Als ob man lebte. Theodoras Cetrauskas
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Название: Als ob man lebte

Автор: Theodoras Cetrauskas

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Literatur aus Litauen

isbn: 9783898968409

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      War Juozas’ und Juditas Liebe ohne jeden Schatten, einfach nur heiß, rein, schamlos, unversiegbar, schön und treu? Wenn wir davon absehen, dass Judita Juozas zuweilen mit ihren Fingernägeln Brust, Rücken und Gesicht zerkratzte, weil sie ihm die paar Abenteuer in der heimatlichen Scheune nicht verzeihen konnte. Dass sie ihn nicht gern allein dort hinließ, wo es passiert war, als hätte Juozas nicht begriffen, dass er nicht diese Damen brauchte, sondern jemanden wie Judita. Als wären diese ersten Damen nicht selbst schon verheiratet und Juozas und die eigenen Jugendsünden im Heu nicht längst vergessen. Juditas kompliziert gemischtes Blut geriet mitunter in Wallung, wenn sie sich an das dumme Bekenntnis erinnerte, gedacht zur Beruhigung, dass alles gut werde, dass er ja die Sache schon versucht habe und etwas davon verstehe, und es bei ihnen klappen würde. Dann beharkte Judita, sobald sie sich wieder an dieses Bekenntnis erinnerte, Juozas die Brust, den Rücken und das Gesicht, aber das war später ihrer Liebe nur von Nutzen. So kann man sagen, dass ihre Liebe in den Zeiten der arischen Okkupation und der Rückkehr der Bratoks heiß, rein, schamlos, beständig, schön und treu war. Bis zu dem Tag, an dem man Juozas dreimal mit der Polutorka überfuhr.

      Wäre es eine Jahrhundertliebe, eine Jahrtausendliebe geworden – wer kann das sagen? So wurde Juozas’ und Juditas Liebe nur eine Siebenjahresliebe mit eigenem Kamasutra, mit ihren Entdeckungen und mit Blut, dem Salz ihrer heißen Leidenschaft. Man kann nur vermuten, dass sie ziemlich lange gedauert hätte, vielleicht bis zum Lebensende des einen oder anderen, und man hätte von dem Bengel, den Judita gebar, Kinder, Enkel und selbst Urenkel erwarten können. Über diesen Zeitraum hinweg hätte alles passieren können. Zum Beispiel hätte Judita ihr kompliziertes Blut nicht mehr im Zaum halten und irgendeine entscheidende Dummheit begehen können, und dann wäre Juozas... Doch das ist schon der Bereich der Möglichkeiten, Vermutungen, Variationen –nur glaubwürdig, wenn wir uns an lange Liebesgeschichten erinnern, zu Papier gebracht oder uns anderweitig bekannt, bei denen man am Ende nicht weiß, ob es sich für die Partner überhaupt gelohnt hat, sich in diesem Tal der Tränen zu treffen, ob ihr Leben in solcher Nähe nicht ein einziges 25, 30, 50 Jahre dauerndes Elend gewesen sei, und wozu das überhaupt alles gut war. Aber die abgebrochene Liebe der beiden finden wir bedauerlich, wie jede von irgendjemandem brutal unterbrochene Leidenschaft, die vielleicht hätte ein anderes Beispiel geben können.

      So beklagte sich Juozas im Allgemeinen nicht über seine gesellschaftliche Stellung und seine Familie, er war dem Dorf eine wandelnde Reklame für den Nutzen der Wissenschaft und vielleicht auch für ein glückliches Familienleben in den dennoch düsteren Jahren der Okkupation der Arier und des Kriegs mit den Bratoks. Immerhin, die Arier forderten von ihm als Lehrer keinerlei Tribut, beriefen ihn nicht in ihre Armee, befahlen ihm nicht, gegen die Bratoks oder an irgendeiner anderen Front zu kämpfen, zahlten ihm sogar ein bescheidenes Gehalt, und ließen sich selbst gar nicht blicken in dem Dorf mit den dutzend Häusern. Aber gefielen deshalb Juozas die Arier und deren Herrschaft?

      Juozas gefiel es, der erste in seiner Verwandtschaft zu sein, der sein Brot nicht mit körperlicher Arbeit verdiente und der, während irgendwo weit weg der Krieg wütete, mit Judita zu leben, der ersten Dame aus dem Dorf und der Umgebung. Und vorerst gefiel ihm keine Macht und Herrschaft – weder die eigene, die ihm in den Ohren gelegen hatte mit ihrem Patriotismus, mit Reden über die Pflicht gegenüber Tannenbergland, über die Burg Pilenai und die Selbstopferung ihrer Verteidiger im Kampf gegen die Ordensritter[5], über die tapferen Flieger Darius und Girenas[6], über die Kriven und Vaidiluten. Die arrogant war und unzugänglich, nur um dann, als die Bratoks kamen, umgehend Fersengeld zu geben. Auch nicht die global gleichmacherische Herrschaft der Bratoks, die alles dermaßen auf den Kopf gestellt hatten, dass Juozas nicht enttäuscht war, als sich herausgestellt hatte, dass das Geflacker in der Nacht ihres Studienabschlussfestes kein Zeichen Gottes war, sondern das Herannahen der Arier ankündigte. Auch nicht die rassistisch programmierte Herrschaft der Arier, die ihm vorläufig nichts getan, aber schon gezeigt hatte, wozu sie fähig war, indem sie diejenigen fabrikmäßig vernichtete, die es in ihren Augen verdient hatten, vernichtet zu werden. Nichts Gutes erwartete er auch von jeglicher Nachkriegsordnung (der Krieg würde ja irgendwann zu Ende sein). Wie wird sie sein: arisch, bratokisch, abermals völkisch oder irgendwie kombiniert?

      Und was würde sie Juozas geben können? Die Frage war im Prinzip falsch gestellt: Macht gibt nicht, sie lebt von solchen wie ihm.

      Bisher war sie nicht sonderlich hinderlich gewesen. Juozas war aufgewachsen und hatte seinen Abschluss gemacht in den völkischen Zeiten, dann in denen der Bratoks, er hatte am letzten Tag ihrer Herrschaft sein Examen bestanden. Die Arier hatten ihn arbeiten lassen. Und wieder ließ man ihn und störte ihn nicht. Er selbst hatte erreicht, dass man ihn ließ und nicht störte, vorerst. Aber zugleich konnte ihm nicht verborgen bleiben, dass auf der Mutter der Flüsse[7] in großer Zahl Kähne, Boote, Flöße, Wasserfahrzeuge aller Art unterwegs waren, und auf ihnen Leute, die ihrer Zukunft keineswegs so sicher waren. Näherten sich doch abermals die Bratoks, die vor einigen Jahren schon einmal das Land auf den Kopf gestellt hatten.

      Die Kähne, Boote, Flöße bewegten sich auf der Mutter der Flüsse stromabwärts, um auf ihr den Vater der Flüsse zu erreichen, und über diesen das Meer, von wo, so sagte man, Schiffe ausliefen ins Land der Arier. Und die darin saßen, waren eher geneigt, den nur sich selbst liebenden Ariern zu vertrauen und nicht den alle liebenden und umarmen wollenden Bratoks, die noch grimmiger zurückkehren würden, als sie beim ersten Mal gekommen waren, denn sie waren mit viel Häme hinausbegleitet worden, und würden nun noch gründlicher ihre Neue Ordnung durchsetzen. Denen dann vielleicht auch Juozas und Judita im Wege sein würden, als schon Nicht-mehr-Proletarier, die in den Zeiten der Arier gearbeitet hatten, als Vertreter jenes Berufsstandes, der seinerzeit so entschlossen die nationale krivisch-vaidilutisch-tannenbergländische Hymne gesungen hatte, obwohl man schon kräftig die Hymne der Bratoks anzustimmen hatte. In solchen Fällen konnten dann selbst das Asthma von Juditas Holzfäller-Vater oder die Nähnadel von Juozas’ Vater als Empfehlung nicht mehr ausreichen. »Und was hast du getan, als wir an der Front Blut vergossen?«, würden die Bratoks fragen. Und Juozas’ Antwort, dass er eine Reklame für den Nutzen der Wissenschaft und Familienglück sei, würde wohl nicht gut ankommen. Juozas begann zu zweifeln hinsichtlich seiner Zukunft in einem von den Bratoks regierten Land. Und Judita war längst alles klar.

      »Verschwinden wir von hier. Rudern wir los«, sagte sie und zeigte auf einen von irgendwoher ergatterten Kahn, den sie vorzüglich zu rudern verstand, war sie doch am Vater der Flüsse aufgewachsen, sie ängstigte nicht der Weg auf der Mutter der Flüsse und dann weiter zum Meer, obwohl der Bauch ihr schon beinahe das Kinn stützte mit dem darin strampelnden Bengel. Ihr kassandrisches Gefühl kannte keinerlei Zweifel. »Den Fluss hinab, den Fluss hinab« – so summten die beiden die Worte eines damals noch nicht bekannten Liedchens, ruderten und paddelten tatsächlich bis zum Meer, zusammen mit dem Teil, der die alle liebenden Bratoks fürchtete und nur den sich selbst liebenden Ariern vertraute, Menschen aus Tannenbergland, die DPs, Tellerwäscher, Nostalgiker, Straßen, Toiletten- und Seereiniger werden wollten, die sich plötzlich massenweise für Wassersport, Tourismus, Rudern begeisterten. Sie waren aufgebrochen und wieder umgekehrt, nachdem sie die Kunst des Schiffeversenkens der Bratoks gesehen und sich nicht auf die Wahrscheinlichkeitstheorie verlassen wollten.

      Und so kehrten eine heftig widerstrebende Judita zurück und ein plötzlich zu sich gekommener Juozas, der auf einmal dorthin wollte, wo es ihm gut gegangen war, und der auf Juditas kassandrische Prophezeiungen pfiff. »Sie werden uns nichts tun«, erklärte er der widerstrebenden Judita und begann plötzlich den Bratoks zu vertrauen. »Weshalb auch sollten sie... Wir haben doch nichts verbrochen, haben seinerzeit, erinnerst du dich, sogar ihre Aktivistenlisten verbrannt, damit sie den Ariern nicht in die Hände fielen, und so vielleicht mehr als einen gerettet. Wo doch die Arier Aktivisten vernichtet haben.« Plötzlich war er zum Patrioten geworden, obwohl er patriotische Reden hasste. »Was wird von unserem Land bleiben, wenn alle davonschwimmen, davonfahren, mit den Ariern weggehen? Die Bratoks werden anrücken und danach wird es sein, als wäre nichts gewesen. Ade Vaterland! Wer wird die Kinder unterrichten, wenn von uns keiner mehr da sein wird? Nein, nein, öffnen wir die Fensterläden СКАЧАТЬ