Geburtsort: Königsberg. Ursula Klein
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Название: Geburtsort: Königsberg

Автор: Ursula Klein

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783867775977

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СКАЧАТЬ Die Mehrzahl der Bevölkerung lebte in völliger Armut, während einige wenige durch die Inflation reich wurden. Sie hatten ihr Kapital rechtzeitig in ausländischer Währung angelegt und lebten von ihren Zinsen herrlich und in Freude. Für diesen Personenkreis begann die Jagd auf Dollar und Rubel.

      In Ostpreußen und besonders in Königsberg hatte diese wirtschaftliche Entwicklung bisher nicht so stark gegriffen. Durch die vom Magistrat geschaffenen Königsberger Betriebe (Straßenbahn, Reinigungs- und Fuhrunternehmen, Schlacht- und Viehhof, Stadtbank, Kauf des ehemaligen Festungsgürtels zur Umgestaltung als Grünanlagen usw.) und die Nutzung der inflationären Entwicklung des Geldes zur Bezahlung der Immobilien war es dem Magistrat gelungen, die Arbeitslosigkeit nicht so krass werden zu lassen wie im Reich.

      Doch das Geld von Vater reichte zum Einkaufen höchstens für fünf Tage, dann war die Eigenversorgung gefragt, die für diesen Zeitraum nicht ausreichend war. Und so war bei Familie Krohn oftmals „Schmalhans“ der Küchenmeister.

      Darum war es gar keine Frage: Hanna und Herta durften fahren. Eilig wurden die Vorbereitungen getroffen: noch schnell ein Kleidchen und eine Schürze für jeden genäht, die Unterwäsche ergänzt, Söckchen gestrickt, die Füße von den Kniestrümpfen angestrickt. Mutters Stricknadeln flogen in jeder freien Minute.

      Hanna und Herta waren glückselig. Sie durften Urlaub auf dem Land bei Tante Hedwig machen! Das war kaum zu begreifen. Die beiden tuschelten jetzt oft miteinander, malten sich Bilder aus, was sie alles anstellen würden. Wieviel sie wohl zu essen bekommen? Gerne würden sie auch auf dem Bauernhof helfen. Hanna meldete sich schon jetzt zum Hühnerfüttern an, Herta würde die Häschen betreuen, beide wollten auf der Wiese das Heu wenden, mit dem Hund spielen, die Gänse jagen, auf die Schafe aufpassen. Vielleicht sogar einmal auf dem Pferd sitzen? Ach, es träumte sich so schön!

      Endlich, endlich war der Tag gekommen. Die Mädchen meinten, ihnen müsse jeder ihr persönliches Glück ansehen und jeder sich mit ihnen freuen.

      Die anderen Geschwister mussten mit dem Vater Zuhause bleiben, denn die Straßenbahnfahrt wäre für alle viel zu teuer gewesen. Und so hatte Mutter für alle das Sonntagsessen vorgekocht, die Wäsche für die Kinder – wie üblich – gehäufelt auf das Sofa gelegt und allen noch die notwendigen Ermahnungen gegeben, wie sie sich zu verhalten hatten. Sie war aufgeregter als Herta und Hanna, denn sie hatte ihren Mann mit den Kindern bisher noch nie alleine gelassen. Darum wurde Tante Malchen nebenan noch schnell informiert, damit Vater Hilfe hatte, falls er mit dieser Situation nicht alleine fertig wurde.

      Und so war dieser Sonntag ein ganz besonderer Tag: Nach dem Frühstück und der Morgenandacht zogen sich Vater, Lisbeth, Fritz und Lotte an, Lena wurde von Mutter betreut. Jeder bekam noch ein Abschiedsküsschen von Mutter und nochmals gute Ratschläge mit auf den Kirchenweg. Vater umarmte seine Frau liebevoll und meinte: „Sei schön vorsichtig beim Ein- und Aussteigen, damit du nicht hinfällst. Lass auch lieber die Taschen von den beiden Mädchen tragen, ich möchte nicht, dass unserem Nachwuchs etwas passiert.“ Dabei streichelte er ihr liebevoll über den Bauch, in dem neues Leben bereits erwacht war.

      Nachdem Vater mit den Kindern das Haus verlassen hatte und in Richtung Kirche gegangen war, setzte sich Mutter erst einmal hin und atmete tief durch. Hanna sagte gleich zur Mutter: „Bleib sitzen, wir räumen auf und waschen das Geschirr ab.“ Und flink wie die Wiesel sausten sie durch die Wohnung und machten Ordnung.

      Ach, die Ruhe tat Anna gut. Sie erwartete mit ihren 42 Jahren nun schon ihr siebentes Kind. Die viele Arbeit im Haushalt und die Sorgen um das tägliche Brot hatten ihre Kräfte fast völlig aufgezehrt. Doch während die beiden die Arbeit machten, faltete sie die Hände, dankte Gott für diesen schönen Tag, bat um Hilfe für den Vater, der das erste Mal mit den Kindern einen Tag alleine war und um Kraft für das neue Leben in sich. Öfter als früher musste sie sich jetzt ausruhen und auch die Handarbeiten strengten sie an. Der Rücken schmerzte. Die Augen wurden schneller müde. Doch Gott hatte ihre Bitten erhört und ihnen bisher immer das tägliche Brot gegeben. Und nun wurden auch noch Herta und Hanna bei ihrer Schwester vier Wochen lang versorgt. „Herr, hab Dank für deine Güte und Freundlichkeit!“

      Anna freute sich schon auf den Besuch bei ihrer Cousine, sahen sie sich doch nur bei großen Feierlichkeiten.

      Um so herzlicher war der Empfang. Hedwig nahm die Kinder mit offenen Armen auf und umarmte Anna herzlich. „Kommt herein, ich habe schon auf euch gewartet und den Kaffeetisch gedeckt.“ „Kinder, esst, so viel wie ihr essen könnt! Morgen kann ich einen neuen Kuchen backen.“ Das ließen sich Hanna und Herta nicht zwei mal sagen und in kürzester Zeit war der Napfkuchen fast aufgegessen. Hedwig und Anna sahen sich an und verständigten sich über den Appetit mit Augenzwinkern. Noch mit vollem Mund stürmte Hanna auf den Hof, um die Inspektion zu beginnen.

      „Lege dich hier ein bisschen auf das Sofa und ruhe dich aus, du wirst müde sein“, war die einfühlsame Aufforderung an Anna. Nur zu gerne genoss Anna diese Situation für eine kleine Weile und genüsslich legte sie sich hin. Sie fühlte sich eigenartig wohlig und behütet. Wann hatte sie sich schon einmal am Sonntagnachmittag hinlegen können? Hedwig holte noch eine Wolldecke, deckte damit ihre Cousine zu und setzte sich daneben. Sie hatten sich viel zu erzählen.

      Doch so viel Zeit war gar nicht und die Zeit verging wie im Flug, denn vor dem Abendbrot wollte Anna wieder Zuhause sein. Hedwig packte schnell ein paar Würste, eine Seite Speck, ein Glas Schmalz und ein paar Eier für Anna ein.

      „Hanna, Herta, kommt her, eure Mutter will sich verabschieden!“ erscholl es über den Hof. Beide kamen sofort angerannt. Die Augen strahlen. Am liebsten hätten sie gleich alles herausgesprudelt, was sie bereits in dieser kurzen Zeit erlebt hatten, aber Tante Hedwig bremste sie: „Das könnt ihr mir alles heute zum Abendbrot erzählen. Verabschiedet euch von eurer Mutter, sie hat Sehnsucht nach den anderen Kindern und nach euerem Vater!“ Lächelnd übergab sie Anna die Esswaren. „Hanna, sei nicht so wild! Helft Tante Hedwig bei der Hausarbeit, im Garten und wo sonst eure Hilfe gebraucht wird. Wer essen will, muss auch arbeiten! Denkt daran!“ Schnell bekam die Mutter ein Küsschen und schon waren beide wie der Wind wieder weg. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich werde mit den beiden Mädchen schon einig werden“, waren die gut gemeinten Worte an Anna.

      *

      Die Zeit verging im Sauseschritt.:

      Am 19. 8. 1922 wurde Erna geboren.

      Innerhalb eines Jahres veränderte sich das wirtschaftliche Leben in Deutschland total: 1922/​23 sprach man nun offen von einer schweren Wirtschaftskrise. Die Abwertung der Reichsmark trudelte ins Bodenlose. Die Steuereinnahmen des Staates deckten nur noch 1 % der Ausgaben des Staatshaushaltes, 99 % mussten durch den Druck von Papiergeld finanziert werden. Die Kapazität der Notenpressen und des Papiers reichte nicht mehr aus.

      Früher holte ein Bote die Lohngelder von der Bank, jetzt musste es waschkörbeweise mit Lastkraftwagen geholt und an die Leute verteilt werden. Die Teuerungsrate z. B. für Lebensmittel entwickelte sich so rasant, dass Anfang Januar 1923 ein Kilogramm Roggenbrot 163,- M und am 19. November schon 233 Milliarden Mark kostete. Ein Zentner Brikett hatte Anfang Januar noch einen Preis von 1865,- M, am 19. 11. kostete er aber schon 1 Billion und 372 Milliarden Mark. In ähnlicher Weise entwickelten sich die Preise für alle Waren.

      Die Betriebe gingen dazu über, die Lohnzahlungen täglich vorzunehmen, da eine Verrechnung am Wochenende für den Arbeiter keinen Wert mehr hatte. Dadurch konnten in den Betrieben mehr Angestellte arbeiten, aber es ermöglichte auch die Hamsterkäufe in verstärktem Maße, da ja das Geld sofort in den Geschäften wieder umgesetzt wurde. Wer das im großen Stil betreiben konnte, wurde dabei reich. Viele Geschäfte mussten jedoch schließen, da sie die Waren zum verkauften Preis nicht wieder einkaufen konnten. Es kam in einer Reihe von Städten zum Sturm auf die Lebensmittelgeschäfte und deren Plünderungen.

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