Название: In der Sommerfrische
Автор: Anton Tschechow
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker der Weltliteratur
isbn: 9783843804660
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Aljoscha wurde nachdenklich.
»Sie werden es doch nicht der Mama sagen?«, fragte er.
»Was dir nicht einfällt!«
»Ihr Ehrenwort?«
»Mein Ehrenwort.«
»Schwören Sie!«
»Du bist unerträglich! Für wen hältst du mich denn?«
»Um Gottes willen, sagen Sie es nur nicht der Mama … Erzählen Sie es überhaupt keinem Menschen, denn es ist ein Geheimnis. Wenn es, Gott behüte, die Mama erfährt, so werden wir alle – ich und Sonja und Pelageja was erleben … Hören Sie also. Den Papa sehen wir, ich und Sonja, jeden Dienstag und Freitag. Wenn wir am Vormittag mit der Pelageja spazieren gehen, führt sie uns in die Apfelsche Konditorei, und der Papa erwartet uns schon da … Er sitzt immer in dem kleinen Extrazimmer, Sie wissen, mit dem Marmortisch und der Aschenschale in Form einer Gans ohne Rücken …«
»Was macht ihr denn da?«
»Gar nichts! Zuerst begrüßen wir uns, dann setzen wir uns alle an den Tisch, und Papa lässt uns Kaffee und Pastetchen bringen. Wissen Sie, die Sonja isst Pastetchen mit Fleisch, und ich kann die mit Fleisch nicht ausstehen! Ich liebe die mit Kohl und Eiern. Wir essen uns so voll, dass wir uns später beim Mittagessen bemühen, damit es die Mama nicht merkt, möglichst viel zu essen.«
»Worüber sprecht ihr denn da?«
»Mit dem Papa? Über alles. Er küsst und umarmt uns und erzählt uns verschiedene komische Witze. Wissen Sie, er sagt, dass, wenn wir groß werden, er uns ganz zu sich nehmen wird. Sonja will nicht, aber ich bin einverstanden. Ohne die Mama wird es natürlich langweilig sein, aber ich werde ihr Briefe schreiben! Ich versteh’ es nicht: wir werden sie doch an Feiertagen besuchen können, nicht wahr? Dann hat Papa gesagt, dass er mir ein Pferd kaufen wird. Ein furchtbar guter Mensch! Ich weiß gar nicht, warum ihn die Mama nicht kommen lässt, damit er bei ihr wohnt, und warum sie es nicht haben will, dass wir mit ihm zusammenkommen. Er liebt doch die Mama sehr. Er fragt uns immer aus, wie es der Mama geht und was sie treibt. Als sie krank war, da griff er sich an den Kopf … so! … und lief immer auf und ab. Er bittet uns immer, dass wir ihr folgen und sie ehren. Hören Sie, ist es wahr, dass wir unglücklich sind?«
»Hm … Warum?«
»Der Papa sagt es. Ihr seid, sagt er, unglückliche Kinder. Es ist doch wirklich merkwürdig! Betet, sagt er, zu Gott für euch und für sie.«
Aljoscha heftete seinen Blick auf einen ausgestopften Vogel und wurde nachdenklich.
»So, so«, brummte Beljajew. »So treibt ihr es. Haltet in Konditoreien Versammlungen ab. Und die Mama weiß nichts davon?«
»N–nein … Woher soll sie es wissen. Die Pelageja wird es ihr doch niemals sagen. Vorgestern brachte uns Papa Birnen mit. So süß wie Marmelade! Ich habe zwei Stück gegessen.«
»Hm … Hör einmal … Hat der Papa nichts über mich gesagt?«
»Über Sie? Was soll ich Ihnen sagen …« Aljoscha blickte Beljajew prüfend an und zuckte die Achseln.
»Nein, er hat nichts Besonderes gesagt.«
»Was hat er zum Beispiel gesagt?«
»Werden Sie auch nicht böse sein?«
»Was dir nicht einfällt! Hat er denn auf mich geschimpft?«
»Geschimpft hat er nicht, aber … wissen Sie, er ist Ihnen böse. Er sagt, dass die Mama durch Sie unglücklich geworden ist und dass Sie Mama zugrunde gerichtet haben. Er ist doch so merkwürdig! Ich erkläre ihm, dass Sie gut sind und die Mama niemals anschreien, und er schüttelt nur den Kopf.«
»Hat er das gesagt: dass ich sie zugrunde gerichtet habe?«
»Ja. Seien Sie nur nicht böse, Nikolai Iljitsch!«
Beljajew erhob sich vom Sofa, stand eine Weile da und fing dann an, auf- und abzugehen.
»Es ist sonderbar und … lächerlich!«, brummte er, die Achseln zuckend und höhnisch lächelnd. »Er ist an allem schuld, und ich habe sie zugrunde gerichtet. Wie? Dieses Unschuldslamm! Hat er das wörtlich so gesagt, dass ich die Mama zugrunde gerichtet habe?«
»Ja, aber … Sie haben eben gesagt, dass Sie nicht böse sein werden.«
»Ich bin gar nicht böse und … es ist auch nicht deine Sache! Ich bin der Hereingefallene, und da soll ich auch noch der Schuldige sein!«
Draußen ging die Klingel. Der Junge rannte hinaus. Nach einer Weile trat ins Zimmer eine Dame mit einem kleinen Mädchen: es war Olga Iwanowna, Aljoschas Mutter. Ihr folgte hüpfend, mit den Armen schlenkernd und laut trällernd Aljoscha. Beljajew nickte ihr zu und fuhr fort, auf- und abzugehen.
»Natürlich, wen soll man auch anklagen, wenn nicht mich?«, murmelte er schnaubend. »Er hat recht! Er ist der gekränkte Gatte!«
»Was meinst du eigentlich?«, fragte Olga Iwanowna.
»Was ich meine? Hör’ einmal, was für Dinge dein Herr Gemahl predigt! Ich bin nämlich der Schuft und der Verbrecher. Ich habe dich und die Kinder zugrunde gerichtet. Ihr seid alle unglücklich, und nur ich allein bin so furchtbar glücklich! Furchtbar, furchtbar glücklich!«
»Nikolai, ich verstehe nichts! Was ist los?«
»Hör’ nur, was dieser junge Herr erzählt!«, sagte Beljajew, auf Aljoscha weisend.
Aljoscha wurde erst rot, dann blass, und sein Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen.
»Nikolai Iljitsch!«, flüsterte er laut. »Psst!«
Olga Iwanowna blickte erstaunt auf Aljoscha, dann auf Beljajew und dann wieder auf Aljoscha.
»Frag’ ihn nur!«, fuhr Beljajew fort. »Deine Pelageja, diese dumme Gans, geht mit den Kindern in Konditoreien und richtet ihnen Zusammenkünfte mit dem Herrn Papa ein. Es handelt sich aber nicht darum, sondern darum, dass der Herr Papa leidet und ich ein Verbrecher und Schurke bin, der euer Leben zerstört hat!«
»Nikolai Iljitsch!«, stöhnte Aljoscha. »Sie haben doch Ihr Ehrenwort gegeben!«
»Ach, lass mich in Ruh!«, sagte Beljajew, mit der Hand abwehrend. »Hier handelt es sich um etwas Wichtigeres als alle Ehrenworte. Mich empört hier die Heuchelei, die Lüge!«
»Ich verstehe gar nichts!«, versetzte Olga Iwanowna, und in ihren Augen erglänzten Tränen. »Hör’ einmal, Aljoscha«, wandte sie sich an den Sohn: »Kommst du mal mit deinem Vater zusammen?«
Aljoscha hörte nicht auf sie und blickte entsetzt Beljajew an.
»Es kann nicht sein!«, sagte die Mutter. »Ich will mal die Pelageja ins Gebet nehmen.«
Olga СКАЧАТЬ