Verschollene Länder. Burkhard Müller
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Название: Verschollene Länder

Автор: Burkhard Müller

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783866742574

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СКАЧАТЬ war landwirtschaftlich orientiert, konservativ, ärmer, und bis zum Ende des Jahrhunderts war Flämisch nicht einmal offizielle Landessprache.

      Das gedachte die deutsche Besatzungsmacht auszunutzen, die zweimal, in beiden Weltkriegen, das neutrale Belgien überrannte. Im Ersten Weltkrieg sorgte sie für die Gründung einer flämischen Universität, im Zweiten appellierte sie an die rassische Solidarität der Germanen, zu denen die Flamen schließlich auch gehörten.

      Eine »Freiwillige Legion Flandern« wurde aufgestellt, die man jedoch sicherheitshalber nur im Osten kämpfen ließ, wo die Versuchung, zum Feind überzulaufen, geringer schien. Die Briefmarke der Feldpost »voor onze jongens an het oost front« ist ein propagandistisches Juwel. Es kämpft das Gute schlechthin gegen das Böse schlechthin. Die bildliche Tradition ist die des Engelsturzes, nur dass der Erzengel Michael vor dem Wolkenhimmel um seine Flügel und den Schild mit der Aufschrift »Wer ist wie Gott« verkürzt wurde; umso wuchtiger kann er das Schwert mit beiden Händen schwingen und den Satan vor die Brust treten. Dieser lässt sich, im Gegensatz zum zeitlosen Minikleid der germanischen Lichtgestalt, an seinem zeitgenössischen Kostüm, besonders der spitzen Mütze, ohne weiteres als Angehöriger der Roten Armee identifizieren. Mit einer Hand scheint er um Gnade zu flehen; aber mit der anderen hält er noch die Waffe gefasst (unklar, was für eine: Wäre es ein Schwert, käme ein lächerlicher Kontrast zur Uniform heraus; wäre es aber ein Gewehr, wie hat er diesen Kampf verlieren können?). Pardon braucht ihm also nicht gewährt zu werden.

      Aneinander gerieten Flamen und Wallonen erst, als der Krieg vorüber war. Nun standen sich nämlich die Regierung, die ins englische Exil gegangen, und König Leopold, der in der Hand der Deutschen geblieben und von ihnen bei ihrem Abzug mit nach Österreich genommen worden war, feindlich gegenüber. Die Flamen ergriffen überwiegend Partei für den König, die sozialistisch und liberal gesinnten Wallonen aber wollten ihn nicht mehr haben. Ein Bürgerkrieg wurde nur vermieden, indem Leopold weise zurücktrat und Platz für seinen Sohn Baudouin machte – den einzigen wirklichen Belgier, wie er anerkennend genannt wurde, denn von ihm allein ließ sich unmöglich sagen, ob er Wallone oder Flame war. Er hat Belgien lange vor der Spaltung bewahrt, die ihm heute möglicherweise bevorsteht.

      Die Königinnen von Hawaii! Adelbert von Chamisso traf sie auf seiner Weltreise 1817 an, die Gattinnen des großen Reichsgründers Kamehameha, der den ganzen Archipel mithilfe einer eigenen Flotte und Artillerie unter seiner Herrschaft vereinigt hatte. Sie lagen in einem Strohhaus auf dem Boden, der weich mit Matten gepolstert war, Chamisso nahm unter ihnen Platz, und »fast unheimlich wurden mir, dem Neulinge, die Blicke, die meine Nachbarkönigin auf mich warf«. Sein Begleiter, der Botaniker Eschscholtz, dessen Königin »sich noch handgreiflicher ausgedrückt« hatte, war schon vor ihm geflüchtet.

      Die freien Sitten der »Sandwich-Inseln«, wie Hawaii damals noch hieß, »die allgemeine, zudringliche, gewinnsüchtige Zuvorkommenheit des andern Geschlechts; die ringsher uns laut zugeschrieenen Anträge aller Weiber, aller Männer namens aller Weiber« verwirrten und verdrossen Chamisso. Aber er erkannte an, dass nur Scham den Menschen eingeboren, die Keuschheit jedoch lediglich eine Tugend gemäß den menschlichen Satzungen sei, und dass »Keuschheit als Tugend diesem Volke fremd« war. Allzu Beschämendes seiner Schilderungen verhüllte er in Latein. Aber Chamisso bewies in seiner Verlegenheit auch Humor. Eine Hawaiianerin aus der ersten Kaste hatte, indem sie sich lautlos im Kanu anschlich, ihn im Bad belauscht und erhob lautes Gelächter: »Ich war wie ein unschuldiges Mädchen, das ein Flegel sich den Spaß macht im Bade zu beunruhigen.«

      Unter den folgenden Königinnen begannen die Sitten sich zu ändern. Kaahumana, Kamehamehas Lieblingsfrau, wurde nach seinem Tod Regentin für den unfähigen Thronfolger und trat zum Christentum über. Ihr folgte im Amt Kinau, Kamehamehas Tochter, und dieser wiederum Kekauluohi, Mutter der Könige Kamehameha IV., der die tatkräftige Königin Emma zur Frau hatte, und Kamehameha V. »Diese edlen Frauen«, urteilt die »Encyclopaedia Britannica«, »hätten jeder Nation zur Ehre gereicht.« Sie hatten den schwierigen Übergang Hawaiis, das sich im Schnittpunkt britischer, französischer und amerikanischer Annexionsgelüste befand und dank seiner Lage zwischen drei Kontinenten von Gesindel aus aller Herren Länder überflutet wurde, von einer polynesischen Stammesgesellschaft zu einem gemischtrassigen modernen Staat zu bewerkstelligen. Unter ihrer Herrschaft wurde Hawaiianisch zur Schriftsprache, zwei Zeitungen erschienen, es entstanden eine weithin demokratische Verfassung, ein Gesetzgebungs- und Justizwesen und eine moderne Ökonomie, und die Mächte der Welt mussten Hawaiis Souveränität bestätigen.

      Letzte in der Reihe dieser Herrscherinnen war Königin Liliuokalaui, Dichterin und Komponistin, die 1891 auf den Thron gelangte; ihr Bild erscheint auf der Briefmarke. Obschon die Souveränin, erscheint sie doch wie in Ketten gelegt – in Perlenketten allerdings: Eine trägt sie um den Hals, eine zweite umfängt das Medaillon; dazu trägt sie ein weiteres Halsband und ein europäisches Kleid, das Haar ist gebändigt zu einer aufgesteckten Frisur. Von ihren Anträgen hatten europäische Reisende wohl nichts mehr zu befürchten. Wie das Design der Marke erkennen lässt, war der amerikanische Einfluss inzwischen übermächtig geworden. Nur zwei Jahre später wurde Liliuokalaui gestürzt und eine provisorische Regierung gebildet, die den Anschluss an die USA betrieb und erreichte.

      Da war das Hawaii, das Chamisso gesehen hatte, schon in die graue Vorzeit versunken. Wie hatte er die Tänze der Männer und Frauen bewundert, deren Leidenschaft und Anmut in seinen Augen nichts auf der Welt zu gleichen schien! Und nichts auch ihren Zuschauern: »So hingerissen und freudetrunken wie die O-Waihier von diesem Schauspiel waren, habe ich wohl nie bei einem andern Fest ein Publikum gesehen.« Welch unendlicher Verlust, dass sich dies nicht malen ließ und dass die, die es versuchten, solch elende Stümpereien abgeliefert haben! Und der romantische Christ Chamisso fügt, drei Jahre vor der Ankunft der ersten Missionare, voll Trauer hinzu: »Es wird nun schon zu spät.«

      Es gibt ein paar wenige Länder, die es verschmähen, auf ihre Briefmarken zu schreiben, wie sie heißen. Großbritannien tut es aus Stolz, hat es doch die Briefmarke erfunden, und alle späteren Benutzer haben sich von ihm zu unterscheiden, statt umgekehrt. Das Land, um das es hier geht, aber tut es aus Verlegenheit; außer einer in allen vier Ecken wiederholten Ziffer, viel Ornamentik und der reichlich unverbindlichen Allegorie eines Merkur-Kopfes bietet es dem Betrachter nichts dar.

      Was auch hätte es schreiben sollen? »Die Gesamtheit der im Reichsrat vertretenen Kronen und Länder«? Etwas lang für eine Marke, und zudem hätte es die nicht-deutschsprachigen Bürger (und das war die Mehrheit) erbost. Selbst so wäre es aber nur eine schnöde Abbreviatur gewesen für: die Königreiche Böhmen, Dalmatien und Galizien, die Erzherzogtümer Österreich unter und ob der Enns, die Herzogtümer Salzburg, Steiermark, Kärnten, Krain, Schlesien und Bukowina, die Markgrafschaften Mähren und Istrien, die gefürsteten Grafschaften Tirol, Görz und Gradisca, das Land Vorarlberg und die Stadt Triest mit Gebiet. Entsprechend tummelten sich auf dem Wappenschild dieses Gebildes, neben allen möglichen verschiedenfarbigen Löwen und Adlern mit ein oder zwei Köpfen, eine rotbewehrte goldene Ziege, eine Dohle, ein silbergehörnter Büffelkopf, ein schwarzbewehrter goldener Steinbock sowie ein feuerspeiendes silbernes Pantel mit Hörnern auf grünem Grund.

      Dies alles bezeugte den Sammeleifer des Hauses Habsburg, das durch Kriege, Heirat, Tausch, Heimfall ein riesiges Reich erworben hatte und nun feststellen musste, dass das Prinzip der dynastischen Addition nicht mehr ausreichte, um es zusammenzuhalten; im Zeitalter des Nationalismus begann es in allen seinen vielen Nähten zu krachen. Reformen schienen unausweichlich; aber es zeigte sich, dass man das Ganze wie einen Magneten in beliebig viele kleine Stücke zerlegen konnte und noch immer jedes davon nach Plus und Minus auseinanderwies. Der größte derartige Schnitt war bereits 1867 geschehen, im sogenannten Ausgleich, als der ungarische СКАЧАТЬ