Als ob man lebte. Theodoras Cetrauskas
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Название: Als ob man lebte

Автор: Theodoras Cetrauskas

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Literatur aus Litauen

isbn: 9783898968409

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СКАЧАТЬ mit allem, was sie gerade zur Hand hatten, hinterher ballerten. Als wollten sie sich dafür entschuldigen, zuvor absolut keinen Schuss abgegeben zu haben.

      Gründe dafür gab es genug. Die Bratoks hatten jene, die besonders frech grinsten, ans Eismeer verfrachtet, zum Fischfang zusammen mit den weißen Bären, sie hatten den arroganten Militärs deren Platz gezeigt, hatten sich nicht um billiges Eisengerät für die Bauern gekümmert, ihnen aber dafür den ausländischen Markt verschlossen, obendrein erhoben sie Pflichtabgaben, um den Bedürfnissen anderer Bewohner ihres Landes gerecht zu werden. Die eingesessenen Bauern hatten sich, so schien es, ein wenig geirrt, denn nach der Neuen Ordnung der Bratoks waren sie zuerst einmal auf gleiches Niveau zu bringen mit den vorerst bescheidener lebenden Menschen im Osten, und erst danach war ein allen gemeinsames Wohlergehen geplant. Diejenigen, die das nicht verstanden, politisch also nicht ausreichend gebildet waren, reisten ebenfalls in ihr kaltes Land zur Umerziehung, genauso wie auch die von den Ariern gehassten Braunäugigen. Aber die hatten auch nichts anderes erwartet.

      So wurden also die ohne einen Schuss empfangenen Bratoks mit vielen Schüssen hinausbegleitet, mit Zustimmung eines überwiegenden Teils der Bewohner. Es trauerte wahrscheinlich nur der von den Ariern nicht geliebte Teil, von dem einige Vertreter sofort, noch vor der Ankunft der Arier, in eine Garage gepfercht und getötet wurden. Offenbar als Rache dafür, dass sie sich seinerzeit über die Ankunft der Bratoks gefreut hatten. Das können sie bis heute dem Großteil der Tannenbergland-Bewohner nicht verzeihen.

      Damals erschienen die theoretisch schlimmeren Arier dem größeren Teil der Einheimischen als nicht sehr schlimm. Sie sollten sich erst später in ihrer ganzen Scheußlichkeit zeigen, nachdem sie mit den Bratoks aufgeräumt hatten, die sie anfangs ziemlich erfolgreich bis vor die Tore ihrer Hauptstadt gejagt hatten, um dann, als die Bratoks sich erholten und zum Gegenschlag ansetzten, selbst langsam den Rückzug anzutreten. In diesen Zeiten des Hin und Her, des Vordringens und Zurückweichens, spürten die Tannenbergland-Menschen, wie man so schön sagt, den Stiefel der Okkupanten. Doch nach dem Stiefel der Bratoks war der ziemlich erträglich, besonders für Juozas und Judita, junge Lehrer, die dazu neigten, vaterländische Hymnen zu singen, ein Vergehen, für das die Bratoks einen umgehend nach Norden zur Abkühlung schickten.

      Sie lebten ruhig in dem Dorf ihrer ersten Bestimmung in diesen drei Arierjahren, zwar nicht wie die Maden im Speck, aber ohne Hunger zu leiden, indem sie die Dorfjugend und dazu noch die eines Waisenhauses lehrten, was diese in ihrer Zukunft benötigte. Aber in welcher Zukunft? In einer von den Ariern beherrschten, wieder von den Bratoks besetzten, zum Wohle eines abermals unabhängigen Tannenberglandes der Kriven und Vaidiluten? Nein, so weit dachten sie nicht, und wenn sie es dachten, dann sagten sie es nicht. Oder sie dachten unbewusst, das heißt, ohne es selbst zu begreifen, aber sie taten so, als ob sie es begriffen. Und sie sprachen und dachten sehr einfach. Juozas zum Beispiel freute sich jeden Morgen, wenn er aufwachte, dass er sein Brot nicht mit Ackern und Pflügen verdienen musste, im Frühjahr und im Herbst Heu, Getreide, Grummet mähen, Heu, Getreide, Grummet in den Stall fahren, Getreide, Erbsen, Bohnen, Flachs dreschen, täglich dreimal Schweine, Kühe, Schafe, Pferde füttern, überall ausmisten, Kühe, Ziegen und andere Milch gebende Tiere melken, Butter schlagen, um daraus Quark, Käse und Rahm herzustellen, zwei, dreimal in einer Saison pflügen, jäten und eggen, im Frühjahr pflanzen und im Herbst die Ernte einbringen, sie den Winter über umsortieren und zittern, dass sie nicht fault. Da gab es landwirtschaftliches Gerät zu reparieren, aus Hanf Seile zu flechten, Brennholz zu transportieren, um sich dann abermals den Frühjahrsarbeiten zu widmen. So wie das die meisten Menschen seiner Umgebung taten, unter ihnen auch sein Vater, der vom Hosennähen und der Anfertigung von Loden- und Lammfelljacken allein nicht leben konnte und zusätzlich noch sechs Hektar Land bearbeitete. Gar nicht zu reden von Juditas Vater, der seinen Lebensunterhalt mit dem Fällen von Bäumen verdiente, was ewiges Sägen und Axtschwingen bedeutete, Wegrennen vor Tannen und Fichten, die nach Lust und Laune umfielen, die entästet und zersägt werden, auf einer Kleinbahn gestapelt und transportiert werden mussten, hinunter zum Vater der Flüsse[4], wo man sie zu Flößen zusammenband und auf dem Wasserweg beförderte.

      Juozas freute sich, dass er all das nicht zu tun brauchte, dass er sich ernähren und anständig kleiden konnte und ein Dach über dem Kopf hatte. Dass er Stundenpläne zusammenstellte, bei seinen Kollegen hospitierte, selbst Biologie und Erdkunde unterrichtete und nach dem Unterricht Hefte korrigierte, das hieß vergleichsweise unabhängig zu sein vom Zustand der eigenen Muskeln und den Launen der Natur. Anders ausgedrückt: Er erfreute sich der Vorzüge der, wie es damals hieß, »Ersten Generation nach dem Pflug«, und er verkündete es gleichsam mit seinem ganzen Sein: »Seht mich an. Ich habe mich gehörig angestrengt und brauche jetzt nicht zu schwitzen und im Mist, im Dreck zu waten. Ich laufe herum mit blitzblanken Lederstiefeln, im Anzug und mit Schlips, jeden Tag mit einem sauberen Hemd und ich benutze Rasierwasser. Die Stiefel putze ich täglich, nicht, wie andere Dorfbewohner, nur an Sonn- und Feiertagen. Ich bin einer von den ersten Leuten im Ort und spiele Patience mit dem Priester. Und meine Frau, seht sie euch nur an. Ich habe die schönste Frau aus dem Dorf und der ganzen Umgebung geheiratet, das tollste Mädchen im Seminar. Die ist mir zugefallen. Und zwar deshalb, weil ich... ja, weshalb eigentlich? Deshalb, weil ich unbedingt der sein wollte, der ich jetzt bin.«

      Er war gleichsam eine lebende Reklame für den Nutzen der Wissenschaft. Eine stumme Reklame, denn wenn etwas war, dann zuckte er nur mit den Schultern, als wollte er sagen: »Seht mich an und tut, was zu tun ist, wenn euch das Resultat gefällt.«

      War Juozas wirklich völlig zufrieden? Ja, wenn wir von seiner Arbeit und seiner gesellschaftlichen Stellung reden, denn vorerst gab ihm weder das eine noch das andere Anlass sich zu ärgern. Er verstand sehr gut, was ihm erspart geblieben war. Sapientis sat. Es gab Dinge, die musste man nicht erst ausprobieren, nur um zu sagen: »Das liegt mir nicht, ich will das nicht!« Um zu wissen, was er nicht wollte, reichte es ihm zu sehen, wie physische Arbeit leistende Menschen sich abmühten, und dazu noch die Arbeit während der Ferien auf dem Hof seiner Eltern. Mit anderen Worten, er mochte den Pflug nicht, der zum Symbol seines Volkes geworden war, er wollte, dass etwas anderes, ein Zirkel etwa, eine Lyra oder ein Buch für ihn Symbolwert hatten. Ein Volk konnte doch nicht ewig nur pflügen. Und er sah sich von seinen Eltern unterstützt, die ihn etwas lernen ließen. Seine Schwestern waren stolz auf ihn, die Mädchen im Dorf ihm geneigt, allenfalls die Burschen mochten ihn nicht, aber auch die hätten gern mit ihm getauscht.

      Er war zufrieden mit seiner Familie, seiner Heirat mit Judita, jenem anfangs prächtigsten Mädchen im Seminar, mit madonnenhaftem Gesicht und langem, schwarzem Zopf, später der schönsten Frau weit und breit, Lehrerin in der von ihm geleiteten Schule, die der Jugend des Dorfes die Kunst des Schreibens und Rechnens beibrachte, Tochter eines Holzfällers. Und offenbar mit einem guten Viertel besseren oder sogar blauen Blutes, denn die Frau des Holzfällers war die uneheliche Tochter einer gräflichen Bediensteten – der Grafensohn wurde, bevor die Frau des Holzfällers geboren wurde, nach London geschickt, von wo er nicht zurückkehrte, die sitzen gelassene Schwiegermutter des Holzfällers bekam in der Nachbarschaft des Gutes ein Häuschen zugesprochen, mit einem schönen Blick auf den majestätisch dahinfließenden Vater der Flüsse. Dieses etwaige Viertel besonders kostbaren Blutes hatte Judita, möglicherweise, zu der gemacht, die sie war, zu der ersten unter den Mädchen des Seminars und auch der Damen ihrer Umgebung, obwohl sie sich, was ihre offizielle Herkunft betraf, nicht im Entferntesten mit denen messen konnte. Und Juozas wusste das zu schätzen. Obwohl er kaum Erfahrungen hatte, begriff er den Unterschied zu dem, was er das eine oder andere Mal auf dem Heuboden seines Heimatdorfes erlebt hatte.

      Auch Juozas und Judita taten in den düsteren Jahren der arischen Okkupation das, was junge Menschen interessiert, die sich aneinander erfreuen. Sie entdeckten ihr persönliches Kamasutra, machten die Sache schnell, dann wieder absichtlich langsam, nicht nur Gesicht zu Gesicht, sondern auch gänzlich anders, ohne zu wissen, ob das nun gut sei oder nicht. Und natürlich wagte nicht einer den Priester zu fragen, der, wie gesagt, mit Juozas Patience spielte und gern zu ihnen zu Besuch kam, aber kaum in der Lage gewesen wäre, etwas Ernstes zu dieser Frage beizusteuern, verstehen doch katholische Priester wenig davon, erkennen es nur als Mittel der Fortpflanzung СКАЧАТЬ