Название: Abengs Entscheidung
Автор: Philomène Atyame
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Literaturen und Kulturen Afrikas
isbn: 9783898968249
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Nach der Quälerei träumte er von einer Hochzeit. Er wollte Abeng heiraten. ›Sie kennen mich gar nicht, ich meine, meinen Charakter. Ich kenne Sie auch nicht. Vielleicht sind Sie verheiratet. Wer ist die Frau da, auf dem Photo? Sie sind bestimmt Vater. Und Sie wollen mich heiraten? Vielleicht sind Sie verrückt!‹ sagte Abeng zu dem Fremden. Es war Nadine, die damals, in den ersten Morgenstunden, Abeng nach Hause brachte. An diesem Morgen entschied sich Abeng, vorsichtig zu leben. Und das bedeutete für sie: nie wieder Spirituosen.
Solche Erinnerungen hätte Abeng am liebsten nie gehabt, aber sie blieben in ihrem Kopf, Abengs Gedächtnis bewahrte sie, die schrecklichsten Erinnerungen. Es bewahrte auch zum Glück die schönsten.
Abeng war sehr neugierig, sehr forsch, wollte von der Welt so viel wie möglich sehen. Ihre Neugier erinnerte oft an Gefangene, die jahrelang in der Dunkelheit waren und einmal draußen ihre Umwelt in wenigen Tagen erblicken wollten. Vielleicht war Abeng so, weil sie häufig in Berührung mit Gefangenen kam. Denn in Kondengui, im Viertel der Gefangenen, wurde Abeng groß. Wie kam Abeng zu den Gefangenen?
Abeng war sechs, als ihr Vater ihren Geburtsort im Osten verließ und ins Zentrum, ins Viertel der Gefangenen zog. Das Staatsgefängnis lag ein paar hundert Meter vom Elternhaus. Die Gefangenen hatten eine weiße Uniform mit roten oder schwarzen Streifen. Abeng fragte sich, ob die Streifenfarben eine Bedeutung hatten: die ewige Dunkelheit hinter Gittern? Die Vollstreckung eines Todesurteils in Tcholliré? Abeng wußte es nicht genau. Die Gefangenen taten ihr leid, unter ihnen waren Unschuldige, hatten nichts getan. Kinderschänder und Mörder liefen frei herum. Wie gern hätte Abeng jede schlechte Gerichtsverhandlung unterbrochen! Wer hätte ihr aber zugehört? Die Richter schlugen auf den Tisch und verkündeten ein Urteil. Ein Unschuldiger wurde eingesperrt. Später entdeckte man den Fehler. Das Fehlurteil wurde aufgehoben, Dreyfus begnadigt, Frankreich gespalten.
Eines Tages kaufte Abeng eine gestrickte Tasche, die ihr ein Gefangener gebracht hatte. Der Gefangene war eines der vielen Opfer eines Fehlurteils. Abeng kaufte seine Tasche, nicht weil sie eine gestrickte Tasche brauchte, sondern und vor allem weil sie dabei dachte, dem Gefangenen auf diese Weise zu zeigen, daß sie an seiner Seite war.
Die Gefangenen erhielten meist ihr Brot vom Staat. Manchmal gab ihnen der Staat die Möglichkeit, das Tageslicht zu sehen und Geld zu verdienen. Einige gingen dann von Haus zu Haus und verkauften Waren aus Monaten von Arbeit. Manche rodeten, fällten Bäume und gruben Stümpfe und Wurzeln aus, schlugen das Unkraut der Gebüsche mit Macheten, machten Waldflächen urbar, bekamen Geld von einem Waldbesitzer und rannten wieder ins Gefängnis. Die Frau des Waldbesitzers nahm die Machete, spaltete die nackte Erde entzwei und warf drei Maissaaten in die Tiefe. Nach drei Regentagen schossen Maisblätter wie Pilz aus der Erde. Die Farbe der Blätter leuchtete vielversprechend, das Dunkelgrün versprach eine gute Ernte, und im Dschungel waren die Ernten selten schlecht.
Die Frau des Gefangenen, an dessen Seite Abeng war, hatte eine gute Ernte gehabt. Sie brachte ihrem Mann einen Teller Maisbrei mit gekochten Maniokblättern ins kalte Gefängnis. Der Ehemann freute sich und sagte: ›Darling, I miss you‹. Darling hatte leider keine Wahl, sie mußte nach Buéa, zu den Kindern, denn zumindest sie hatten noch eine Zukunft: sie waren noch frei. Ihr Vater mußte warten, vor allem hoffte er auf eine Begnadigung, obwohl er keine brauchte.
Er hatte kein Verbrechen begangen. Er wurde in Kondengui gefangengehalten, aus der grundlosen Angst davor, daß Rio dos Cameroes wieder gespalten werden konnte. War die Wunde von Rio dos Cameroes nicht sichtbar genug? Wer wußte nicht, daß die alte Wunde mit einer rostigen Nadel und einem brüchigen Faden genäht worden war? Eine Narbe erschien an der Nahtstelle: die Wiedervereinigung. Wer sah nicht die Scheinnarbe? Sie verbarg eine tiefe Wunde, bereitete eine Überraschung. Rio dos Cameroes fürchtete eine neue Spaltung, obwohl es längst gespalten war.
Der Gefangene blieb hinter Gittern, strickte, schuf schöne Kunst, aber Tcholliré wartete auf ihn, die Schädelstätte von Rio dos Cameroes, ein Golgatha für die Einwohner, die man Krabben nannte, weil sie am Fluß der Krabben, am Rio dos Cameroes, lebten.
Abeng vergaß diesen Gefangenen nie, der ihr die Tasche verkaufte. Er war ein würdiger Mensch, arbeitete für sein Brot. Aber die Hinrichtung wartete auf ihn, obwohl er unschuldig war.
Abeng hatte Glück. Sie war frei, sie hatte einen freien Lebensraum, genauso wie die Politiker der Hauptstadt. Außerdem war sie immun gegen die gerechte Verhaftung, auch ohne diplomatische Immunität. Verbrecherische Versuchungen oder Taten wie Diebstahl, Mord, Abenteuer mit verheirateten Männern und ähnliche Verbrechen, die die Täter manchmal das Leben kosteten, mied Abeng. Sie wollte nicht am Leichtsinn sterben. Abeng wollte vor allem nicht ins Gefängnis, denn es war ein furchtbares Bild, das Bild eines Gefangenen. Er verlor das Wichtigste im Menschenleben: Er verlor seine Freiheit.
Abeng hatte auch einen freien Vater und fünf Geschwister, die noch eine Zukunft hatten: fünf freie Geschwister. Sie hatte leider auch eine freie Stiefmutter, eine bildhübsche Löwin mit Krallen. Und weil sie mit ihren Krallen Assam und seine Kinder drohte, mochte Abeng sie nicht. Wie gern hätte Abeng diese Löwin hinter Gittern gesehen! So war es für das junge Mädchen eine Erlösung, als ihr Vater nach zehn Jahren unglücklicher Ehe sich scheiden ließ. ›Papa, sei nicht traurig! Eigentlich solltest du dich freuen! In der letzten Zeit hat jeder gesehen, wie unglücklich du warst‹, sagte sie, um ihren Vater zu trösten, einen Menschen, den sie gern hatte.
Es vergingen zehn Jahre, bis Assam sich für ein neues Eheleben entschied. Er heiratete Nkolo, eine liebenswürdige Frau. Kurz nach der Hochzeit Assams lernte Abeng Manfred kennen.
Das Kind Manfred wuchs am Wasser auf, es spielte gern am Strand, es liebte den Sand. Es kannte Boote und Schiffe. Es mochte sie. Es kannte den Winter, die Kälte und den Schnee. Es mochte sie nicht. Es wanderte aus.
In der Zeit, in der Manfred Abeng kennengelernt hatte, arbeitete er dank einer Unterschrift von Seeman alias Siemens in der Stadt von Akwa. Akwa war der erste Mensch, den Manfred in dieser Stadt besuchte. Der Gastgeber hätte sich nicht über Manfred gefreut. Aber die Toten waren tot, von Akwa blieb nur Staub, Sand, Beton, Marmor, Gips. Manfred streichelte seinen steinernen Arm. Eine Statue, die an eine alte Zeit erinnerte, an die Zeit vor den zwei großen Kriegen. Manfred verließ seinen Gastgeber und fuhr am selben Tag zum Hafen. Die Meeresluft tat ihm gut, sie frischte alte Erinnerungen auf, machte die schlimmsten erträglich.
Manfred liebte Hafenstädte. Ihre Küsten hatten etwas Heilendes, auch wenn hier die Mücken Unheil brachten. ›Ich wohne in einer Küsten- und Mückenstadt‹, schrieb er seinen Eltern. Es war sein erster Brief an sie, seitdem er seine Heimat verlassen hatte.
Manfred war einer der wenigen begabten und vor allem glücklichen Männer, die einen unbefristeten Arbeitsvertrag von Seeman erhielten. Seeman träumte von einem internationalen Drahtwerk, das über den nächsten Krieg siegen würde. Seeman war voller Hoffnung, denn ohne Zuversicht, und das wußte Seeman am besten, erfolgte nichts. Als erstes prüfte er alle, die ihn um eine Beschäftigung in Rio dos Cameroes baten. Für den Bau des weltweiten Kabelnetzes war schon Begabung gefragt. Nach der Prüfung verteilte Seeman Verträge an wenige und schickte sie für sein erstes Experiment nach Afrika, zu jenem Land am Fluß der Krabben.
Leider blieben viele kluge Köpfe, die Seeman nicht beschäftigen konnte, da sie nur mit seiner Theorie, aber nicht mit seiner Praxis vertraut waren. Ihnen blieb dann nichts anderes übrig, als in die Kirche zu gehen. Dort trafen sie mit einem berühmten, sehr eifrigen Priester СКАЧАТЬ