Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Zwei Freunde

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783957840127

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СКАЧАТЬ zwanzigtausend Mark erhalten zu haben bestätigt

       Marion Grevenhagen«

      Wichmann legte das Blatt in seine Brieftasche, neben den ersten Gruß von Marions – Marions? – Hand.

      »Gnädige Frau, ich werde die Überweisung veranlassen.«

      Frau Grevenhagen stand auf. Sie taumelte, Oskar Wichmann stützte ihren Arm und führte sie.

      »Darf ich Ihnen eine Stärkung anbieten?«

      »Nein. Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich werde daran denken, daß Sie meinen Bruder und mich gerettet haben.«

      Im Märzmittag mit seiner sonderbar feuchten, bedrängenden Frühlingswärme sah Oskar Wichmann die schmale dunkle Frauengestalt durch das Rosentor zurückgehen.

      Er saß an seinem Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände.

      Den Brief für die Geheimrätin von Sydow hatte er Martha übergeben.

      Er verließ das Haus und fuhr zu einem ferngelegenen Wald und einem See, um mit sich allein zu sein. Seine Gedanken setzten aus. Er wußte nichts, als daß er da und daß etwas um ihn war, und betrachtete sich selbst, das Wasser, den Sand und die Bäume mit einer ihm selbst fremdartigen Neugier.

      Seine Füße gingen leicht und rasch. Die Wanderschuhe von gewollter Derbheit prägten ihre Spur in den von Feuchtigkeit festgebackenen Ufersand. Wichmann empfand die Schattierungen seiner eigenen in dunklem Grün gemusterten Hülle und die einsame Vorfrühlingslandschaft als etwas einander Angepaßtes. Die Haut seiner Wangen sprang auf; der Wind, der über den See kam, wühlte in den Haaren des Wanderers und sang in den Bäumen. Der Himmel war licht, aber über der Ferne der Erde lag eine Nebelhülle, die die Ufer jenseits der Wasserfläche verbarg. Das Auge glaubte über den Spiegel in das Unbegrenzte zu sehen. Unter dem Streichen der Luft kräuselten sich Wellen und kamen zum Ufer heran. Sie brachten altes Holz und zerbrochene Muscheln. Der Wanderer blieb stehen und sah den Wellen zu, die mit bräunlichem Schaum am Sandstrand aufwärts glitten und wieder zurückflohen. Das Element, das die Meere füllen und die Felsen brechenkonnte, spielte hier ein melancholisches, sich unendlich wiederholendes, sachtes Spiel. Einmal leckte es dem Menschen um die Füße, und er wich zurück, während er sich selbst ob seiner törichten Furcht schalt. Aber es war ihm gewesen, als ob die Pfoten einer sehr großen Katze nach ihm taste, um ihn zu greifen.

      Seine Schritte gingen weiter, am leeren Strand, auf verlorenen Waldwegen. Verästelte Eichkronen streckten sich in die Feuchtigkeit und die Sonnenwärme der Luft und ließen ihre schlafenden Triebe umstreicheln. Die winterharten Nadeln der Kiefern sahen grau und überlebt aus. Die Krähen krächzten und entfalteten das schwarze Gefieder; sie waren noch hungrig. Am Ufersteg schaukelte ein Kahn, den der Winter leck gemacht hatte. Wasser stand darin, und die Farben waren ausgelaugt.

      Es lag eine gewisse Ruhe über dem Land nach dem Ausgang des harten Winters. Was dem Frost erlegen war, war nun tot. Aber neben dürren Halmen kroch ein grünes Blatt hervor, es schwoll von Leben und Saft auf, als habe es den Tau im Winde gerochen, und reckte sich. Was kümmert es dich, du an den Boden Gebundenes, daß der Himmel so fern ist? Du lebst, und seine Sonne gehört auch dir.

      Die Gelenke und Muskeln des Mannes waren beweglich und kräftig, und er lief, ohne zu ermüden. Das Gefühl der Bewegung war es, was er suchte, die Rastlosigkeit des Weiterschreitens und des Hintersich-Zurücklassens, deren Anstrengung genügte, um Herz und Hirn in ihren Bann zu nehmen. Als die Stunde vorrückte und der Wanderer sich einer neuen Bucht näherte, hoben sich die Mittagsnebel von den Ufern. Eine Flut von Silber ergoß sich aus der Himmelshöhe über die Wasser. Dunkle Waldrücken säumten und hegten den See.

      Der Wind war eingeschlafen. Die Stille der Landschaft, die Reglosigkeit der Wasser, die Trauer der dunkelgrünen Nadelbäume hatten etwas Leeres, den Willen Aufsaugendes an sich.

      Oskar Wichmann freute sich über den beginnenden Hunger, der ihn das Wirkliche und Bedürftige seines Daseins empfinden ließ. Er hatte kein Stück Brot bei sich, und der Wald und das Wasser dehnten sich weit. Sein Verstand begann zu arbeiten wie der eines nahrungsuchenden Tieres und sah sich selbst bei dieser Tätigkeit zu. Die Schritte hielten unwillkürlich an, das Auge prüfte Richtungen, und die Einbildungskraft kehrte aus der empfindsamen Hingabe an die Natur um zu dem Aufspüren der Wahrscheinlichkeit menschlicher Niederlassungen. Die unfruchtbaren Waldufer gaben kein Zeichen davon, aber die flachen Buchten in der Ferne ließen die Flecken roter Ziegeldächer erkennen. Der Richtungsweiser war gefunden.

      Die Sonnenstrahlen strichen schon flach über die Erde, als Oskar Wichmann in das einstöckige Gasthaus eintrat und Malzkaffee, Brot, Butter und Wurst erhielt. Der geheizte Raum war nicht hell, die Fenster waren klein. Einfache Stühle und Tische mit blauen Decken, billige Fabrikware, möblierten die Gaststube. In der Ecke saßen zwei einheimische Männer, Landwirte oder Handwerker, sie tranken Bier und rauchten. Oskar Wichmann aß Brot und Schinkenwurst in großen Bissen. Mit Willen ließ er seine Gedanken im Realen spielen und mußte lächeln bei der Vorstellung, was die beiden Männer in der Honoratiorenecke wohl dazu gesagt hätten, daß ein Doktor der Rechte sein Erbteil von zwanzigtausend Mark einer schönen Dame gegen einfachen Schuldschein ohne Zins und ohne Rückzahlungstermin ausleihen wollte. Wahrscheinlich hätte sich ihre Überzeugung von der Minderwertigkeit einer solchen Handlungsweise nicht ändern lassen, auch wenn sie von dem Reichtum, der Beamteneigenschaft und unantastbaren persönlichen Ehrenhaftigkeit des Gatten dieser Dame erfahren hätten. Oskar Wichmann wurde sich klar, daß er vorläufig sparen mußte; die Zinsen der ausgeliehenen Summe würden ihm fehlen. Doch das Regierungsratsgehalt, das ihm in Aussicht stand, konnte davon manches ausgleichen. Sein Entschluß brauchte im übrigen nicht endgültig zu sein, wenn er nicht wollte. Er konnte die Überweisung immer noch unterlassen und den Schuldschein zerrissen zurückschicken. Eben diese Freiheit aber, die ihm blieb, bestärkte ihn in seinem Vorsatz. Auch Marion hatte nicht geschäftlich gehandelt, als sie unterschrieb, erhalten zu haben, was sie noch gar nicht besaß.

      Oskar Wichmann wurde immer mehr zumute wie einem Menschen, der eine steile Höhe gewonnen hat und sich mit nachlassender Muskelspannung auf den Boden wirft, um das Erreichte zu genießen, die verlassene Tiefe zu überschauen – und nicht an das Kommende zu denken. Eine ungeheure Spannung hatte ihn verlassen, er fühlte sich locker und befriedigt; es war etwas von ihm abgefallen; er spürte die Befreiung. Das Hoffnungslose seiner Sehnsucht war getilgt, seine drängende Phantasie löste sich in einer Tat, wenn auch in einer überraschenden und sehr andersartigen, als er geträumt hatte. Marion hatte ein Geheimnis mit ihm. Auf diese Weise hatte sie sich ihm gegeben, sie war nicht mehr das vollständig Unerreichbare. Sein finanzielles Risiko dabei belastete den jungen Mann wenig. Er fühlte sich gesund, begabt und arbeitsfähig; sein Vorwärtskommen schien gesichert, und seine Ansprüche an Wohlleben waren nicht übermäßig. Er konnte verzichten, ohne sich zu kränken. In seinem Vaterhause war von Geld nie gesprochen worden, die materielle Seite des Daseins beschäftigte dieses Haus einer durch das Vermögen der Vorfahren gesicherten, pensionsberechtigten, ganz auf die geistige Leistung gerichteten Existenz kaum. Der studierende Oskar Wichmann hatte zudem zwischen ehemaligen Kriegsteilnehmern und verarmten Rentnersöhnen gelernt, daß Armut keine Schande sei. Mochten zwanzigtausend Reichsmark vorläufig dazu dienen, einem eleganten und unwürdigen Offizier das Leben zu verlängern, weil seine Schwester geliebt wurde. Wichmann gestand vor sich selbst nicht im geringsten ein, daß die Sicherheit, die in dem Namen Grevenhagen lag, für seinen scheinbar unbekümmerten Entschluß eine unterirdische Rolle spielte.

      Er bestellte sich noch ein Viertel Wurst und ein dunkles Bier und gab seiner Zunge und seinem Magen damit, was sie im Augenblick begehrten. Wichmann wollte nicht in seinen eigenen Fußstapfen zurücklaufen. Der Wirt erklärte einen anderen Weg zur Bahn, der allerdings auch weit und zeitraubend war, aber doch neue Eindrücke versprach.

      Oskar СКАЧАТЬ