Der Antichrist. Friedrich Nietzsche
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Название: Der Antichrist

Автор: Friedrich Nietzsche

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783864080760

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СКАЧАТЬ Menschheit stellt nicht eine Entwicklung zum Besseren oder Stärkeren oder Höheren dar, in der Weise, wie dies heute geglaubt wird. der „Fortschritt“ ist bloß eine moderne Idee, das heißt eine falsche Idee. Der Europäer von Heute bleibt in seinem Werte tief unter dem Europäer der Renaissance; Fortentwicklung ist schlechterdings nicht mit irgend welcher Notwendigkeit Erhöhung, Steigerung, Verstärkung.

      In einem andren Sinne gibt es ein fortwährendes Gelingen einzelner Fälle an den verschiedensten Stellen der Erde und aus den verschiedensten Kulturen heraus, mit denen in der Tat sich ein höherer Typus darstellt: etwas, das im Verhältnis zur Gesamt-Menschheit eine Art Übermensch ist. Solche Glücksfälle des großen Gelingens waren immer möglich und werden vielleicht immer möglich sein. Und selbst ganze Geschlechter, Stämme, Völker können unter Umständen einen solchen Treffer darstellen.

      5.

      Man soll das Christentum nicht schmücken und herausputzen: es hat einen Todkrieg gegen diesen höheren Typus Mensch gemacht, es hat alle Grundinstinkte dieses Typus in Bann getan, es hat aus diesen Instinkten das Böse, den Bösen herausdestilliert: – der starke Mensch als der typisch Verwerfliche, der „verworfene Mensch“. Das Christentum hat die Partei alles Schwachen, Niedrigen, Missratenen genommen, es hat ein Ideal aus dem Widerspruch gegen die Erhaltungs-Instinkte des starken Lebens gemacht; es hat die Vernunft selbst der geistig stärksten Naturen verdorben, indem es die obersten Werte der Geistigkeit als sündhaft, als irreführend, als Versuchungen empfinden lehrte. Das jammervollste Beispiel: die Verderbnis Pascal’s , der an die Verderbnis seiner Vernunft durch die Erbsünde glaubte, während sie nur durch sein Christentum verdorben war! –

      6.

      Es ist ein schmerzliches, ein schauerliches Schauspiel, das mir aufgegangen ist: ich zog den Vorhang weg von der Verdorbenheit des Menschen. Dies Wort, in meinem Munde, ist wenigstens gegen Einen Verdacht geschützt: dass es eine moralische Anklage des Menschen enthält. Es ist – ich möchte es nochmals unterstreichen – moralinfrei gemeint: und dies bis zu dem Grade, dass jene Verdorbenheit gerade dort von mir am Stärksten empfunden wird, wo man bisher am bewusstesten zur „Tugend“, zur „Göttlichkeit“ aspirierte. Ich verstehe Verdorbenheit, man errät es bereits, im Sinne von décadence: meine Behauptung ist, dass alle Werte, in denen jetzt die Menschheit ihre oberste Wünschbarkeit zusammenfasst, décadence-Werte sind.

      Ich nenne ein Tier, eine Gattung, ein Individuum verdorben, wenn es seine Instinkte verliert, wenn es wählt, wenn es vorzieht, was ihm nachteilig ist. Eine Geschichte der „höheren Gefühle“, der „Ideale der Menschheit“ – und es ist möglich, dass ich sie erzählen muss – wäre beinahe auch die Erklärung dafür, weshalb der Mensch so verdorben ist. Das Leben selbst gilt mir als Instinkt für Wachstum, für Dauer, für Häufung von Kräften, für Macht: wo der Wille zur Macht fehlt, gibt es Niedergang. Meine Behauptung ist, dass allen obersten Werten der Menschheit dieser Wille fehlt, – dass Niedergangs-Werte, nihilistische Werte unter den heiligsten Namen die Herrschaft führen.

      7.

      Man nennt das Christentum die Religion des Mitleidens. – Das Mitleiden steht im Gegensatz zu den tonischen Affekten, welche die Energie des Lebensgefühls erhöhen: es wirkt depressiv. Man verliert Kraft, wenn man mitleidet. Durch das Mitleiden vermehrt und vervielfältigt sich die Einbuße an Kraft noch, die an sich schon das Leiden dem Leben bringt. Das Leiden selbst wird durch das Mitleiden ansteckend; unter Umständen kann mit ihm eine Gesamt-Einbuße an Leben und Lebens-Energie erreicht werden, die in einem absurden Verhältnis zum Quantum der Ursache steht (– der Fall vom Tode des Nazareners). Das ist der erste Gesichtspunkt; es gibt aber noch einen wichtigeren. Gesetzt, man misst das Mitleiden nach dem Werte der Reaktionen, die es hervorzubringen pflegt, so erscheint sein lebensgefährlicher Charackter in einem noch viel helleren Lichte. Das Mitleiden kreuzt im Ganzen Großen das Gesetz der Entwicklung, welches das Gesetz der Selektion ist. Es erhält, was zum Untergange reif ist, es wehrt sich zu Gunsten der Enterbten und Verurteilten des Lebens, es gibt durch die Fülle des Missratenen aller Art, das es im Leben festhält, dem Leben selbst einen düsteren und fragwürdigen Aspekt. Man hat gewagt das Mitleiden eine Tugend zu nennen (– in jeder vornehmen Moral gilt es als Schwäche –); man ist weiter gegangen, man hat aus ihm die Tugend, den Boden und Ursprung aller Tugenden gemacht, – nur freilich, was man stets im Auge behalten muss, vom Gesichtspunkt einer Philosophie aus, welche nihilistisch war, welche die Verneinung des Lebens auf ihr Schild schrieb. Schopenhauer war in seinem Recht damit: durch das Mitleid wird das Leben verneint, verneinungswürdiger gemacht, – Mitleiden ist die Praxis des Nihilismus. Nochmals gesagt: dieser depressive und kontagiöse Instinkt kreuzt jene Instinkte, welche auf Erhaltung und Wert-Erhöhung des Lebens aus sind: er ist ebenso als Multiplikator des Elends wie als Konservator alles Elenden ein Hauptwerkzeug zur Steigerung der décadence, – Mitleiden überredet zum Nichts! … Man sagt nicht „Nichts“: man sagt dafür „Jenseits“; oder „Gott“; oder „das wahre Leben“; oder Nirvana, Erlösung, Seligkeit… Diese unschuldige Rhetorik aus dem Reich der religiös-moralischen Idiosynkrasie erscheint sofort viel weniger unschuldig, wenn man begreift, welche Tendenz hier den Mantel sublimer Worte um sich schlägt: die lebensfeindliche Tendenz. Schopenhauer war lebensfeindlich: deshalb wurde ihm das Mitleid zur Tugend… Aristoteles sah, wie man weiß, im Mitleid einen krankhaften und gefährlichen Zustand, dem man gut täte, hier und da durch ein Purgativ beizukommen: er verstand die Tragödie als Purgativ. Vom Instinkte des Lebens aus müsste man in der Tat nach einem Mittel suchen, einer solchen krankhaften und gefährlichen Häufung des Mitleids, wie sie der Fall Schopenhauer’s (und leider auch unsre gesamte literarische und artistische décadence von St. Petersburg bis Paris, von Tolstoi bis Wagner) darstellt, einen Stich zu versetzen: damit sie platzt… Nichts ist ungesunder, inmitten unsrer ungesunden Modernität, als das christliche Mitleid. Hier Arzt sein, hier unerbittlich sein, hier das Messer führen – das gehört zu uns, das ist unsre Art Menschenliebe, damit sind wir Philosophen, wir Hyperboreer! – – –

      8.

      Es ist notwendig zu sagen, wen wir als unsern Gegensatz fühlen: – die Theologen und alles, was Theologen-Blut im Leibe hat – unsre ganze Philosophie… Man muss das Verhängnis aus der Nähe gesehen haben, noch besser, man muss es an sich erlebt, man muss an ihm fast zu Grunde gegangen sein, um hier keinen Spaß mehr zu verstehn (– die Freigeisterei unsrer Herrn Naturforscher und Physiologen ist in meinen Augen ein Spaß, – ihnen fehlt die Leidenschaft in diesen Dingen, das Leiden an ihnen –). Jene Vergiftung reicht viel weiter, als man denkt: ich fand den Theologen-Instinkt des „Hochmuts“ überall wieder, wo man sich heute als „Idealist“ fühlt, – wo man, vermöge einer höheren Abkunft, ein Recht in Anspruch nimmt, zur Wirklichkeit überlegen und fremd zu blicken… Der Idealist hat, ganz wie der Priester, alle großen Begriffe in der Hand (– und nicht nur in der Hand!), er spielt sie mit einer wohlwollenden Verachtung gegen den „Verstand“, die „Sinne“, die „Ehren“, das „Wohlleben“, die „Wissenschaft“ aus, er sieht dergleichen unter sich, wie schädigende und verführerische Kräfte, über denen „der Geist“ in reiner Für-sich-heit schwebt: – als ob nicht Demut, Keuschheit, Armut, Heiligkeit mit Einem Wort, dem Leben bisher unsäglich mehr Schaden getan hätten als irgend welche Furchtbarkeiten und Laster… Der reine Geist ist die reine Lüge… So lange der Priester noch als eine höhere Art Mensch gilt, dieser Verneiner, Verleumnder, Vergifter des Lebens von Beruf, gibt es keine Antwort auf die Frage: was ist Wahrheit? Man hat bereits die Wahrheit auf den Kopf gestellt, wenn der bewusste Advokat des Nichts und der Verneinung als Vertreter der „Wahrheit“ gilt…

      9.

      Diesem Theologen-Instinkte mache ich СКАЧАТЬ