Название: Geburtsort: Königsberg
Автор: Ursula Klein
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867775977
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Die Nachfrage nach Naturalien und fremder Währung wurde immer größer, da mit dem eigenen Geld keine Versorgung mehr möglich war. Wer Geld hatte, tauschte es, obwohl im November 1923 ein US-Dollar einen Wert von 4,2 Billionen Reichsmark hatte.
Anfang August 1923 wurde in Königsberg das Notgeld herausgegeben.
Vorder- und Rückseite eines Notgeldscheines der Provinz Ostpreußen 1922/23
Es wurden z. B. von den Städten – so auch von Königsberg – Gutscheine für oder in Form von Waren herausgegeben für Roggen, Kartoffeln, Stromverbrauch, Holz, Kohle, Gas- und Wasserverbrauch. In Thüringen wurde das Notgeld in Form von Lederstücken, in Bielefeld aus Leinen und Seidenspitzen herausgegeben, da der Papierverbrauch für die Gelddruckereien nicht mehr ausreichend war.
Die Masse der Bevölkerung war am Ende. Sparer hatten ihr Geld verloren, die Rentenansprüche waren nichts mehr wert, der Hausbesitz warf wegen der staatlichen Mietbindung keinen realen Ertrag mehr ab. Persönliche Gegenstände (Schmuck, Hausrat, Möbel) wurden an „Raffkes“ verkauft, um sich vielleicht ein Brot dafür einhandeln zu können. Alles, was entbehrlich war, wanderte in das Pfandleihhaus. Es gab viele Obdachlose und viele, die sich das Leben nahmen.
Für die Reichen entstanden Luxusgeschäfte und Luxusgaststätten und allgemein die „Goldenen Zwanziger Jahre“.
Bei Familie Krohn waren die Probleme genau wie bei den anderen Menschen in der Stadt, die die Nachteile der Inflation tragen mussten. Die Mutter konnte die Kinder nicht mehr zum Einkaufen schicken, da sie mit den großen Summen auf den Geldscheinen nicht mehr klar kamen. Oftmals wusste Mutter nicht, wie sie die sieben Kinder satt bekommen sollte. Sie schickte dann die Großen auf die Wiesen der näheren Umgebung, damit sie Sauerampfer, Brennnesseln, Melde und Löwenzahn zum Essen und Huflattich und Wegerich als Heilkräuter sammelten.
Aber zu Weihnachten - da sollte das mit aller Liebe gefütterte Schwein endlich geschlachtet werden. Kinder und Eltern malten sich aus, dass dann alle für lange Zeit viel zu essen hätten. Doch ein paar Tage zuvor, als Mutter füttern wollte, war es nicht mehr da! Der Stall war zwar verschlossen, aber das Schwein war weg. Keiner konnte das Unfassliche begreifen. Mutter stand zunächst wie versteinert vor dem Stall und rief dann nach den Kindern, ob die vielleicht etwas wüssten. Auch die Hausbewohner hatten nichts gehört und gesehen, dass ein Unbekannter im Hof gewesen wäre. In dieser schweren Zeit war die grösste Versorgungsreserve einfach gestohlen worden!
Was half da aber alles Jammern. Vater musste nun aber mit allen Mitteln die Sicherheit erhöhen und ein neues Tor zwischen Vorder- und Hinterhaus bauen, damit die Verluste nicht noch größer wurden, denn die Kaninchen, Hühner und das Gemüse wollten sie nicht auch noch einem ungebetenen Gast überlassen.
Die Kinder beobachteten ihre Mutter aufmerksam und konnten es gar nicht glauben, dass sie, obwohl nun die Versorgungslücke so groß war, noch singen konnte. Aber Mutter summte still ein Lied nach dem anderen vor sich hin und machte dabei ihre Arbeit. Eigentlich sang Mutter immer leise vor sich hin, wenn sie Kummer hatte, nie war es aber Hanna so aufgefallen, wie heute. „Mutter, wie kannst du noch singen, wenn du doch nun so große Sorgen hast?“ „Ach, Kind, gerade weil ich Sorgen habe, tröste ich mich mit meinen Liedern. Dadurch finde ich Trost und Gott gibt mir wieder Kraft, alle Sorgen und Nöte zu ertragen. Das ist für mich wie ein Gebet, nur kann ich dabei meine tägliche Arbeit tun.“
Jetzt kannte Hanna das Geheimnis um ihre Mutter: Sie sang sich einfach ihre Sorgen fort. Darum war sie immer so ausgeglichen und freundlich. Daher konnte sie in jeder Situation den kleinen und großen Menschen Trost geben. Eigentlich war das ein einfaches Rezept. Das wollte sie in Zukunft auch bewusster anwenden, wenn sie einmal Probleme hatte. Und lächelnd summte sie das Lied, das ihre Mutter angestimmt hatte, mit.
*
Die beiden letzten Jahre waren die bisher schwersten in der Familie Krohn. Zwar hatten sie das Haus noch behalten und Vater hatte immer noch Arbeit, aber der Hunger und die allgemeine Armut waren groß. Rein statistisch gesehen sank das Realeinkommen eines Reichsbahn-Betriebsarbeiters, also bei Vater Krohn, von 1913 bis 1923 auf 50 % bei 48 Wochenstunden Arbeitszeit. Familie Krohn musste also bei einer ständig größer werdenden Familie mit der Hälfte des Geldes auskommen. Die Kinder bestaunten zwar die immer größer werdenden Summen auf den Geldscheinen, konnten aber nicht so recht glauben, dass man dafür im Laden nur so wenig Waren erhielt.
Und Otto und Anna suchten im täglichen Gebet gemeinsam mit den Kindern Trost und Hilfe. Ihre Zwiesprache mit Gott war jedoch immer auch von Dankbarkeit getragen, dass ER sie in diesen schweren Zeiten bisher so treu versorgt hatte.
Neben dem täglichen, sich ständig wiederholenden Ablauf beobachtete Vater Krohn besonders die wirtschaftlichen Vorgänge in der Stadt und im „Reich“. Alle Informationen, die sein persönliches Leben und das seiner Familie betreffen könnten, registrierte er unter der einfachen Berechnung: „Wenn das …. jetzt so ist, dann kann das …. Folgen für uns haben.“
Und so registrierte er zufriedenstellend, dass durch die Inflation wieder einige Betriebe ihre Arbeit aufnahmen, da es sich für einige Kapitaleigner lohnte, Kredite aufzunehmen, weil der Zinssatz real ständig sank. Die Bestätigung hatte er durch den Hauskredit. Der Betrag für die Zinsen blieb fast immer wie früher, obwohl nun schon mit Billiarden gerechnet wurde.
Im vergangenen Jahr, also 1922, hatte die Produktion schon wieder 80 % des Vorkriegsstandes erreicht. Wer also Arbeit hatte, konnte sich unter den gegebenen Bedingungen auch zur Not versorgen. Zwar war gerade die Arbeitslosenzahl im November wieder auf 23,4 % im Reich gestiegen, weil auch wieder sehr viele Kleinbetriebe Bankrott anmelden mussten, aber an diese allgemeine Situation hatte man sich schon fast gewöhnt.
Auch die Länder und Gemeinden – genau wie Vater Krohn – nutzten die Inflation, um die Schulden zu tilgen, so auch Hypothekenschulden. Doch dieser „Bezahlung von Grundschulden“ setzte das Reichsgericht dann einen Riegel vor. Es erzwang die Aufwertung „alter“ Grundschulden für Gebäude, die vor dem 1. 7. 1918 bezugsfertig gewesen waren. Für diese Objekte musste eine „Hauszinssteuer“ in Höhe von 25 % extra entrichtet werden. Nun war guter Rat teuer. Das traf auch für „56“ zu.
Vater blieb nichts anderes übrig, als zu seinen Mietern zu gehen und ihnen die Sonderzahlung anzukündigen. Lange Gespräche waren mit den 11 Mietparteien des Vorderhauses notwendig, da keiner zahlungsfähig war. Auch empfanden die Mieter es als ungerecht, dass diese zusätzliche Zahlung für die 3 Mietparteien des Hinterhauses nicht erforderlich waren. Mit Einzelgesprächen kam Vater nicht voran. Er lud kurzerhand alle in seine Wohnung ein. Jeder musste seinen Stuhl mitbringen. Und heiß entbrannten die Diskussionen.
Doch ausziehen wollte keiner der Mieter. Alle fühlten sie sich wohl in einer sauberen Umgebung, in dem Haus, wo keine Zwietracht geduldet wurde, jeder ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der anderen hatte, gegenseitige Hilfe und Achtung groß geschrieben wurden. Und so kam Vater Krohn letztlich doch noch zu einer Einigung mit allen Mietern. Es sollte in Kürze eine grundlegende Wende in der Währung kommen:
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