Название: Abengs Entscheidung
Автор: Philomène Atyame
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Literaturen und Kulturen Afrikas
isbn: 9783898968249
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»Wie kommst du überhaupt darauf? Wenn das ein Mord ist, sind alle Menschen Mörder.«
»In der letzten Zeit habe ich viel an eine Wiedergutmachung gedacht. Ich habe zu meinem Vater gesagt, daß ich den Schullehrer kennenlernen möchte. Er soll in Sangmelima unterrichten, und ist, wie ich gehört habe, kirchlich sehr eifrig. Deswegen gefällt er meinem Vater.«
»Willst du ihn heiraten?«
»Das ist die Frage. Die Frage ist, ob ich ihn heiraten will.«
»Das mußt du aber wissen. Das würde ich auch gern wissen.«
»Ehrlich gesagt will ich ihn nicht heiraten. Aber vielleicht werde ich ihn heiraten müssen, um meinen Vater nicht zu verletzen.«
»Verzeih mir! Ich bin sehr direkt. Ich möchte mich nicht in deine Familienangelegenheit einmischen. Deswegen ist es gut, daß du von vornherein weißt, was du willst.«
»Manfred, das weiß ich seit langem.«
»Was?«
»Ich will diesen Mann nicht heiraten.«
»Aber du könntest. Das hast du eben gesagt. Und gerade deswegen erzählst du mir von ihm.«
»Entschuldige. Ich bin mit mir selbst noch nicht klar.«
Manfred war verblüfft. Ihm kam die Geschichte von Abengs Großvater wie eine Pest in der Familie der jungen Frau vor, eine Pest, die Abeng von Menschen zurückhielt, die sie gern malte, und die sie liebhatte. Die Geschichte weckte in Manfred den Wunsch, Abeng von ihren verwirrenden Schuldgefühlen zu befreien.
Dann erinnerte sich Manfred an eine Mauer: an die Berliner Mauer. 28 Jahre lang trennte sie Menschen voneinander, die sich wie er und Abeng liebten. Aber sie fiel! Drei Monate nach seiner Ausreise fiel die höchste Mauer Deutschlands. Aber jetzt in Kamerun hatte Manfred wieder das Gefühl, vor einer Mauer zu stehen, vor der Mauer zwischen Schwarzen und Weißen: der Nord-Süd-Mauer.
Früher herrschten auf der schwarzen Seite dieser Mauer Haß und Rache, auf der weißen Seite Macht und Folter. Als 1960 diese Mauer bröckelte, begann die Nord-Süd-Partnerschaft. In Rio dos Cameroes arbeitete Manfred an der begonnenen Partnerschaft. Aber nun sah er Ruinen, Mauerruinen, die nicht weggeräumt wurden. Es waren Ruinen, mit denen man in der Gegenwart neue Mauern errichtete, alte Ruinen, die jede neue schwarz-weiße Liebe störten. Manfred entschied, Abeng von diesen Ruinen fernzuhalten. Er sagte:
»Weißt du? Ich brauche gar nicht zu fragen. Du weißt es.«
»Was?«
»1960.«
»Was? Meinst du die Unabhängigkeit Kameruns?«
»Ob ihr in diesem Jahr unabhängig wurdet, daran zweifle ich wohl. Ich dachte eben an etwas anderes, an eine Mauer.«
»An welche Mauer? An die Berliner Mauer?«
»Nein, sie ist schon gefallen. Ich meine..., ich sehe eine Mauer zwischen dir und mir. Sie ist wie die Berliner Mauer, sie ist nur höher, und älter. Gut, ich meine, die Geschichte hat eine Mauer zwischen Schwarzen und Weißen gebaut. Sie ist genau so blöd wie unsere Berliner Mauer! Hm. Ein Glück, daß auch sie fiel! Sie fiel fast überall in Afrika im Jahre 1960. Die Afrikaner feierten, war auch in Ordnung. Aber sie vergaßen, die Reste wegzuräumen. Damit baust du wieder vor mir eine Mauer… Yvonne, Yvonne Abeng, ich meine folgendes: dein Opa hat dir einen Mann versprochen, der dich von mir zurückhält, obwohl du ihn gar nicht kennst. Warum? Warum verdammt nochmal? Es wäre gut, wenn Schwarze und Weiße versuchen, sich einander zu nähern.«
»Das ist auch mein Wunsch, Manfred. Ich wünsche es von ganzem Herzen. Ich versuche es auch. Deswegen bin ich mit dir hier. Ich kann auch das Familienarrangement gleich brechen, wenn ich es will. Nur ein Anruf bei meinem Vater genügt. Er wird nichts dagegen tun. Er wird nur ein paar Tage schweigen, danach wird er wieder mit mir reden. Aber ich will nicht so brutal sein. Solch ein Anruf wäre brutal. Außerdem hat mich mein Vater niemals gezwungen, ihm zu sagen, daß ich diesen Meva’a, den Schullehrer, sehen will. Das muß ich dir genau erklären, damit du mich verstehst. Mein Opa hat den Mann für mich ausgesucht. Aber ich habe nein zu Opa gesagt. Ich habe mich gegen ihn gewehrt. Nach seinem Tod machte ich den größten Fehler aller Zeiten. Ich sagte zu meinem Vater, daß ich den Schullehrer sehen wollte. Er hält den Schullehrer für den erlösenden Prinzen, weil er fromm ist. Ich habe meinen Vater mit meinem Wunsch sogar überrascht. Er wußte längst, daß ich von einer Bi-Ehe träume. Jedesmal, wenn ich mich mit ihm über die schwarz-weiße Liebe unterhielt, war ich überzeugend. Aber er blieb mißtrauisch. Bis heute sagt er, daß junge Europäer nichts vom Glauben halten. Nur, mein Vater wird mich niemals zwingen, irgendeinen Typ zu heiraten. Er hat seine Wünsche und freut sich, wenn sie in Erfüllung gehen. Aber er zwingt niemanden, ihm zu gehorchen. Das einzige, was ihm nicht gefällt, ist, wenn jemand sein eigenes Wort nicht hält. Oft antwortet er mit Schweigen, und wenn er tief verletzt ist, schweigt er lange. Das versuche ich zu vermeiden. Bis heute habe ich ihn nicht zum Schweigen gebracht. Ich will nicht, daß mein Vater irgendwann aufhört, mit mir zu sprechen. Ich kann so etwas nicht aushalten. Deswegen will ich eine friedliche Lösung finden. Wichtig für mich ist, daß ich meinen Vater nicht verletze.«
»Er wird dich verstehen. Er ist nicht dumm. Er weiß genau, daß jeder Mensch sich irren kann. Irren ist menschlich, nobody is perfect. Außerdem bist du volljährig. Er wird dein Alter ernst nehmen. Du bist kein Kind mehr.«
»Das ist wahr, aber immerhin schulde ich ihm eine Erklärung. Deswegen will ich vorher mit ihm reden. Ach, das kannst du nicht gleich verstehen.«
»Das werde ich auch nie verstehen. Vielleicht brauche ich eine kamerunische Taufe, um so etwas zu verstehen.«
Manfred verstand das nicht. Er verstand Abengs Zurückhaltung nicht. Er verstand nicht, warum sie sich wie eine Gefangene verhielt. Er begriff die Familienbindung nicht, die sich in der jungen Frau gefestigt hatte. Er entschied, Abeng die rohe Wahrheit zu sagen, um sie auf ihre Gefangenschaft aufmerksam zu machen.
»Aber wenn du deinen Vater nicht verletzen willst, warum hast du am Anfang den Schullehrer abgelehnt? Du wußtest genau, daß dein Vater ihn sehr schätzt. Und warum warst du immer mit Weißen im Kontchupé, obwohl du genau wußtest, daß dein Vater dagegen ist?«
»Ich СКАЧАТЬ