Majdanek. Mordechai Strigler
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Название: Majdanek

Автор: Mordechai Strigler

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783866744745

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СКАЧАТЬ die wir im Lager unter uns führten, waren wir uns deshalb immer einig, dass wir uns nicht lebendig nach Majdanek bringen lassen würden. Wenn es mir beim ersten Mal, vor 16 Monaten, auch gelang zu fliehen (davon an anderer Stelle), so war ich diesmal hilflos und psychisch am Boden. Die erstbeste Bewegung hätte im jetzigen Augenblick im Übrigen den sicheren Tod bedeutet. Es blieb nur abzuwarten, was die Zeit bringen würde. Ich bemühte mich, kühl und vernünftig zu bleiben. Man musste jede Minute sorgfältig abschätzen. Die Möglichkeiten jeder Chance tiefer ausloten und erkennen, wann man eine günstige halbe Sekunde ausnutzen kann. Wachsamkeit!, schrie der disziplinierte Lebensinstinkt jedem einzelnen Glied zu. Das war der einzige eigene Befehl, dem man noch gehorchen konnte.

      Die Autos hielten auf einem Berg an. Man konnte sehen, wie es dort weiter vorn, in der Niederung, zwischen den verschiedenen Drahtnetzen vor Menschen wimmelte. Sie führten und schleppten verschiedene Lasten und Gepäckkarren auf schmalen, eisernen Schienen bergauf. Der erste Gedanke, der einem in den Kopf kam, war:

      Menschen leben hier ja! Man arbeitet!

      Die Erfahrung der Jahre in den Lagern hat bewiesen, dass das Arbeiten unter schwersten Bedingungen auch gewisse Chancen mit sich bringt zu leben. Leben! Das man doch so sehr begehrte. Teuer war doch jedes Stückchen freie Luft, jeder Schritt auf nicht stolpernden Füßen. Niemals hätte man doch vermutet, wie viele geheime Genüsse in jeder Sekunde des Lebens verborgen liegen. Es gab Minuten, Stunden und Tage aus Furcht und Wahnsinn, in denen du erstarren wolltest, um gar nichts mehr zu fühlen. Oftmals standest du tagelang mit gebeugtem Rücken und schmerzenden Gliedern und wartetest, dass jemand dir den Tod brächte. Dann aber richtetest du dich für ein paar Minuten auf und du spürtest, wie viel Glück in einem Atemzug reiner Luft liegt, wie viel süße Kraft ein aufrechter Schritt geben kann. Eine Stunde ruhig und ausgestreckt auf einem harten, verführerischen Bett liegen − und du fühltest, wie das Leben dich in einen geheimnisvollen Raum führte, sich vor dir entblößte und dir die Reize zeigte, die in jedem Fingerchen verborgen lagen.

      Ein Bissen Brot nach einem langen Hungertag bewies dir, welcher Lebensreichtum und welche Labsal in jedem Gegenstand stecken, der im Leben in Freiheit gar nicht wahrgenommen wird. Leben!, dachtest du, unbedingt leben! Denn jetzt weißt du schon, wie man jede Minute nutzen kann, dieses wunderliche Elixier aus dem kleinsten Brocken zu ziehen. Ein Leben in Freiheit? Wer kann es denn verstehen? Wer hat denn eine Ahnung, wie das zu genießen ist?

      So sehr man auch schon verkümmert war, fühlte man doch, wie stark man mit dem Leben verbunden war, wenn man die letzten Minuten vor Augen hatte. Noch fünf Minuten leben, dachtest du oft, und in jeder Sekunde konntest du die Weiträumigkeit der Umgebung einsaugen, konntest den Himmel, ein Haus, einen rosafarbenen Stein sehen. Jeder deiner Sinne begriff erst damals, wie schrecklich groß das Glück ist, das in den Falten jeden Augenblicks vibriert.

      Das Leben unter den schauderhaftesten Sklavenbedingungen konnte nie gänzlich verabscheuungswürdig werden, denn umso mehr der Tag dich peinigte, desto größer wurde das Glück der Stunde Ruhe in der Nacht, desto mehr gab dir die halbe Stunde, in der du dich in einen Winkel setzen konntest, an nichts mehr denken musstest und von niemandem gestört wurdest.

      Der schwerste Tag von Pein wurde versüßt, wurde berauscht und trunken gemacht durch den bloßen Gedanken, dass zur Nacht, aber ja, zur Nacht, du ein Stückchen Brot bekämest. Deine Fantasie stellte sich vor, wie du es ruhig kauen würdest, bröckchenweise. Wie jeder Bissen sich gesondert in unruhiger Freude auf alle Glieder verteilen würde. Und später, viel später würdest du deinen müden Körper in deine Ecke schleppen, dich hinaufziehen auf ein hartes Bett, um dich herum würde es dunkel sein und niemandes Blick dich schrecken können. Deshalb wirst du deine Beine frei ausstrecken, deine Arme auf die Seite legen, wohin du willst, und alle Glieder werden in Tränen ausbrechen über das stundenlange Vergnügen und du …

      Wer sollte denn nicht erzittern beim Erkennen einer halben Chance auf Hundert, weiterleben zu können. Weitere ganze Tage gebrochen zu sein, doch auch in diesem Gebrochensein, in diesem Sich-Ducken das Entzücken des Wartens zu spüren und sich bewusst zu sein, dass du dich mit jeder Minute jener glückseligen Stunde näherst, in der du den Mund öffnen wirst und ein frischer Luftstrom sich in dich hineindrängen wird.

      Ein kleiner Brocken Hoffnung war in der Lage, dich zu verzaubern, die ganze Seele umzukrempeln. Ein Hauch mehr Bequemlichkeit lockte mit so vielen Versprechungen, liebkoste das Blut so wohlig, dass man oft bereit war, mehr zu geben als man besaß, um noch eine Minute, noch einen Augenblick Leben zu bekommen. Nur Leben? Nein! Es war mehr als das, was die gewöhnlichen Sinne unter diesem Wort verstehen.

      Deshalb sollte man versuchen, zu verstehen, was dieser kleine wiederaufglimmende Docht Hoffnung vor den Toren von Majdanek bedeutete.

      Schon allein der Marsch bis zum Tor, als Beine und Rücken sich wieder strecken konnten, als der Körper nicht mehr zwischen anderen Körpern eingeklemmt war, als man wieder dahinschreiten konnte, bewies, wie viel Wunderbares jeder Moment in seinem Schoße trägt, von welcher Gnade du in vollem Maße schöpfen kannst. Wen störte es denn, dass an deiner Seite bewaffnete Uniformen liefen und dir deine Schritte bemaßen, wenn du spürtest, dass in dieser minutenlangen gestreckten Haltung jeder Schritt in dir sang.

      Ein Tor nach dem anderen öffnete sich. Schlammige Adern zogen sich in alle Richtungen. Ein Meer von Drahtzäunen grenzte Luft von Luft ab und unterteilte die Welt in große viereckige Kästen. Überall standen Baracken und schauten mit den Augen ihrer kleinen Fenster sehnsüchtig durch die Drähte. Keine Menschenseele war zu sehen und es hatte den Anschein, als habe man hier leere Baracken eingesperrt.

      Man begann, uns durch krumme, abgeschirmte Wege zu treiben. Alle paar Minuten öffnete sich eine Drahttür und schloss sich wieder. An allen Seiten standen verschiedene Gebäude und warnten mit erschrockenem Ton leise durch ihre Wände flüsternd. Schließlich sahen wir einen riesengroßen nackten Platz. Tausende erschrockener Menschen lagen dort haufenweise, ausgestreckt auf der Erde oder liefen verzweifelt umher von einem Ort zum anderen. Bis zur Tür gingen wir mit ruhigen, geordneten Schritten. Aber als die Tür sich öffnete, wurden wir hineingestoßen ins Chaos und verschmolzen mit dem menschlichen Ameisenhaufen. Ein Blick zurück machte uns schnell klar:

      Wir sind eingesperrt!

      II

      Die Frauen hinter uns teilte man gesondert ab. Für sie gab es einen speziellen Sammelpunkt. Mehr als nur eine Frau hatte ihren Mann in den vorderen Reihen, einen Geliebten aus Lagerzeiten, oder einfach das einzige vertraute Gesicht, das ihr noch von früher geblieben war. Als sie die letzte Minute der Trennung kommen sahen, rissen sie sich wild schreiend aus den Reihen los und warfen sich zu Boden. Die Männer spürten instinktiv, wer da schreit und versuchten mit all ihren schlummernden Kräften zurückzubleiben, um nicht auf den leeren, abgeteilten Platz gestoßen zu werden. Zig Frauen mit zerschlagenen, blutigen Gesichtern und zerzausten Haaren kämpften sich zu ihren Männern durch und umklammerten sie, sie versanken noch einmal im anderen, als glaubten sie, dass noch ein Wunder geschehen könne und sie so zusammenwachsen würden, dass keine Macht sie mehr trennen könne. Die wenigen Kinder, die es geschafft hatten, bis jetzt im Lager zu überleben, stolperten hinter ihren Müttern her und hielten sich stumm und erschrocken an ihren Kleidern fest. Die SS aber ging schnell dazwischen und schlug auf ihre Köpfe ein, bis das Unglaubliche geschah und die Körper sich voneinander lösten. Die Menschen waren schon nicht mehr bei Sinnen, nur die Schläge zeigten ihnen, in welche Richtung sie sich zu bewegen hatten. Bald bildeten sich zwei riesige, formlose Gruppen, die aussahen wie ein mächtiger, zweigeteilter Organismus.

      Auf dem Platz, wo wir uns befanden, waren schon Tausende zusammengetriebener Juden. Sie lagerten müde und schauten mit getrübtem Blick in den Himmel. Eine kleine Gruppe war noch gesprächig und aktiv. Von ihnen erfuhren wir, dass es bis vor einigen Tagen noch Juden in der Gegend um Międzyrzec und Biała und im Siedlcer Kreis gegeben hatte. Vor drei Tagen hatte man sie in der ganzen Gegend eingesammelt, hierher СКАЧАТЬ