswert. Jedoch das sind desideria pia! –

      Das СКАЧАТЬ