Название: Mit Amor auf der Walze oder „Meine Handwerksburschenzeit“ 1805–1810
Автор: Harald Rockstuhl
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867775250
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Meiner Mutter Vater (mein Großvater Scholl) war Böttchermeister. Ihm gehörte das Haus unter dem Berge, was jetzt der alte Schützenhaus-Vogelmacher, Wilhelm Bechstedt, zu eigen hat, dessen Ururgroßvater auch der Fuhrmann in der Milchgasse gewesen ist. Meine Mutter und der Pastor Scholl in Ufhoven, die beiden Kinder von Großvater Scholl, stammten aus seiner ersten Ehe. Er starb, als ich sechs Jahre alt war.
Mein Großvater Bechstedt hat noch einen Bruder gehabt; den haben die Preußen im Siebenjährigen Kriege par force zum Soldaten gemacht. Er ist ein äußerst geschickter, lebhafter Bursche gewesen und bald Unteroffizier geworden. Bei einem Scharmützel zeichnete er sich aus und wurde zum Husarenleutnant ernannt. Nach dem Kriege hat er um eine Zivilstelle angehalten, als Obereinnehmer in Halberstadt gelebt, geheiratet und einen Sohn und eine Tochter hinterlassen. Diese Tochter hat den Amtmann Bär geehelicht, welcher sich im Sommer 1800 vom Langensalzer Magistrat Auskunft erbat über die Verwandtschaft seiner Frau. Mein Vater nahm den Brief an sich und beantwortete ihn, worauf die Verwandten ihren Besuch ankündigten.
Daraus wurde indes vorerst nichts; mein Vater starb im Dezember desselben Jahres. Erst im Jahre 1804 kamen die Amtmann Bärs mit ihren zwei kleinen Jungen nach Langensalza und wohnten im Hause am Berge bei Vetter Wiegand – nach meinem Vater der nächste Verwandte, der ein Haus besaß. Sie blieben vierzehn Tage hier, waren vielmal zu Gast bei meiner Mutter und meine erste Ausflucht in die Welt ging zu ihnen, worauf ich später zurückkommen will.
Mein Vater und meine Mutter standen fast in gleichem Alter; beide sind 1753 geboren. Meines Vaters einzige Schwester war die Frau Köhler in der Treisch-mühle.
Meinen Eltern wurden sechs Kinder geschenkt, von denen zwei in jungen Jahren unverehelicht gestorben sind. Die anderen führe ich hier auf:
1 Katharina Sophie, geb. 1785, die jetzige Frau Minor hier.
2 Meine Wenigkeit, geb. 1787, der ich dies schreibe.
3 Eleonora Dorothea, geb. 1791, gest. 1857, verheiratet mit Pastor Köttner in Volkenroda, später Wiegeleben.
4 Johann Heinrich, geb. 1793, gest. 1850 an der Cholera, als Besitzer der Treischmühle.
Er hinterließ fünf Kinder: August, Anton, Heinrich, Eleonora und Lina.
Meine ältere Schwester, Frau Minor, hat keine Kinder. Meine jüngere Schwester, die Pastor Köttner, hatte drei. Davon starb ein Knabe klein und ein Mädchen unverehelicht. Das dritte, Lina, ist die jetzige Madame Klauwell, hinter dem Rathause.
Etwas roh und wild ging es wohl bei uns in den neunziger Jahren zu. Was die Älteren über die französische Revolution und den Krieg lasen, das spielten wir Schuljungen ihnen praktisch vor. Vor den Toren der Stadt, im Felde, schlugen wir aufeinander los, daß das Blut darein lief und warfen uns mit Steinen Löcher in die Köpfe.
Sobald ich zum Sextus, Herrn Ströhler, in die Schule kam, wurde ich angeworben und mußte unter dem Kommando des Generals Heinemann (jetzt noch lebender alter Cafetier) kleine Wagen mit Wurfsteinen beladen, hinter der Front herziehen, was stets Arbeit der Jüngsten war.
Zwei Jahre saß ich bei Herrn Ströhler, dann führte er mich und Andreas Koch, als seine zwei besten Schüler, zum Quintus, Herrn Ratz, hinüber. Auch draußen im Felde war ich befördert worden und als Unteroffizier schon manchmal mit Blutflecken und Beulen nach Hause gekommen. Wieder zwei Jahre saß ich nun in Quinta, bei Herrn Ratz, wo wir schon viel Latein deklinieren und konjugieren mußten; auch wurde fleißig Geographie getrieben, was meine Liebhaberei war. Herr Ratz, an sich ein ganz gescheiter Mann, schlief leider oft während des Unterrichts und wir waren viel zu böse Jungen, als daß wir dies hätten ungenutzt hingehen lassen. Es wurde allerhand Allotria getrieben und von vielen drolligen Geschichten will ich nur eine hier erzählen.
Auf dem Tisch lag die große Karte von Europa und die Neulinge sollten die Namen der Länder lernen. Herr Ratz sagte diese laut vor, indes er mit dem Finger auf das betreffende Land wies.
„Portugal!“ rief er laut. Darauf die Jungen alle: „Portugal!“ Nun rückte der Finger auf Spanien: „Hispania!“ – Das Echo: „Hispania!“ – Herr Ratz nickte. „Frankreich!“ –: „Frankreich!“ – Das Haupt des Herrn Ratz sank tiefer; doch als ein dummdreister Bengel namens Musbach lachte, bekam er eine Dachtel. „Dummer Junge, paß auf! – Deutschland!“ –: „Deutschland! Ach, das ist unser Land“, sagten einige Jungen. „Du, Friede” wo muß en da Langensalz liegen?“ – Herr Ratz neigte den Kopf sachte auf die Karte, seine rechte Hand rutschte fort und der Finger kam zu den Samojeden, während der gute Mann, seiner selbst kaum noch bewußt, „Italien“ rief. Da brach ein mächtiges Lachen los; Musbach war der tollste und schrie: „Herr Ratz, Herr Ratz, das ist ja Rußland.“
Nun fuhr der Lehrer auf und griff zum Stock. „Du Erzschlingel, du mußt Hiebe kriegen.“
Musbach duckte sich, verlor aber den Stock nicht aus den Augen. Des Gestrengen Arm hob sich. Unglücklicherweise kam ein großes Loch im Rock dabei zum Vorschein. Wie das Musbach sah, fing er fürchterlich zu grölen an: „Ach, das große Loch, ach, Herrjeses, ach, Herrjeses!“ ...
Herr Ratz konnte nicht zuschlagen; er drehte sich schnell um und rief ein paarmal: „Ruhe!“ – Wahrscheinlich hat er sich das Lachen verbissen, denn er war ein kluger und gutmütiger Mann.
In diesen zwei Jahren ging das Kriegspielen immer schlimmer fort; auch die Erwachsenen hatten Gefallen daran, wenn wir mit Trommeln und Fahnen zum Tore hinausmarschierten. Wir hatten uns in Franzosen und Deutsche geteilt und jede Abteilung war manchmal fünfzig Jungen stark. Die Leute eilten ans Fenster und die Clemenser Soldaten [vom kurfürstlich Sächsischen Regiment Prinz Clemens] riefen manchmal die Wache ins Gewehr, wenn es durchs Mühlhäusertor ging. Nur die vielen Blessierten wollten den Eltern nicht gefallen und mancher durfte deswegen nicht mehr mit. Mein Vater aber sagte: „Das schadet den Jungen nichts, sie lernen vorsichtig sein und kriegen Courage.“
Im Jahre 1797 nach Ostern fand das Examen für Quarta statt. Eine wilde Gewohnheit wollte, daß die Jungen, die aus Quinta nach Quarta versetzt wurden, sich mit dem Plumpsack durchschlagen mußten: Die Quartaner standen gewappnet im Gange; wir rückten scharf an, schlugen uns fürchterlich, trieben sie zurück und endlich zu ihrer Tür hinein, die sie fest hinter sich schlossen. Da wir die Tür nicht eindrücken konnten, so holten wir ein Scheit Holz aus dem Schulholzstall, rannten eine Füllung durch und die Tapfersten, Bayer, Heng und ich, krochen zuerst durch.
Wir bekamen zwar Beulen und blaue Flecken, machten aber die Tür auf und unser Korps drang ein. Nun schlugen wir uns noch eine Viertelstunde dermaßen, daß wohl keiner dabei war, der es nicht vier Wochen nachher noch gefühlt hätte.
So war die damalige Zeit. Jetzt geht’s anders zu – ob aber besser, das wage ich nicht zu beurteilen.
Der Herr Quartus Nohr verstand, sich in Respekt zu setzen und es ging nicht mehr so wild zu wie vorher. In der Hauptsache lernten wir Rechnen, Schreiben, Geschichte und Latein. Geschichte trug er erzählend vor und wir hörten alle gern zu, wenn er von der Entdeckungsreise des Kolumbus und anderen Abenteuern berichtete.
Wenn er einen verbundenen Kopf sah, verbot er uns zwar das Werfen mit Steinen, doch das Kriegspielen nicht, denn er war der Meinung, daß wir alle noch vor die Franzosen müßten. Er wußte uns auch an der Ehre zu fassen. Nur die rohesten Jungen bekamen Stockschläge. Die meisten deuchte es Strafe genug, wenn er einen mit seinen großen schwarzen Augen scharf ansah und dabei den Kopf schüttelte. Das hieß: ,Ei, ei, wie hast du dich vergessen ... Nun, ich hoffe, du wirst es nicht wieder tun.‘
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