Название: Zorn der Lämmer
Автор: Daniel Wehnhardt
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783839268162
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Den Bewohnern gegenüber stand eine Gruppe deutscher Soldaten. Überwacht von einem hochgewachsenen Offizier, der sein Gesicht unter einer Mütze mit dem unverkennbaren Adler verbarg und seine Hände tief in den Taschen seines ledernen Trenchcoats vergraben hatte. Bei seinem Anblick lief es Janina kalt den Rücken hinunter. Augenblicklich wurde ihr klar, dass er derjenige war, der in dieser Nacht über ihr Leben und das ihrer Nachbarn entscheiden würde.
Als plötzlich ein Mädchen in der Reihe die Kräfte verließen und es auf die Knie fiel, nickte der Offizier dem Soldaten an seiner Seite knapp zu. In der tiefschwarzen Nacht erkannte Janina zwar nicht, was dieser antwortete, doch an den Bewegungen seiner Lippen erahnte sie, dass es die zwei deutschesten Worte überhaupt waren: »Zu Befehl!«
Der Soldat eilte zu der Kirchenmauer hinüber, zog hinter seinem Rücken eine Peitsche hervor und prügelte unter dem Flehen der Mutter auf das bewusstlos am Boden kauernde Mädchen ein, bis Blut aus Mund und Nase seines Opfers quoll. Als das Mädchen aufhörte zu zucken, trat der Soldat mit seinen Militärstiefeln so lange auf seinen Schädel ein, bis dieser zerbrach. Das Geräusch fuhr Janina durch Mark und Bein. Die Mutter brach in einen Heulkrampf aus.
»Runter, du Judensau!«, herrschte der Soldat sie an. Mit einer Hand zeigte er auf seine Stiefel. »Ablecken!«
Weil sie seinen Befehl nicht befolgte, schlug er nun auch auf sie ein. Hob sie immer wieder hoch, wenn sie vornüber in den blutgetränkten Matsch gefallen war, und schlug mit dem Ledergriff seiner Peitsche zu. Bis sie schließlich auf allen vieren zu ihm kroch und anfing, mit der Spitze ihrer Zunge seine Stiefel abzulecken. Als der Soldat genug gesehen hatte, zückte er grinsend seine Pistole, presste die Mündung an den Kopf der Mutter und drückte ab. Jegliches Geräusch erstarb mit dem Knall auf dem Dorfplatz. Alle Bewohner schienen zu verstehen, dass niemand von ihnen diese Nacht überleben würde.
»Achtung!«, hallte der Befehl eines Unteroffiziers zwischen den Steinmauern. Synchron schlugen die übrigen Soldaten ihre Hacken zusammen. »Legt an!«
Janinas Blicke schossen zwischen ihnen und Yaron hin und her. Die Hände hinter dem Kopf gefaltet, stand der schmächtige Kerl mit den kurzen Haaren, für den sie schon seit geraumer Zeit schwärmte, reglos da und starrte in den Lauf des auf ihn gerichteten Gewehrs.
»Juden«, ertönte mit einem Mal die Stimme des Offiziers im Trenchcoat aus einem Sprachrohr. »Vierhundert tapfere und ehrenhafte deutsche Soldaten sind bei einem feigen Anschlag ermordet worden. Wie wir wissen, haben Bewohner dieses Dorfes die Täter bei der Ausführung unterstützt. Auf Befehl des Führers werden die Verbrecher nun ihre gerechte Strafe erhalten.«
Janina hatte davon gehört. Nur ein paar Kilometer von hier war auf einer Brücke ein Zug der Wehrmacht explodiert und in die Schlucht gestürzt. Ihr Vater hatte sogar die Flammen gesehen, die am Himmel aufgetaucht waren. Im Dorf hatte man gerätselt, wer wohl für diesen Anschlag verantwortlich gewesen war. Es mussten Partisanen gewesen sein, hatte so mancher gemutmaßt. Viele äußerten die Sorge, dass die Widerstandskämpfer sie eines Tages noch alle ins Grab bringen würden, und so hatte es niemanden gegeben, der diese Aktion offen für gut befunden, geschweige denn sie unterstützt hätte. Außer Yaron, von dem Janina wusste, dass er die stille Kollaboration vieler Menschen immer wieder scharf verurteilt hatte. In ihren seltenen zweisamen Gesprächen hatte er davon fantasiert, nach Wilna ins Getto zu gehen und sich dort einer Gruppe von Rebellen anzuschließen. Für diesen Mut bewunderte Janina ihn, denn sie selbst hätte ihn niemals aufgebracht.
Ein plötzlicher Schrei holte sie zurück.
»Feuer!«, befahl der deutsche Unteroffizier. Ließ seinen Arm nach unten fallen wie das Beil eines Henkers und gab damit den Soldaten das Zeichen zum Abdrücken. In dem Bruchteil einer Sekunde riss die Salve die Menschen von den Beinen. Als Janina sah, wie Yaron getroffen fiel, brach auch sie zusammen, als hätte ihr jemand den Boden unter den Füßen weggerissen. Nur kurz spürte Janina den schmerzhaften Aufprall eines Gewehrkolbens, mit dem der Soldat in ihrem Rücken sie ohnmächtig schlug.
*
Abba konnte nicht glauben, was er da hörte. Mit leuchtenden Augen rückte er dicht an den Empfänger heran. Ihn lauter zu drehen, wäre zu riskant gewesen, denn den Juden war der Besitz von Radios und Telefonen strengstens verboten.
Davon ließ sich der Oberleutnant der FPO jedoch nicht beirren. Nacht für Nacht verbarrikadierte Abba sich in einem Keller im Getto, mehrere Meter unter der Straße. Rauchte eine Zigarette nach der anderen und hörte SWIT, den Rundfunksender des Untergrunds. In der Hoffnung, irgendein Lebenszeichen von außerhalb des Gettos zu erhalten.
Manchmal, wenn Vitka und Ruzka ihn begleiteten, ließ Abba sogar Musik laufen. Dann tanzten sie miteinander die Nächte durch, vergaßen für ein paar Stunden den quälenden Hunger, der sie schwächte, die Strapazen des Waffenschmuggels und die schwindende Hoffnung darauf, dass die Juden sich ihnen, den Rebellen, eines Tages anschließen und gegen die Deutschen kämpfen würden. Seltene, deshalb aber umso süßere und ungetrübtere Freude. Hinterher kam es vor, dass Abba sich manchmal schuldig fühlte, weil die Menschen im Getto niemals solche Momente, sondern nur tägliches, grenzenloses Leid erlebten. Ein Gefühl, das ihn auch befiel, als er von der Racheaktion in Oszmiana erfuhr. Eines der Rebellenmädchen, die auf seinen Befehl die Dörfer in der Umgebung abklapperten, hatte ihm die erschütternde Botschaft überbracht: Im Schutz der Nacht war die SS in das Dorf einmarschiert und hatte alle Bewohner erschossen. Alte und Junge, Männer und Frauen, Kinder und Neugeborene. Danach hatten sie sämtliche Häuser in Brand gesteckt und waren wieder abgezogen. In dem Dorf schwelte noch tagelang das Feuer. So blieben von Oszmiana nur Erinnerungen übrig. Als Vergeltung für den ersten Anschlag der FPO, die Sprengung des Wehrmachtszuges, hatten die Deutschen das Dorf von der Landkarte gelöscht.
Jetzt, als die Stimme des Ansagers im Empfänger knisterte, empfand Abba hingegen nichts als Begeisterung. »Achtung, Achtung! Hier spricht der polnische Widerstand. Seit heute, neunzehnter April 1943, befindet sich das Warschauer Getto im Aufstand.«
Zitternd vor Aufregung lauschte Abba den folgenden Ausführungen. Mit jeder weiteren Information funkelten seine Augen immer heller. Sie sprachen von Schusswechseln. Davon, dass die Warschauer Rebellen geschmuggelte Maschinengewehre einsetzten und zahlreiche deutsche Soldaten töteten. Von Molotowcocktails, die durch den Himmel schwirrten und ihn mit gleißenden Stichflammen erhellten. Von Bewohnern, die – aus ihren Hinterhalten feuernd – den Kugelhagel auf ihre Unterdrücker richteten.
Da war sie endlich. Die lang ersehnte Revolte, zu der Abba auch die Warschauer Juden gedrängt hatte. Zuria war erfolgreich gewesen: Vor einem Jahr hatte Abba das Mädchen nach Polen geschickt, damit sie den dortigen Zionisten vom Massaker in Ponary erzählte und seine Rede vom Silvesterabend vorlas. In Abbas Augen war es besser, als freier Mensch zu sterben, als durch die Gnade seines Mörders weiterzuleben. Das sollte sie ihnen mitteilen, und anscheinend hatten seine Worte nun Früchte getragen. Jetzt würden ihm hoffentlich auch die litauischen Juden folgen, dachte Abba.
*
Zielstrebig marschierte sie auf das Gettotor zu.
Anna Borkowskas Herz trommelte wie verrückt. Ein Gefühl, als würde es augenblicklich aus ihrer Brust springen. Der Judenstern, den Schwester Dalia an ihren Mantel genäht hatte, vibrierte bei jedem Schlag. Trotz der winterlichen Temperaturen lief warmer Schweiß unter ihrem Kopftuch an den Schläfen herunter. Für sie als gläubige Christin war es ein beklemmendes Gefühl, den Judenstern zu tragen. Nicht nur, weil sie sich dadurch selbst in Gefahr begab, sondern weil auch sie nun zum ersten Mal die Unterdrückung spürte, die mit ihm verbunden war. Die Entwürdigung, die permanente menschliche Herabsetzung. Wie grausam musste es wohl für die Menschen sein, die ihn jeden Tag zu tragen gezwungen waren. Es war Anna Borkowska nun klar, dass sie die richtige СКАЧАТЬ