Название: Zwei Freunde
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957840127
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Die Laternen brannten schon, als der Ausflügler heimkehrte. Die Straße, seine Wohnung waren verwandelt, ein Zauberduft war verflogen. Alles stand nackend da in seiner Wirklichkeit.
Martha war ausgegangen. Die Geheimrätin klopfte und fragte liebenswürdig nach späten Wünschen ihres Mieters. Er half in der Küche und trug sich Tee und Ei auf den Tisch, den die kleinen dicken Finger seiner Betreuerin gedeckt hatten.
Frau von Sydow ließ sich in dem Klubsessel nieder, während der Assessor trank und aß.
»Wir haben noch gar nicht davon gesprochen … Ich danke Ihnen vielmals für die Übermittlung des Briefes! Er hat eine alte Photographie enthalten, die zu besitzen schon lange mein Wunsch war. Meine Verwandten hatten mir das Bild versprochen, und die Sache wurde doch immer wieder vergessen. Hat Frau Grevenhagen Ihnen erzählt, wieso bei ihrem Besuch gerade auf mich und auf diese Bilder die Rede kam?«
»Ich erinnere mich nicht, daß sie darüber etwas sagte.«
»Sehr, sehr schade, daß ich nicht zu Hause war. Es ist wirklich ungemein gefällig von Frau Grevenhagen gewesen, die Sache persönlich zu übermitteln, obgleich unser Verkehr nach dem Tode meines Mannes ganz eingeschlafen war. Ich werde mich natürlich noch bedanken. Welchen Eindruck macht Ihnen Frau Grevenhagen denn nun?«
»Eine vornehme Dame. Ich finde nichts Auffälliges an ihr.«
»So … so. Ja, ich freue mich, die Verbindung mit dieser Familie wieder aufzunehmen. Sie hatten also gesagt, daß Sie hier wohnen?«
»Das hatte ich wohl einmal erwähnt.«
»Daran taten Sie recht. Schmeckt es Ihnen? Sind Sie denn satt?«
»Danke, vollständig.«
Wichmann half, das Geschirr hinaustragen.
Als er wieder allein unter seiner grünen Stehlampe saß, zog er die Brieftasche hervor und holte die Papiere aus dem sonst nicht benutzten Fach ans Licht. Er studierte die zitternde Schrift auf dem Schuldschein und legte das Notizblatt mit den Bleistiftzügen »Boston nach der Pause. M. G.« daneben.
Lange saß er davor.
Glich sich nun die Schrift, oder glich sie sich nicht? Bei dem flüchtigen Gedächtnisvergleich, der ihn an jenem Morgen nach dem Ball auf Grund der Briefadresse möglich geworden war, hatte er keinen Zweifel mehr gehabt, daß der Zettel von Marions Hand beschrieben war. Jetzt fiel ihm auf, daß vieles zwischen den beiden Schriftproben nicht übereinstimmte. Einzelheiten, die Richtung der Buchstaben, aber auch der ganze Zug, waren für das genau prüfende Auge nicht gleich. Selbst wenn man die Verschiedenheiten der Umgebung, der Stimmung, des Inhalts berücksichtigte, wurde es immer unwahrscheinlicher, daß die »Aufforderung zum Tanz« von der Schreiberin des Schuldscheins geschrieben sein könne. Aber wie? Wer konnte zu einem Zettel aus Marions Notizbuch gekommen sein? Wichmann hatte auch davon ein Zweitstück, mit der Angabe des Gutskontos. Die Zettel stimmten haargenau überein. Aber die Schrift, nein, die Schrift war wirklich verschieden. Also hatte doch jemand gewagt, Marions Schriftzüge nachzuahmen?
Wer?
Borowski oder Nathan konnten sich einen solchen Zettel kaum verschafft haben, und woher sollten sie Frau Grevenhagens Schrift kennen? Es war auch unwahrscheinlich, daß ein zweiter einen Notizblock derselben Art besaß, da er englisches Erzeugnis zu sein schien.
Sonderbar.
Wer war denn nun der Schuft? Oder hatte Marion selbst ihre Schrift verstellen wollen? Dann wäre es leicht gewesen, sie noch viel mehr zu verändern.
Sollte Wichmann die beiden Proben einem Schriftsachverständigen vorlegen? Nein. Der Name Grevenhagen war zu kostbar dafür und die Sache nicht mehr wichtig genug. Größere Dinge waren unterdessen geschehen.
Der Assessor barg die Papiere wieder in seiner Brieftasche.
Dann öffnete er den Schreibtisch, holte die Duplikate des Wertpapierverzeichnisses und des Kontoauszuges hervor, die ihm seine Bank zugesandt hatte, und rechnete mit Hilfe des Kurszettels.
Sein Vermögen reichte für die Kreditgewährung aus. 1500 RM konnte er sogar noch für sich behalten.
Morgen wollte er die Angelegenheit auf der Bank regeln, ehe er sich in den Dienst begab.
Als Oskar Wichmann am Morgen in dem Schalterraum der Bank stand, konnte er sich der nüchternen Feierlichkeit des Nur-Geschäftsmäßigen nicht ganz entziehen und legte das Verzeichnis der zu übereignenden Wertpapiere und des Spitzenbetrages in bar mit der verborgenen Unruhe eines Verbrechers vor. Er stand etwas steifer als sonst, sein Blick war schärfer, wie in Abwehr gemutmaßter Schwierigkeiten. Seine Stimme hatte etwas gewollt Gleichgültiges. Der ältere Bankbeamte las das Verzeichnis und die Angabe des Kontos, dem der Wert überwiesen werden sollte, und prüfte die Kurse nach. Er erlaubte sich, die Brauen hochzuziehen und Oskar Wichmann anzusehen, aber er sagte nichts und schob dem Kunden den Block mit dem vorgedruckten Überweisungsformular hin. Als Wichmann ausgefüllt und unterschrieben hatte, wurde seine Anweisung weitergegeben. Er hörte gedämpfte Bemerkungen der Beamten untereinander; der ältere, der ihn bedient hatte, wandte den Kopf noch einmal halb, ein letzter erstaunter Blick traf Wichmann, dann war der Auftrag im Geschäftsgang.
Oskar Wichmann bereute es nachträglich, bei der Überweisung auf das Gutskonto hinzugefügt zu haben: »Für Frau Marion Grevenhagen.« War es notwendig, ihren Namen den tuschelnden Bankleuten preiszugeben? Aber Wichmann kannte den Namen des leichtsinnigen Bruders nicht.
Der Weg zum Ministerium war von der Bank her weiter als von der Kreuderstraße. Wichmann gelangte zu der Ostseite des Königsplatzes, und da die Zeit längst über die Stunde des Dienstbeginns hinaus drängte, erlaubte er sich, gleich den Haupteingang zu benutzen. Der Fahrstuhlführer grüßte freundlich und ließ den Assessor in den Aufzug eintreten; er drückte auf den Knopf, und schon war der zweite Stock erreicht.
Wichmann wollte den grauen Korridor entlanglaufen und gedachte einen Moment des Tages, an dem er zum erstenmal seine Schritte hierher gelenkt hatte. Trotz seiner Verspätung blieb er eine Sekunde stehen und schaute aus der Erinnerung heraus nach dem elektrischen Lichtschein aus dem Melde- und Botenzimmer und nach den hohen hellgrauen Türen rechter Hand. Überrascht stockte sein Fuß, den er schon wieder hatte in Bewegung setzen wollen. Vor dem Raum Nr. 411, in den man nur durch das Vorzimmer einzutreten pflegte, stand ein Herr in dunkelgrauem Anzug, eine Aktenmappe unter dem Arm, mit etwas seitlich gehaltenem Kopf, als ob er lausche. Seine mittelblonden Haare wuchsen frisch gewaschen in die Höhe. Er sah sich jetzt schnell nach beiden Seiten um, jedoch nur sehr flüchtig und ohne Wichmann zu bemerken. Dann machte er zwei Schritte auf den Zehenspitzen an die Tür heran, duckte sich und spähte durch das Schlüsselloch.
Wichmann war starr, nicht nur aus dem Bestreben, unbeobachtet zu bleiben. Das Bild, das er von Art und Benehmen eines hohen Beamten aus seinem Vaterhause mitgebracht hatte, erhielt einen kräftigen Stoß. War es möglich? Herr Ministerialrat August Nischan lauschte und spitzelte an den Türen seiner Kollegen.
Es war ein widerlicher Anblick.
Wichmann ging weiter und ließ seine Schritte absichtlich hören. Nischan entfernte sich von der Tür, lief Wichmann noch voraus um die Ecke herum und verschwand in der Handbücherei.
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