Verschollene Länder. Burkhard Müller
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Название: Verschollene Länder

Автор: Burkhard Müller

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783866742574

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СКАЧАТЬ bemühte sich um die Unterstützung beider Bevölkerungsteile, der Araber und der Juden. Das konnte schon damals nicht gelingen: Die Zionisten nahmen den Text als die Zusage eines jüdischen Staates (die er, genau betrachtet, nicht enthält), die palästinensischen Araber ließen sich durch seine Garantien keineswegs beruhigen.

      Palästina war schon in ältesten Zeiten ein Streitobjekt dieser beiden Völker gewesen. Man braucht sich nur an die Konsonanten zu halten (die Vokale spielen in den semitischen Sprachen eine geringere Rolle), um zu erkennen, dass sich in den Palästinensern niemand anderes verbirgt als die biblischen Philister. Auch die Orte des Kampfes sind dieselben geblieben, nur die Taktik hat gewechselt: Hatte der jüdische Recke Samson noch die Tore der Philisterstadt Gaza ausgehoben und weggetragen, um ihren Widerstand zu brechen, so sollte die israelische Regierung später zum selben Zweck Gazas Tore geschlossen halten.

      Die Neuzeit für Palästina begann mit Theodor Herzls Buch »Der Judenstaat« und der jüdischen Immigration, die daraufhin kurz vor 1900 einsetzte. Als Großbritannien 1918 das Mandat übernahm, sah es sich bereits mit zwei Nationen konfrontiert, von denen jede das Land ganz für sich in Anspruch nahm; es zu verwalten, erwies sich als eine undankbare Aufgabe. Durch die fortdauernde jüdische Einwanderung – 1920 waren nur 12,9 Prozent der Bevölkerung jüdisch, 1929 bereits 18,9 Prozent, 1940 knapp ein Drittel – fühlten sich die Araber bedroht, zumal sie an ökonomischer Kraft weit zurückstanden. Als eine britische Kommission eine Teilung des Landes vorschlug, lehnten die Araber dies empört ab, und 1938 brach der offene Bürgerkrieg aus, es gab mehrere Tausend Tote. Der Konflikt konnte nur durch Landung massiver Truppenverbände beendet werden. Ein arabischer Gegenvorschlag, den Juden eine autonome Sonderstellung in einem palästinensischen Staat zu gewährleisten, wurde wiederum von diesen aufs entschiedenste zurückgewiesen.

      Im Zweiten Weltkrieg hielten die beiden feindlichen Lager im Großen und Ganzen Frieden – nicht nur die Juden, die einsahen, dass Großbritannien in seinem Kampf mit dem faschistischen Deutschland nicht geschwächt werden durfte, sondern bemerkenswerterweise auch die Araber. Gelöst waren die Probleme damit aber nicht; sie tauchten heftiger denn je wieder auf, als die britische Mandatsmacht 1948 abzog und einem neuen Staat das Feld räumte: Israel.

      Diese Briefmarke präsentiert sich vor allem als ein Bild – als ein Bild so, wie man es sich vor 100 Jahren gern übers Sofa hängte. Das Wichtigste an einem solchen war der wuchtige, reich verzierte Rahmen, der dem, was innen gemalt war, seine Bedeutung zusprach, es dem Vergnügen des Betrachters empfahl und ihn zugleich versicherte, es im Griff zu haben. Europäische Mächte legten ein solches System von Zierleisten gern um ihre kolonialen Postwertzeichen und machten so das ferne beherrschte Land zum Guckkasten.

      Oft schweift der Blick dabei vom Meer, über das die Kolonisatoren kamen, in die Vorgebirge des Hinterlands. Nicht so im Fall von Spitzbergen. Hier blickt man vom Land aufs Meer, denn aus diesem kam der Reichtum. Der Name des neu gewonnenen Territoriums steht da in einem geschwungenen Balken, der krönt und beherrscht; und ihm gleichberechtigt zur Seite, in heraldischer Kartusche, die Wertangabe, der Preis, stellvertretend für den Weltmarkt; auf ihn war die Inselgruppe, das letzte größere Stück Land Europas vor dem Nordpol, vergleichsweise spät, aber desto schneller und gewaltsamer gezogen worden.

      Was Spitzbergen dem Markt zu bieten hatte, waren Walprodukte – das wertvolle Öl etwa oder die Barten, mit denen die Riesen der kalten Meere die winzigen Krebse, von denen sie sich ernähren, aus dem Wasser filterten. Fischbein, hart und elastisch, war unentbehrlich zur Stabilisierung des weiblichen Fundamentalkleidungsstücks im 19. Jahrhundert, des Korsetts. Die schönsten und längsten Barten besaß der Grönlandwal, der außerdem zutraulicher und weniger angriffslustig ist als andere Walarten und sich darum den Walfängern besonders anbot. Ein totes Exemplar wird an einer Kette gerade an den Strand geschleift, kein allzu großes, wie die beigegebenen Möwen erkennen lassen, keines von denen jedenfalls, die es auf 18 Meter Länge und anderthalb Tonnen Fischbein im Wert von 3000 Pfund brachten, nach heutigem Geld gewiss fast eine Million Euro. Mehr als 60.000 von ihnen wurden erbeutet. Man musste, obwohl der zweite Wal, der im Hintergrund hereingebracht wird, noch an eine gewisse Fülle denken lässt, offenbar schon mit den Zwergen unter den Riesen vorliebnehmen.

      Erst 1596 war Spitzbergen, dieser nördlichste Punkt Europas, überhaupt entdeckt worden; schon zehn Jahre später stand der Walfang in Blüte, und englische, deutsche, norwegische, schwedische, dänische, holländische und französische Schiffe harpunierten um die Wette, so lange, bis der Grönlandwal im weiten Umkreis ausgerottet war. Die Inseln selbst, vergletschert und gebirgig, hatten dabei wenig interessiert. Erst im Jahr 1920 einigte man sich darauf, das bisherige Niemandsland Norwegen zu überlassen. Seither heißt der Archipel »Svalbard«. Russland erhielt zum Ausgleich gewisse Sonderrechte, z. B. das, Bergwerke zu betreiben.

      Mehr als durch Kohle und Walfang ist Spitzbergen (wie es im Deutschen weiterhin eigensinnig heißt) heute bekannt durch seine Pflanzensamenbank. Tief im Permafrostfels des arktischen Archipels sollen Samenproben möglichst aller von Menschen genutzten Pflanzenvarietäten eingelagert werden, auf dass die Vielfalt nie erlösche. 175 Staaten, d. h. so gut wie alle, haben ihre Mitarbeit zugesagt.

      Preisfrage: Für wen ist es nützlich, wenn ein Volk das Lesen und Schreiben lernt? Für das Volk? Wir sehen es links: Der Vater, die einfache Hacke des afrikanischen Bauern geschultert, legt zögernd den Finger an die Nase; bereitwilliger scheint die Mutter, die zwar ihre nackte Brust noch unbefangen wie in alten Zeiten dem Lehrer darbietet, aber bereits nicht mehr dem Betrachter der Briefmarke; und gar nicht zu bremsen ist das kleine Kind, das nach Tafel und Kreide geradezu giert – nach seiner Zukunft scheint es zu greifen.

      Oder für den Lehrer? Ihm hat es schon etwas eingebracht, europäische Kleidung jedenfalls, und das heißt wohl auch: ein bisschen Wohlstand.

      Auf alle Fälle aber dem Staat, der diese Briefmarke zum Welttag der Alphabetisierung herausgibt, eine stolz selbst entworfene und nicht einen der üblichen in Paris gedruckten Stahlstiche. Mehr als die anderen Staaten, die Frankreich 1960 in Scharen aus der Kolonialherrschaft in die Unabhängigkeit entlassen hatte, musste Obervolta, das rückständigste, weil einzig küstenlose Land Westafrikas, darum ringen, ein Staat erst überhaupt zu werden. Stämme funktionieren auch, wenn keiner in ihnen lesen kann; Staaten nicht. Und in Obervolta konnten sehr wenige Leute lesen – noch in den 1970er Jahren besuchten nur zehn Prozent der Kinder eine Schule. 95 Prozent der arbeitenden Bevölkerung waren in der Landwirtschaft beschäftigt, und es gab im ganzen Land exakt 68 Ärzte, einen auf 74.000 Einwohner: niederschmetternde Strukturdaten.

      Wenn man eine Geschichte Westafrikas liest, so erscheint Obervolta darin so gut wie überhaupt nicht, es nimmt weniger Platz ein als selbst das winzige Gambia und das verschlafene Portugiesisch-Guinea. Irgendwann in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gerät es, wie das ganze Umland eben auch, in die Hände der Franzosen. Die Schlachten gegen die einheimischen muslimischen Reichsgründer, der koloniale Wettlauf der europäischen Mächte um die Rohstoffe, die große imperialistische Ausbeutung finden woanders statt. Selbst der Name scheint wie eine einfallslose Fußnote: Obervolta. Er leitet sich ab von den drei wichtigsten Flüssen des Landes, dem Schwarzen, dem Weißen und dem Roten Volta, die weiter im Süden, in der Goldküste, zu einem einzigen zusammenfließen, ein Stromsystem von der Größe etwa des Rheins. Aber diese Flüsse sind keine Lebensadern: Nicht schiffbar, von Hochwasser, Schlafkrankheit und Flussblindheit bedroht, bleiben ihre Täler auf eine Breite von fünf bis zehn Kilometern unbesiedelt. Es knüpft sich keine Hoffnung daran.

      So bedeutete es einen forcierten Akt des Willens zur Nation, als sich das Land im Jahr 1980, nach dem Putsch des ehrgeizigen jungen Offiziers Thomas Sankara, in Burkina Faso umbenannte, was mit »Land СКАЧАТЬ