Название: Kontrolle
Автор: Frank Westermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Andere Welten
isbn: 9783862871803
isbn:
Streetwalkers - »Burn It Down«
5.
Ich entschied mich, Yuka aufzusuchen, obgleich ich vor diesem Schritt etwas zurückschreckte. Er bedeutete wieder etwas Unbekanntes, vielleicht ein neuer Abschnitt in meinem Leben. Ich brauchte immer ziemlich lange, bis ich mich an unbekannte Sachen oder Leute rantraute. Ich hatte mir zwar schon oft vorgenommen, das zu ändern, aber bis jetzt hatte es nur selten hingehauen.
Ich raffte mich endlich auf und nahm wieder den Bus. Diesmal fuhr ich gezwungenermaßen schwarz, weil ich einfach keinen losen Buck mehr hatte. Die Fahrt endete in einem Bezirk, den ich ziemlich genau kannte.
Hier in der Nähe hatte ich mal fast ein Jahr mit Winnie zusammengewohnt. Die Erinnerung daran löste immer ein beklemmendes Gefühl in mir aus, das ich nicht abschütteln konnte. Auch jetzt kam es wieder hoch, als ich die Gegend wiedersah und durch die einigermaßen leeren Straßen ging - es war Essenszeit. Damals hatte ich noch in diesem abscheulichen Prunkbau namens Universität studiert. Damit gehörte ich zu einer privilegierten Schicht, die mal was Besseres werden sollte. Der Staat war eben stolz auf seine Studenten, sorgfältig ausgesiebte Nummern, denen die herrschende Ideologie behutsam und geschickt eingetrichtert wurde. Schließlich sollten sie diese Ideologie später vertreten und anwenden.
Mein Alter wollte, dass aus mir ein tüchtiger, ordentlicher, fleißiger Beamter wurde - und ich wollte es auch - damals. Nun, es war nichts draus geworden und er konnte das nicht begreifen. Wie sollte er auch?
Es war drei Jahre her, seit ich hier gewohnt hatte. Ich kannte Winnie da schon zwei Jahre und ich kannte fast ausschließlich sie. Das beruhte aber auf Gegenseitigkeit. Also zogen wir zusammen.
Damit ließen wir zwar unser Elternhaus räumlich hinter uns, aber in uns selbst lebte es fleißig weiter. Woher sollten wir auch eine andere Lebensweise nehmen, wir kannten ja nichts anderes. Man hörte zwar ab und zu von irgendwelchen Outsidern, die angeblich versuchten, eine andere Lebensart zu praktizieren, aber wir hielten das meiste davon für Spinnerei und hatten auch keine Möglichkeit, diese Gerüchte zu überprüfen, da wir einfach nicht in Kontakt mit solchen Leuten waren.
Winnie und ich fochten zusammen und gegeneinander die erbitterten Kämpfe einer eingegrenzten Beziehung aus, die Eifersuchtsszenen, die Wunschträume, die Versöhnungen, die Unterdrücker-Sexualität und vor allem, die alles abstumpfende zäh dahinfließende Gewohnheit. Es war ein einziges Gerangel um Liebesbeweise, eine ewige Konkurrenz, wer was besser wusste oder konnte, furchtbare Angst vor Liebesentzug, da wir glaubten, wir seien aufeinander angewiesen. Wir kamen praktisch gar nicht dazu, uns außer mit unserer Arbeit bzw. dem Studium und unserem häuslichen Kram noch mit anderen Sachen auseinanderzusetzen - eine sehr wichtige Funktion, die eine solche Beziehung damit für die Regs spielt.
Alles lastete noch immer wie ein großer schwerer Schatten auf mir, ein Teil einer bedrückenden Vergangenheit, Fortsetzung und Höhepunkt aus Kindheit, Schule und allem, was dazugehört. Und eine Erfahrung, die mich auch jetzt noch in meinen Handlungen gehörig beeinflusste, sowohl positiv als auch negativ.
Dann, unerwartet, traten Leute wie Lucky und Flie in mein Blickfeld. Es war reiner Zufall, dass ich sie kennengelernte. Winnie und ich hatten mal wieder Streit gehabt. Es ging darum, ob ich mich zum Militär melden sollte oder nicht. Ich hielt nichts davon, zu kämpfen und auf andere zu schießen. Außerdem hatte ich Angst, dass ich da total untergebuttert würde. Winnie vertrat die Ansicht, dass es praktisch meine Pflicht sei, mich zu melden, und ich außerdem keine Chance hätte, ohne Militärzeit sehr hoch in der staatlichen Hierarchie zu kommen. Da die Militärs Zulauf genug hatten, war die Entscheidung jedem selbst überlassen, das heißt, Winnie konnte sich letzten Endes nicht durchsetzen.
Sie schloss sich schimpfend im Schlafzimmer ein, und ich rannte vor Wut kochend auf die Straße in der Absicht, mich irgendwo sinnlos zu besaufen. Ich ging in die erstbeste Kneipe in der City und bestellte ein Bier nach dem anderen. Ich kannte keinen Menschen hier, da wir selten in Kneipen gingen und schon gar nicht in solche. Irgendwann im Lauf des Abends fing sich alles um mich herum an, zu drehen. Ich schaffte es nicht mehr, nach draußen zu kommen und kotzte voll über den Tisch. Das passte anscheinend zwei Typen nicht, und ich sah verschwommen, dass sie Anstalten machten, mich zu verprügeln. Dann kam ein anderer dazwischen. Ich kriegte nur noch mit, wie er versuchte, die beiden zu beruhigen, dann wurde mir so schlecht, dass ich ganz vom Stuhl kippte. Ich wusste nicht mehr, wie ich in Luckys Bude gekommen war, aber er hatte mich den ganzen Weg geschleppt! Den nächsten Tag ging ich auch nicht nach Hause, weil es da nur weiteren Ärger gegeben hätte und Lucky mich im Augenblick weitaus mehr interessierte als Winnie. Bald darauf packte ich meine Klamotten und zog aus. In der ersten Zeit traf ich mich noch öfter mit Winnie, dann nur noch zufällig und jetzt hatte ich sie bestimmt ein paar Monate nicht gesehen. Unsere Lebensweisen hatten sich im Lauf der Zeit so voneinander entfernt, dass wir uns nur noch schwer verständigen konnten, und es auch einfach nicht wollten, da nichts dabei rauskam. Soweit ich wusste, lebte sie seit ungefähr einem Jahr wieder mit einem Typen zusammen in unserer alten Wohnung. Ich kannte ihn nicht.
Die Denkanstöße, die ich damals bekam, der Strudel der Ereignisse der mich mitriss - alles änderte mein Leben von Grund auf. Ich verstand die Gedanken, Worte und Taten eigentlich erst richtig ne ganze Zeit später, und auch meine Änderung und die Richtung, in die sie zielte, wurde mir erst später bewusst. Auf jeden Fall führte es weg von Studium, Gleichgültigkeit und Winnie.
Plötzlich stand ich vor Yukas Haustür. Ich musste schon länger hier stehen, war aber so in Gedanken gewesen, dass ich es gar nicht wahrnahm. Ich hatte irgendwie etwas anderes erwartet, aber es war ein Wohnblock wie alle anderen auch. Zögernd stieg ich die Treppen rauf. Sie wohnte schon in der dritten Etage. Ich klopfte. Es dauerte ne Weile, und dann stand sie vor mir mit nassen Haaren und lachte mich an.
»Komm rein. Ich bin gerade fertig mit Haare waschen.«
Sie brachte mich in ein großes Zimmer, das unheimlich gemütlich eingerichtet war. Mit dicken bunten Teppichen und selbstgemalten Bildern an der Wand. Ich stellte meine Tasche in die Ecke und setzte mich auf den Boden. Sie setzte sich mir gegenüber. Ihre Haare trieften vor Nässe.
»Du siehst ja nicht gerade sehr fröhlich aus.«
»Bin ich auch selten in letzter Zeit. Leider.«
»Man hat auch nicht viel Grund dazu«, meinte sie verständnisvoll.
Ihr schien es nicht viel auszumachen, dass ich nicht gerade in bester Laune war. Dann sprang sie wieder auf.
»Komm mit in die Küche. Ich zeig dir alles und mach erst mal Kaffee.«
Ich hatte den Eindruck, dass sie ständig in Bewegung sein musste. Irgendwie versucht man wohl immer, sich gleich zu Anfang ein Bild zu machen. Ich musste mich bloß davor hüten, sie nicht in irgendeine Kategorie einzuordnen. Aber das würde mir bei ihr auch bestimmt schwerfallen.
Auch die Küche war bunt und bequem. Alles in allem passte die Wohnung überhaupt nicht in diesen trostlosen Block.
»Wie wollen wir das mit dem Zimmer machen?«, fragte ich vorsichtig, während sie Kaffee machte.
»Ach, es ist ja groß genug. Und wenn wir Ruhe voneinander haben wollen, muss eben einer in die Küche ausweichen.«
»Na ja, ganz so einfach wird es nicht sein.«
»Wir werden ja sehen. Du machst dir Gedanken СКАЧАТЬ