Der Antichrist. Friedrich Nietzsche
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Название: Der Antichrist

Автор: Friedrich Nietzsche

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783864080760

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СКАЧАТЬ Tugend, eine Heiligkeit aus dieser fehlerhaften Optik zu allen Dingen, man knüpft das gute Gewissen an das Falschsehen, – man fordert, das keine andre Art Optik mehr Wert haben dürfe, nachdem man die eigne mit den Namen „Gott“ „Erlösung“„Ewigkeit“ sakrosant gemacht hat. Ich grub den Theologen-Instinkt noch überall aus: er ist die verbreitetste, die eigentlich unterirdische Form der Falschheit, die es auf Erden gibt. Was ein Theologe als wahr empfindet, das muss falsch sein: man hat daran beinahe ein Kriterium der Wahrheit. Es ist sein unterster Selbsterhaltungs-Instinkt, der verbietet, dass die Realität in irgend einem Punkte zu Ehren oder auch nur zu Worte käme. So weit der Theologen-Einfluss reicht, ist das Wert-Urteil auf den Kopf gestellt, sind die Begriffe „wahr“ und „falsch“ notwendig umgekehrt: was dem Leben am schädlichsten ist, das heißt hier „wahr“, was es hebt, steigert, bejaht, rechtfertigt und triumphieren macht, das heißt „falsch“… kommt es vor, dass Theologen durch das „Gewissen“ der Fürsten (oder der Völker –) hindurch nach der Macht die Hand ausstecken, zweifeln wir nicht, was jedes Mal im Grunde sich begibt: der Wille zum Ende, der nihilistische Wille will zur Macht…

      10.

      Unter Deutschen versteht man sofort, wenn ich sage, dass die Philosophie durch Theologen-Blut verderbt ist. Der protestantische Pfarrer ist Großvater der deutschen Philosophie, der Protestantismus selbst ihr peccatum originale. Definition des Protestantismus: die halbseitige Lähmung des Christentums – und der Vernunft… Man hat nur das Wort „Tübinger Stift“ auszusprechen, um zu begreifen, was die deutsche Philosophie im Grunde ist, – eine hinterlistige Theologie… Die Schwaben sind die besten Lügner in Deutschland, sie lügen unschuldig… Woher das Frohlocken, das beim Auftreten Kant’s durch die deutsche Gelehrtenwelt ging, die zu drei Viertel aus Pfarrer- und Lehrer-Söhnen besteht, – woher die deutsche Überzeugung, die auch heute noch ihr Echo findet, dass mit Kant eine Wendung zum Besseren beginne? Der Theologen-Instinkt im deutschen Gelehrten erriet, was nunmehr wieder möglich war… Ein Schleichweg zum alten Ideal stand offen, der Begriff „wahre Welt“, der Begriff der Moral als Essenz der Welt (– diese zwei bösartigsten Irrtümer, die es gibt!) waren jetzt wieder, Dank einer verschmitzt-klugen Skepsis, wenn nicht beweisbar, so doch nicht mehr widerlegbar… Die Vernunft, das Recht der Vernunft reicht nicht so weit… Man hatte aus der Realität eine „Scheinbarkeit“ gemacht; man hatte eine vollkommen erlogne Welt, die des Seienden, zur Realität gemacht… Der Erfolg Kant’s ist bloß ein Theologen-Erfolg: Kant war, gleich Luther, gleich Leibniz, ein Hemmschuh mehr in der an sich nicht taktfesten deutschen Rechtschaffenheit – –

      11.

      Ein Wort noch gegen Kant als Moralist. Eine Tugend muss unsre Erfindung sein, unsre persönlichste Notwehr und Notdurft: in jedem andren Sinne ist sie bloß eine Gefahr. Was nicht unser Leben bedingt, schadet ihm: eine Tugend bloß aus einem Respekts-Gefühle vor dem Begriff „Tugend“, wie Kant es wollte, ist schädlich. Die „Tugend“, die „Pflicht“, das „Gute an sich“, das Gute mit dem Charackter der Unpersönlichkeit und Allgemeingültigkeit – Hirngespinnste, in denen sich der Niedergang, die letzte Entkräftung des Lebens, das Königsberger Chinesentum ausdrückt. Das Umgekehrte wird von den tiefsten Erhaltungs- und Wachstumsgesetzen geboten: dass jeder sich seine Tugend, seinen kategorischen Imperativ erfinde. Ein Volk geht zu Grunde, wenn es seine Pflicht mit dem Pflichtbegriff überhaupt verwechselt. Nichts ruiniert tiefer, innerlicher als jede „unpersönliche“ Pflicht, jede Opferung vor dem Moloch der Abstraktion. – Dass man den kategorischen Imperativ Kant’s nicht als lebensgefährlich empfunden hat! … Der Theologen-Instinkt allein nahm ihn in Schutz! – Eine Handlung, zu der der Instinkt des Lebens zwingt, hat in der Lust ihren Beweis, eine rechte Handlung zu sein: und jener Nihilist mit christlich-dogmatischen Eingeweiden verstand die Lust als Einwand … Was zerstört schneller, als ohne innere Notwendigkeit, ohne eine tief persönliche Wahl, ohne Lust arbeiten, denken, fühlen? als Automat der „Pflicht“? Es ist geradezu das Rezept zur décadence, selbst zum Idiotismus… Kant wurde Idiot. – Und das war der Zeitgenosse Goethe’s! Dies Verhängnis von Spinne galt als der deutsche Philosoph, – gilt es noch! … Ich hüte mich zu sagen, was ich von den Deutschen denke… Hat Kant nicht in der französischen Revolution den Übergang aus der unorganischen Form des Staats in die organische gesehen? Hat er sich nicht gefragt, ob es eine Begebenheit gibt, die gar nicht anders erklärt werden könne als durch eine moralische Anlage der Menschheit, so dass mit ihr, Ein für alle Mal, die „Tendenz der Menschheit zum Guten“ bewiesen sei? Antwort Kant’s: „das ist die Revolution.“ Der fehlgreifende Instinkt in Allem und Jedem, die Widernatur als Instinkt, die deutsche décadence als Philosophie – das ist Kant! –

      12.

      Ich nehme ein paar Skeptiker bei Seite, den anständigen Typus in der Geschichte der Philosophie: aber der Rest kennt die ersten Forderungen der intellektuellen Rechtschaffenheit nicht. Sie machen es allesamt wie die Weiblein, alle diese großen Schwärmer und Wundertiere, – sie halten die „schönen Gefühle“ bereits für Argumente, den „gehobenen Busen“ für einen Blasebalg der Gottheit, die Überzeugung für ein Kriterium der Wahrheit. Zuletzt hat noch Kant, in „deutscher“ Unschuld, diese Form der Korruption, diesen Mangel an intellektuellem Gewissen unter den Begriff „praktische Vernunft“ zu verwissenschaftlichen versucht: er erfand eigens eine Vernunft dafür, in welchem Falle man sich nicht um die Vernunft zu kümmern habe, nämlich wenn die Moral, wenn die erhabene Forderung „du sollst“ laut wird. Erwägt man, dass bei fast allen Völkern der Philosoph nur die Weiterentwicklung des priesterlichen Typus ist, so überrascht dieses Erbstück des Priesters, die Falschmünzerei vor sich selbst, nicht mehr. Wenn man heilige Aufgaben hat, zum Beispiel die Menschen zu bessern, zu retten, zu erlösen, wenn man die Gottheit im Busen trägt, Mundstück jenseitiger Imperative ist, so steht man mit einer solchen Mission bereits außerhalb aller bloß verstandesmäßigen Wertungen, – selbst schon geheiligt durch eine solche Aufgabe, selbst schon der Typus einer höheren Ordnung! … Was geht einen Priester die Wissenschaft an! Er steht zu hoch dafür! – Und der Priester hat bisher geherrscht! – Er bestimmte den Begriff „wahr“ und „unwahr“! …

      13.

      Unterschätzen wir dies nicht: wir selbst, wir freien Geister, sind bereits eine „Umwertung aller Werte“, eine leibhafte Kriegs- und Siegs-Erklärung an alle alten Begriffe von „wahr“ und „unwahr“. Die wertvollsten Einsichten werden am spätesten gefunden; aber die wertvollsten Einsichten sind die Methoden. Alle Methoden, alle Voraussetzungen unsrer jetzigen Wissenschaftlichkeit haben Jahrtausende lang die tiefste Verachtung gegen sich gehabt: auf sie hin war man aus dem Verkehre mit „honnetten“ Menschen ausgeschlossen, – man galt als „Feind Gottes“, als Verächter der Wahrheit, als „Besessener“. Als wissenschaftlicher Charackter war man Tschandala… Wir haben das ganze Pathos der Menschheit gegen uns gehabt – ihren Begriff von dem, was Wahrheit sein soll, was der Dienst der Wahrheit sein soll: jedes „du sollst“ war bisher gegen uns gerichtet… Unsre Objekte, unsre Praktiken, unsre stille vorsichtige misstrauische Art – alles schien ihr vollkommen unwürdig und verächtlich. – Zuletzt dürfte man, mit einiger Billigkeit, sich fragen, ob es nicht eigentlich ein ästhetischer Geschmack war, was die Menschheit in so langer Blindheit gehalten hat: sie verlangte von der Wahrheit einen pittoresken Effekt, sie verlangte insgleichen vom Erkennenden, dass er stark auf die Sinne wirke. Unsre Bescheidenheit ging ihr am längsten wider den Geschmack… Oh wie sie das errieten, diese Truthähne Gottes – –

      14.

      Wir haben umgelernt. Wir sind in allen Stücken bescheidener geworden. Wir leiten den Menschen nicht mehr vom „Geist“, von der „Gottheit“ ab, wir haben ihn unter die Tiere zurückgestellt. Er gilt uns als das stärkste Tier, weil er das listigste ist: eine Folge davon ist СКАЧАТЬ