Gegendiagnose II. Группа авторов
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Название: Gegendiagnose II

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Социальная психология

Серия:

isbn: 9783960428138

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СКАЧАТЬ bei einer christlichen Jugendgruppe aktiv ist. Als sie am Ende des Gesprächs nochmal fragt, was sie jetzt tun muss, sage ich eindringlich, dass ihr Ziel sein muss »wieder klar zu kommen« (womit ich absichtlich einen Sprachstil verwende, den ich normalerweise in der Klinik nicht an den Tag legen würde, aber der mir hier angemessen erscheint) und sie wieder lernen muss, die Realität von ihrer Phantasie zu unterscheiden. Als wir aufstehen, will sie mich zum Abschied umarmen, was ich wiederum beschämt ablehnen muss. Holprig versuche ich ihr zu erklären, dass wir uns so verabschieden könnten, wenn wir uns außerhalb der Klinik kennengelernt hätten, in der Klinik aber eine gewisse Distanz zwischen Patient*innen und Personal vonnöten ist.

      Gewalt

      Am nächsten Tag bekomme ich den ersten richtigen Ausraster eines Patienten mit. Nachdem ich Schreie gehört habe, gehe ich auf den Gang hinaus und kriege mit, wie der Assistenzarzt Herr Schmitz auf Herrn Berg versucht beruhigend einzureden. Herr Berg ist ein Patient, der sich ursprünglich selbst eingewiesen hatte, hier aber eine Medikation verweigert hat und seitdem schon eine Weile auf unserer Station nach §1906 BGB zwangsuntergebracht ist. Herr Berg lässt sich aber gerade nicht beruhigen. Er schreit den Arzt an: »Was?«, woraufhin er sich umdreht und in sein Zimmer stürmt. Herr Schmitz sagt, während er schon am Gehen ist: »Schreien sie nicht so rum, Herr Berg«, woraufhin er wieder zurück aus seinem Zimmer kommt und aggressiv auf den Arzt zuläuft und ihn anschreit: »Woher wollen sie wissen, dass ich Herr Berg bin?«, um daraufhin wieder zurück in sein Zimmer zu rennen. Dabei ist er ihm so nahegekommen, dass Herr Schmitz sich danach die Spucke aus dem Gesicht wischen muss. Herr Schmitz, der noch recht schockiert wirkt, meint während er an mir vorbei in den Stützpunkt geht: »Ok. Das ist jetzt kurz vor der Fixierung«. Auch eine Patientin kommt an und sagt: »Den muss man doch festbinden!«.

      Ein paar Tage später wird in der Stationsbesprechung noch mal der Ärger bezüglich der stagnierten Behandlung von Herrn Berg deutlich. Eine Ärztin sagt, er »steckt in den Bürokratiemühlen fest […] das kann doch eigentlich nicht wahr sein, wenn es um die menschliche Gesundheit geht […] Das regt mich so auf!«. Ein paar Minuten später kommt aber die Oberärztin hinzu und gibt bekannt, dass nun ein Beschluss vom Amtsgericht durch ist. Während die Anwesenden sich schon zu freuen beginnen, relativiert sie es sofort, indem sie sagt, das sei »keine card blanche […] eigentlich können wir davon nur Tavor [also ein Beruhigungsmittel und kein Neuroleptikum; R.I.] geben«. Herr Berg tanzt währenddessen im Hintergrund (durch die zwei Glasscheiben sichtbar, die den Stützpunkt vom Flur und den Flur vom Aufenthaltsraum trennen) zur Radiomusik im Aufenthaltsraum herum. Das Team einigt sich, dass sie die Behandlung nun schnell noch machen wollen, bevor die Gruppenvisite losgeht. Mir wird gesagt, dass ich an der »Sitzwache« mitmachen soll. Die folgende Prozedur ist mir noch nicht bekannt und da gerade nicht die Zeit für Fragen zu sein scheint, versuche ich nicht im Weg rumzustehen, während eine stille aber hektische Betriebsamkeit beginnt. Ein paar Pfleger*innen bereiten das Fixbett vor, während der Rest noch eine kurze ›Aktionsbesprechung‹ durchführt (es geht unter anderem darum, wer welche Körperteile festhalten soll). Ich werde zunehmend nervöser. Die Patient*innen, die sich noch im Aufenthaltsraum oder auf dem Flur befinden, werden gebeten, sich in ihre Zimmer zu begeben und dort zu warten. Mir wurde währenddessen ein Tablett mit dem Spritzbesteck in die Hand gedrückt. Das ganze Personal ist mittlerweile auf dem Flur – daher wird auch der Stützpunkt abgeschlossen. Herr Berg tanzt weiterhin fröhlich im Aufenthaltsraum herum, als zwei Ärzt*innen und zwei Pfleger*innen dazukommen. Die Oberärztin geht zu ihm hin und bittet ihn mit ihr auf sein Zimmer zu gehen. Währenddessen gesellt sich in einem Kreis um ihn herum immer mehr Personal dazu, wobei zwei noch den zweiten Türflügel des Aufenthaltsraums aufmachen. Herr Berg weigert sich erst mitzukommen und sagt: »Es reicht jetzt. Ich will jetzt hier raus!«, lässt sich dann aber doch ohne direkten körperlichen Zwang in sein Zimmer begleiten. Dort wird sofort das Fixbett hinterhergeschoben und während sich die Oberärztin und er auf sein Bett setzen und sie ihm die Situation erklärt – »Das Gericht hat jetzt entschieden, dass wir sie behandeln dürfen, auch unter Zwang« – kommt das restliche Personal in sein Zimmer und schließt die Tür, so dass sich am Ende vier Ärzt*innen, vier Pfleger*innen und ich uns in seinem immer kleiner werdenden Zimmer befinden. Die Oberärztin sagt: »Fixierung ist das Letzte, was wir wollen […] Wenn sie jetzt ihre Tabletten nehmen, wird das [während sie in Richtung des Fixbettes nickt] wieder rausgeschoben«. Nach kurzer Zeit und weiterer Überzeugungsarbeit fügt sich Herr Berg, der mittlerweile ganz blass geworden ist, der Aufforderung und stimmt zu, die Tabletten ›freiwillig‹ zu nehmen; was er noch in Anwesenheit des gesamten Personals in die Tat umsetzen muss. Daraufhin wird das Fixbett wieder rausgeschoben und alle verlassen sein Zimmer; bis auf die Oberärztin, die noch weiter auf Herrn Berg beruhigend einredet.

      Im Anschluss daran wird die Gruppenvisite vorbereitet, bei der es heute passender Weise um ›Machtkämpfe‹ gehen soll, was die Ärztin in der Runde so erklärt, dass es heute darum gehen soll, zu lernen: »Wie ich ein dickeres Fell kriegen könnte? Mich zum Beispiel weniger schnell an Kleinigkeiten aufreibe.« Mir kommt es so vor, als würden im Verlauf mehrere Patient*innen über die Zwangsbehandlung reden ohne sie explizit anzusprechen: »Dann treffen zwei Dickköpfe aufeinander und einer muss nachgeben«, »das sind dann zwei verschiedene Welten«, »sobald es um Machtkämpfe geht, kann ich mich nicht immer distanzieren oder ›Abstand von der Situation‹ nehmen, wie sie sagen«. Am Ende meldet sich nochmal ein älterer Patient zu Wort und bedankt sich erst für die »gute Pflege«, um dann aber zu betonen, dass er »hier raus will«, aber nicht, weil es hier wie in einem »Gefängnis« wäre, sondern weil er einfach nur nach Hause will, nachdem er »hier gut verpflegt wurde.« Eine andere Patientin antwortet daraufhin: »Ja. Da sprechen sie was an, dass uns alle betrifft. Dass hier über uns bestimmt und entschieden wird. Damit hat auch jeder hier irgendwie zu kämpfen.«

      Ich war ziemlich schlecht drauf wegen der Zwangsbehandlung. Ich bin nach der Gruppenvisite erst mal in ein Personalzimmer gegangen, das außerhalb der Station liegt, weil ich wusste, dass ich da wahrscheinlich allein sein würde – auch um das eben Erlebte niederzuschreiben. Als dann wenig später doch ein Arzt in das Zimmer kommt, um an seinem Computer zu arbeiten, bin ich dann nach draußen weitergeflüchtet, um mir eine Zigarette zu schnorren und eine zu rauchen. Ich kam mir vor wie ein Täter, ein Verbrecher. Mir war regelrecht körperlich schlecht. Zwar habe ich ›nur‹ rumgestanden und das Spritzbesteck gehalten, das ja nicht einmal zum Einsatz kam, doch war ich genau damit ein Teil dieser überfallenden Macht, ein Teil der Gewalt. Nachdem mich dann später Herr Schmitz auf dem Stützpunkt nebenbei fragt, wie es mir gerade geht, schweige ich erst und erzähle ihm dann, dass es mir nicht so gut geht, dass ich anscheinend ein Problem mit Zwangsbehandlungen habe. Er fragt mich erst, wie es so war, da er selbst nicht direkt dabei war, danach reden wir über Ethik, Widersprüche zwischen Hilfe und Zwang, Abwägen im individuellen Fall und in jeder Situation, machen Vergleiche zwischen Patient*innen (»Frau XY würde man nicht zur Blutabnahme zwingen«) und anderen Möglichkeiten bzw. der ›Unmöglichkeit‹ einer Psychotherapie bei akuten Psychosen.

      Epilog