Gegendiagnose II. Группа авторов
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Название: Gegendiagnose II

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Социальная психология

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isbn: 9783960428138

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СКАЧАТЬ seems that people may choose themselves and shape their future by eradicating their past. Tragedy may be averted by no more, essentially, than wishing that things might be otherwise, and reality is reduced to a set of stories that may be manipulated to result in happy endings. The only thing that people are called upon to do to realise their dreams is to consume, and psychology has been fundamental to the creation of the perfect consumer. […] The strength and integrity of the subject is determined not (as therapeutic psychology would have us believe) by efforts of free will, but by the adequacy or otherwise of the environment (including, crucially, the public societal structures) in which it is located. (Smail 2005: ii-iv, Hervorh. i.O.)18

      Ich möchte das an meinem eigenen Beispiel verdeutlichen: Im Rahmen meiner körperpsychotherapeutischen Ausbildung machte ich auch selbst eine Körperpsychotherapie. In dieser Zeit erlebte ich Phasen, in denen ich das Gefühl hatte, kaum noch klar zu kommen. Ich verbrachte dann diese Tage zu Hause im sicheren Bett und hoffte, die Krise würde bald wieder aufhören. Verschiedene Ängste, düstere Vorstellungen und Auflösungsgefühle tauchten auf und ich war mir manchmal nicht sicher, ob ich da wieder heil herauskommen würde.

      Ich wusste aber: wenn es zu schlimm würde, könnte ich jederzeit meine beste Freundin anrufen, die im gleichen Haus wohnte und als Krisenberaterin arbeitete. Ich war finanziell und beruflich abgesichert, hatte von daher genügend Zeit zur Verfügung, mich frei von existentiellen Sorgen meinem Innenleben zu widmen. Mein Freund*innenkreis und das Netzwerk Stimmenhören waren an meiner Seite. Außerdem fanden die Krisen im therapeutischen Rahmen statt, ich konnte neue Ideen zu den Bedeutungen der finsteren Welten, die mir da erschienen, entwickeln und konnte sie in meinen therapeutischen Prozess einordnen. Äußerst günstige Rahmenbedingungen also, um an mir ›erfolgreich zu arbeiten‹. Auch verstand meine Therapeutin ihre Arbeit nicht darin, mich auf die kapitalistische Realität einzuschwingen, sondern sie war mir eine Stütze darin, mich möglichst selbstbestimmt und kraftvoll mit diesem System auseinandersetzen zu können.

      Ich glaube, es wird deutlich, wie anmaßend und verletzend es ist, dieses ›erfolgreiche Arbeiten‹ von allen Menschen zu verlangen, und ihnen bei ausbleibendem ›Therapieerfolg‹ fehlende Motivation vorzuwerfen! Der Großteil der Bevölkerung ist nicht so privilegiert wie ich. Immer weiter verbreitete materielle Ängste, soziale Isolation, (Selbst-)Stigmatisierung, pathologische Erklärungsmodelle und der immerwährende Leistungsdruck sind das Gegenteil von hilfreichen Ressourcen zur Krisenbewältigung! Viel hilfreicher ist es, explizit anzuerkennen, wie entkräftigend und einengend diese Umstände sind und wie sehr sie außerhalb des individuellen Wirkungskreises liegen.

      Versteckt hinterm Mantel der Professionalität?

      Auf den verschiedenen Veranstaltungen der Stimmenhören-Bewegung19 fällt mir immer wieder auf, dass die Mehrheit der Expert*innen durch Beruf weiterhin an ihren Machtpositionen festhält, auch wenn wir davon reden, Hierarchien aufzulösen. Wir benutzen eine akademische Sprache und wir sprechen, so wie wir das gewöhnt sind, über unsere Klient*innen anstatt über uns selbst. Unsere jahrelangen Ausbildungen haben uns verinnerlichen lassen, dass Theorien gültiger sind als persönliche Geschichten. Und wenn wir ehrlich sein wollen, müssen wir zugeben, dass wir davon auch profitieren, weil das unsere Machtposition festigt: wir sind auf der souveränen Seite. Wir wissen, was wahr und was falsch ist.

      Aber gerade auf diesen Veranstaltungen geht es nicht darum, die professionelle Distanz zu wahren. Es geht darum, als Gemeinschaft zusammen zu kommen und uns gegenseitig dabei zu unterstützen, mit uns selbst besser klar zu kommen und auch das psychiatrische System zu verändern. So, wie es mir das vor vielen Jahren in der Trialoggruppe erging. Es ist ja so einfach, sich hinter dem Mantel der Professionalität zu verstecken, während wir die Expert*innen durch Erfahrung dazu auffordern, ihre intimsten Geschichten zu erzählen. Wie viel Lebendigkeit könnten wir zurückgewinnen, würden wir unseren Mantel nur ein bisschen öffnen und auch unsere Schwachpunkte mehr durchscheinen lassen? Wie oft haben wir uns schon gefragt, was eigentlich unser persönlicher Bezug zum sogenannten Wahnsinn ist? Warum wir uns ausgerechnet diesen Beruf ausgesucht haben? Geben wir es vor uns selbst zu, wenn wir unsicher oder ängstlich sind?

      Hören wir auch ein bisschen Stimmen?

      Wo sind wir selber ein bisschen merkwürdig oder spleenig, haben vielleicht bestimmte Ansichten, von denen wir denken, dass sie nicht von der Allgemeinheit geteilt werden? Meine Tante erzählte mir zum Beispiel vor ein paar Jahren, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter einige Male deren Stimme hörte, die vom Armsessel im Wohnzimmer her ihren Namen rief. Erst durch ein Gespräch mit mir übers Stimmenhören fiel ihr das wieder ein und ihr wurde deutlich, dass sie das vorher nie jemandem erzählt hatte, vor Angst, ihr würde sowieso niemand glauben. Religiöse oder spirituelle Menschen erzählen von Gesprächen mit Gott oder von Visionen, die sie geängstigt und/oder ihnen weitergeholfen haben, oder einfach davon, in manchen Situationen die Anwesenheit von bestimmten Energien zu spüren. Manche Menschen haben ähnliches unter dem Einfluss von halluzinogenen Drogen erlebt.

      Ist das nun schon eine Gehirnstoffwechselerkrankung? Oder nur einer von vielfältigen Versuchen, die komplexe und widersprüchliche Welt, in der wir leben, zu begreifen?

      Literatur- und Quellenverzeichnis

      Kearney, Anne 2018: Counselling, Class and Politics: Undeclared influences in therapy. 2nd Edition by Gillian Proctor. Manchester.

      Proctor, Gillian 2017: The Dynamics of Power in Counselling and Psychotherapy. Manchester.

      Smail, David 2005: Power, Interest and Psychology. Elements of a social materialist understanding of distress. Monmouth.

       Mit dem Rücken zur Wand – Eine Autoethnographie zum Unbehagen in meiner professionellen, psychiatrischen Identität

       Robin Iltzsche

      Ich habe so lange geschwiegen, da wird es jetzt aus mir brechen wie eine Sturzflut, und sie werden […] sagen, das ist so schrecklich, das kann nicht wirklich passiert sein, das ist so schrecklich, das kann nicht die Wahrheit sein! Und doch, bitte. Es fällt mir immer noch schwer, mit klarem Kopf darüber nachzudenken. Es ist jedoch die Wahrheit, auch wenn es gar nicht passiert ist. (Ken Kesey – Einer flog über das Kuckucksnest – 1995/1962: 14)

      Prolog20

      Schon als Kind wusste ich, dass die Irrenanstalt in Arnsdorf ein dunkler, unheimlicher Ort war. Wir machten Späße darüber, wenn sich ein*e Mitschüler*in ›verrückt‹ verhielt: »Der kommst doch aus Arnsdorf, oder?« Späße, die aus der Gemeinheit gespeist sind, die gerade auch Kindern eigen sein kann. Späße, die auch unsere eigenen Ängste vor dem Wahnsinn und der Psychiatrie überdeckten21.

      Der Mythos um die Irrenanstalt und eigentlich die ganze verrückte Stadt Arnsdorf blieb der einzige, entfernte Orbit, in dem die Psychiatrie meine Jugend umkreist, bis eine Freundin von mir unter der Last ihrer Welt zusammenbricht, mir in langen Gesprächen, in denen sie übergangslos von Lachen zu Weinen wechselt, das Leid und die Widersprüchlichkeit ihrer Existenz vor Augen führt. Ihr wird später in Arnsdorf eine Borderline-Störung diagnostiziert, womit ich damals nichts anfangen kann, außer dass meine Mutter schluckt, als sie es hört, und meint, dass es also wirklich etwas Ernstes sei. Ich besuche sie in Arnsdorf und stelle fest, wie viel besser es ihr in der Klinik geht – sie wirkt zwar blasser und erschöpfter als vorher, aber wir können wieder ›normal‹ miteinander reden. Die psychiatrische Anstalt, die bis dahin allein eine Quelle von Horrorgeschichten und gemeinen Witzen war, scheint jetzt ein steriler, ruhiger und neutraler СКАЧАТЬ