Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Zwei Freunde

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783957840127

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      »Wir sind Kindsköpfe, Oskar! Schlag dir alles aus dem Kopf. Vielleicht komme ich doch einmal zu dir und zu dem jour fix in der Kreuderstraße 3?«

      Es war Wichmann, als ob eine Fessel von ihm abfalle. Er begann zu lachen und zu plaudern.

      »Ganz falsch, teures Schwesterherz. Ich kündige das Zimmer in der Kreuderstraße und ziehe um. Aus den Augen, aus dem Sinn! Sind wir Männer nicht so?«

      »Vielleicht sollt ihr so sein, ihr Verbrecher.«

      Vera huschte zu dem nächsten Weg, der wieder in das Tal, führte. Die Geschwister stiegen ab.

      Als am nächsten Morgen die lärmende Bahnhofshalle der großen Stadt den Zurückkehrenden in sich aufnahm und ihn wieder hinausspie in die kalten Straßen, in denen der morgendliche Winterwind herumirrte, fand Oskar Wichmann den Weg in sein Arbeitszimmer, ohne erst in das geheimrätliche Haus gegangen zu sein. Er wusch sich noch einmal die Hände, an denen immer noch Ruß zu kleben schien, steckte eine Zigarette an und sah die Neueingänge auf seinem Aktenbock durch. Es waren ihrer wenig. Man merkte, daß Grevenhagen noch auf Urlaub war. Auch die Tischrunde in der »Stillen Klause« hatte sich sehr verkleinert. An manchen Tagen erschien niemand als Wichmann und Casparius.

      Die Kündigung bei der Geheimratswitwe war noch nicht ausgesprochen. Vor dem 1. Februar konnte der Mieter nicht ausziehen, wenn er nicht doppelt bezahlen wollte. Der letzte gesetzliche Kündigungstag war der 15. Januar. Der Anstand erforderte es, daß er spätestens am 1. Januar seine Absicht auszuziehen, bekanntgab. Bis dahin blieben noch einige Tage. Die Geheimrätin hatte Mandelplätzchen und Zimtbrötchen gebacken, von denen täglich sechs Stück in einem Körbchen auf des Assessors Schreibtisch standen, und täglich wurde von Weihnachten bis Neujahr das Sonntagsfrühstück serviert. Die Kreuderstraße 3 lag verlassen und verschlossen. Wichmann stand ein paarmal sehr früh auf und ritt allein durch den Park. Ein hübscher temperamentvoller Fuchs aus Privatbesitz sollte gerührt werden, und der Assessor kam auf diese Art zu einem annehmbaren Pferde. Er fühlte sich sicher auf dem Pferderücken.

      Der Fuchs begrüßte ihn jedesmal zärtlich, und wenn das Tier ein Stück Zuckerrübe erhalten hatte, rieb es seine flaumweiche Schnauze an Wichmanns Wange.

      Die Stallknechte wußten, daß Wichmanns Zigaretten gut waren.

      »Komm’ Sie«, sagte Arnold, »ich zeig’ Ihnen was Feines.«

      Er führte Wichmann zu einer Box mit zwei Grauschimmeln. »Sehn Sie, das ist Vollblut.«

      Die edlen Tiere waren unruhig. Der Hengst äugte zu den Herankommenden und stampfte.

      »Das ist ein junger … Wie alt schätzen Sie? Keine drei Jahre hat er. Der hat den Teufel im Leib. Er steht jetzt zu viel im Stall. Ich geb’ ihn Ihnen gern – aber Sie fliegen – lassen Sie’s lieber sein. Die Stute schon eher. Aber wenn was passiert? Lassen wir’s lieber sein. Die zwei sind ein Stück Geld wert. Was glauben Sie? Ein paar zehntausend, aber sie sind’s mehr als wert. Der Grevenhagen hat eine feine Nase.«

      Wichmann zuckte zusammen.

      »Den müssen Sie einmal reiten sehn, da kann ein jeder noch lernen. Den und die gnädige Frau auch, so was sieht man nicht mehr alle Tage – Neujahr kommen sie wieder. Mir ist’s recht. Ich habe jetzt nur das Theater mit dem Teufel da … und wenn mir was passiert …!«

      Der Hengst schnaubte. Er hatte einen wunderbaren Kopf, unter seinem Fell spielten die Muskeln. Jede Bewegung war ein Tanz. Die Stute war ihm gleich in Färbung und Bau, kaum merklich kleiner, im Blick lag ein sanfterer Schimmer. Wichmann hatte den Traum, diese Tiere über eine weite Ebene fliehen zu sehen. Ach, ihre Hufe traten nur das Stroh in der Box, und sie scharrten und suchten Zuckerrüben in Wichmanns Tasche statt das Gras der Steppe.

      »Nehmen Sie sich in acht vor dem …«

      Wichmann trat zurück. Sein hübscher Fuchs war ein Ackergaul im Vergleich zu dem Grauschimmelpaar.

      »Neujahr kann ich nicht kommen.«

      »Nicht? Da wird Ihr Fritz aber traurig sein. Das ist nicht zu glauben, wie gern der Sie hat. Der Herr von Schilling kommt erst am 8. Januar zurück – dann muß ich mich eben solange um den Fritz kümmern. Er wird ja traurig sein. Schaun Sie zu, ob Sie nicht doch kommen können!«

      Als Wichmann am Neujahrsmargen den Stall mit Sonnenaufgang betrat, empfand er den Geruch von Hafer und Mist stärker als sonst. Die Stalluft fühlte sich warm an im Gegensatz zu der eisigen Frische draußen. Die Pferde schienen lebhaft. Der junge Reiter bekam seinen Fuchs, der mit Freuden heraustänzelte, und trabte durch den Park. Die Erde war hart, die Teiche hatten sich mit grauen Eisschichten überzogen, an den Ufern häufte sich der dick zusammengekehrte Schnee. Enten fischten eifrig in einem Eisloch, und durch die Zweige der hohen Bäume schlüpften die Meisen. Wichmann hörte die Aufschlägeder Hufe des eigenen Tieres, das in den Morgen hineinlief. Sein Körper hob und senkte sich im Auffangen der Trabstöße. Die Reiterhaltung war ihm schon gewohnt geworden. Sporen und Peitsche waren mehr das Zeichen seiner Herrschaft als Gegenstände des Gebrauchs. Im Rondell beobachtete er ein Tier an der Longe … Ja, bis zur Hohen Schule war noch ein weiter Weg, wie weit, das hatte er erst begriffen, als er zu lernen anfing.

      Fußgänger ließen sich noch kaum sehen. Wichmanns Hände froren am Zügel. Er hatte das Gefühl, daß seine Nasenspitze sehr rot sein müsse. Alle Gedanken und Entschlüsse, mit denen er das neue Jahr hatte anfangen wollen, waren versunken und vergessen. Er wußte nichts, als daß Morgen war und daß er schnell durch den Wind ritt.

      Im Nebel stieg der rote Sonnenball. Sein Licht glitt wie ein Feenkleid zwischen dunklen Stämmen durch. Die Enten humpelten tolpatschig über das Eis.

      Oskar Wichmann hatte sein Tier in Schritt fallen lassen. Er schaute die lange, baumüberdachte Allee hinunter, die sein Lieblingsweg war. Hufspuren vom Vortage waren im Boden festgefroren. Der Reif hatte sich an den Fährtenrändern abgesetzt und leuchtete mit weißen Kränzchen, wenn die Sonnenhelle schräg durch die Zweige schimmerte. Der Blick folgte dem langen schwarzerdigen Weg zwischen den fleckstämmigen Riesenwächtern zurück bis zu seinem Anfang, der ganz im Licht lag. Wie eine Quelle des Morgens war jenes weiße Leuchten, aus dem der Reitweg kam, eine Öffnung, aus der Himmelsfülle über die Erde hereinfloß. Wichmann hatte seinen Fuchs zum Stehen gebracht und schaute mit der Empfindung, daß ein neues Jahr zu Unbekanntem beginne, die große Allee hinab, die in ihrer Einsamkeit nur ganz sie selbst war … Erde, Baum, Licht und Winter.

      Er wunderte sich nicht, daß sie aus ihrem lichten Anfang das sich Bewegende gebar. Erde, zur Schwere verdammt, streckte sich liebend unter die Wesen, die sie in dahineilendem Spiele traten, Zweige schüttelten weiße Flocken, um den schnellen Boten des Morgens ihren Gruß zu geben, und die Sonne stieg und schmeichelte mit ihren nie greifbaren Händen den mutwilligen Geschöpfen.

      Das laute Klopfen der Hufe kam in die Allee zwischen den stummen Tanz von Schatten und Licht herein. Schon umfaßte das Auge die Schönheit des schnellen Laufs, die Gestalt der edlen Tiere. Mit geblähten Nüstern, die Kräfte kaum hemmend, mit wehenden Schweifen trabten sie dahin. Gespitzte Ohren, das Gefunkel ihrer Lichter, der Dampf vor den Nüstern waren Jugend und Morgenfrühe. Das grauweiße Fell hatte die Farbe des beginnenden Wintertages, der noch immer zwischen Nebel und Helle kämpfte. Schwarz, schmal und stolz saßen die Reiter auf dem Rücken der Tiere. Fast schienen sie ohne eigene Schwere, eins mit den Körpern, die sie durch den. Wald trugen. Die Hände hielten die Zügel mit einer strengen Leichtigkeit. Der übereinstimmende Rhythmus der beiden Tiere, die Gestalt und Haltung von Reiter und Reiterin in ihrem Ebenmaß waren ein unwiderstehliches Bild der ästhetischen Vollkommenheit.

      Wichmann СКАЧАТЬ