Die verkannten Grundlagen der Ökonomie. Riane Eisler
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СКАЧАТЬ nämlich ihres Potenzials für eine optimale Entwicklung.

      Die Geschlechterdiskriminierung verursacht nicht nur enormes Leid und Unglück, sondern behindert auch massiv die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung. So hat sie direkte Auswirkungen auf die Erwerbsbevölkerung, denn sie beeinträchtigt die Fähigkeit von Kindern – also langfristig auch Erwachsenen –, sich an neue Bedingungen anzupassen und Frustrationstoleranz zu entwickeln. Außerdem begünstigt sie gewalttätige Tendenzen. Diese Konsequenzen der Geschlechterdiskriminierung erschweren es, Lösungen für Probleme wie chronischen Hunger, Armut und bewaffnete Konflikte zu finden und Voraussetzungen für eine menschlichere, glücklichere und friedlichere Welt zu schaffen.

      In den meisten Ländern erfährt auch die traditionell von Frauen geleistete Care-Arbeit nur wenig bis keine Unterstützung. So gibt es zum Beispiel nur in wenigen Ländern Beihilfen für Familien mit Kindern. In vielen Ländern wird Care-Arbeit selbst dann nur geringer Wert beigemessen, wenn sie innerhalb der Marktwirtschaft erfolgt – und gar keiner, wenn sie privat in Haushalten geleistet wird.

      Betrachtet man diese Faktoren vor dem Hintergrund der traditionellen Diskriminierung von Frauen und Mädchen in Bildung, Gesundheitsfragen, Wirtschaft und sogar Ernährung, wundert es einen nicht, dass Frauen und Kinder weltweit die größte Gruppe im Heer der Armen bilden und hier zu den Ärmsten der Armen gehören.

      Solange wir in Wirtschaft und Gesellschaft diesen Gender-Doppelstandard verwenden, ist es unrealistisch zu erwarten, dass sich etwas Grundlegendes an der Armutsrate in der Welt ändert, denn solange Frauen und alles, was mit Frauen assoziiert wird, eine Abwertung erfahren, werden Frauen und Kinder das Heer der Armen in der Welt weiter anwachsen lassen.8

      Das bedeutet nicht, dass die auf dem Geschlecht basierenden wirtschaftlichen Ungleichheiten gravierender wären als die wirtschaftlichen Ungleichheiten, die auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht oder Ethnie oder anderen Faktoren beruhen. Doch wie oben bereits erwähnt, ist das Bild des überlegenen Mannes gegenüber der unterlegenen Frau ein Grundmuster für die Einteilung der Menschheit in »Unter- und Übergeordnete«, das bereits Kinder in dominanzgeprägten Familien verinnerlichen. Und solange Menschen solche mentalen Kategorien in sich tragen, ist es unrealistisch, irgendwelche Änderungen bezüglich des Ingroup-versus-Outgroup-Denkens zu erwarten, das so viel Ungerechtigkeit und Leid verursacht.

      Ebenso wenig können wir ernsthaft auf eine allgemein mehr auf Fürsorge basierende Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik hoffen, solange die überlebensnotwendige, von Männern und Frauen geleistete Fürsorge und Care-Arbeit weiterhin als »bloße Frauenarbeit« abgewertet wird. Solange Fürsorge gesellschaftlich nicht mehr Anerkennung findet, wird sie auch in der Wirtschaftspolitik und -praxis nicht als wertvoll betrachtet werden.

      Hier möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich – wenn ich von Fürsorge und Care-Arbeit als »Frauenarbeit« spreche – lediglich herkömmliche Überzeugungen wiedergebe, die wir aus Zeiten übernommen haben, in denen die Geschlechterrollen sehr viel rigider festgelegt waren. Das Ziel ist eine Gesellschaft, in der nicht nur Frauen Fürsorge leisten, sondern eine Gesellschaft, in der Frauen gleiche Berufs- und Erwerbschancen haben wie Männer und sich Frauen und Männer die Care-Arbeit teilen. Anders ausgedrückt: Ziel ist ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem Frauen nicht länger aus Bereichen ausgeschlossen sind, die traditionell Männern vorbehalten waren, und in dem Fürsorge und Care-Arbeit nicht länger als reine Frauensache oder als etwas für »verweiblichte« Männer betrachtet wird.

      Außerdem möchte ich noch einmal betonen, dass die Sichtbarmachung und Anerkennung von Fürsorge allein unsere globalen Probleme nicht lösen wird. Wie wir sehen werden, ist der Wandel von einem Dominanz- zu einem Partnerschaftssystem sehr viel komplexer. Es ist allerdings von entscheidender Bedeutung, dass wir aufhören, die Geschlechter mit zweierlei Maß zu messen, denn nur dann kann ein solcher Wandel stattfinden.

      Kurz gesagt: Wenn ich hier über die Abwertung der Frauen und des »Weiblichen« berichte, sollen dadurch nicht die Männer für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missstände in unserer Welt verantwortlich gemacht werden. Wir sehen uns hier Traditionen gegenüber, die nicht nur Frauen, sondern auch Männer schädigen – natürlich leiden besonders die Frauen darunter, aber letztendlich sind wir alle davon betroffen.

      3.3 Die Entfremdung der Care-Arbeit

      Als Marx und Engels den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus forderten, schrieben sie auch über die Entfremdung der Arbeit.9 Sie erklärten, dass die Abwertung und Ausbeutung der Industrie- und Landwirtschaftsarbeiter die Wurzel der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit darstelle. Bei meiner Forderung nach einer Wirtschaftsform, die über Kapitalismus und Sozialismus hinausgeht, verweise ich auf die Entfremdung der Care-Arbeit und benenne die Abwertung und Ausbeutung dieser grundlegenden Arbeit als Hauptfaktor für wirtschaftliche Ungerechtigkeit.10

      Die Abwertung und Ausbeutung von Care-Arbeit gehen auf Zeiten zurück, in denen der weibliche Körper und die weibliche Arbeitskraft als männliches Eigentum galten.11 Infolgedessen waren Frauen und alles, was mit ihnen assoziiert wurde, in der Wirtschaftstheorie im Grunde genommen unsichtbar und der Fokus der Wirtschaftsdenker lag auf den Transaktionen zwischen Männern.

      Sowohl Adam Smith als auch später Marx ordneten die von Frauen in Haushalten geleistete Care-Arbeit eher dem zweitrangigen Bereich der Reproduktion als dem Produktionsbereich zu und räumten dieser »Frauenarbeit« in ihren umfangreichen Werken nur minimalen Platz ein. Das Versäumnis, die stereotypisch als weiblich betrachtete Care-Arbeit in Wirtschaftstheorien und -modellen sichtbar zu machen, hat bis heute noch direkten negativen Einfluss auf wirtschaftliche Kennzahlen und Praktiken sowie die Wirtschaftspolitik.

      Manche werden nun sagen, dass Care-Arbeit sehr wohl wertgeschätzt wird und dabei auf die Blumen und Süßigkeiten zu Muttertag und die traditionelle Anerkennung der mütterlichen Arbeit verweisen. Doch in der Realität erfährt Mutterschaft keine Wertschätzung. Wäre es nämlich so, dann läge in den USA die Armutsrate älterer Frauen – von denen die Mehrheit Mütter sind – nicht deutlich höher als die älterer Männer.12 Dasselbe lässt sich für den deutschen Kontext feststellen.13 Und Frauen und Kinder würden dann auch nicht die Mehrheit der Armen in der Welt stellen.

      3.4 Wirtschaftskennzahlen, die Fürsorge und Care-Arbeit berücksichtigen

      Das Problem ist also nicht wissenschaftlicher oder technischer Natur. Es besteht vielmehr in der uns überlieferten, tief verwurzelten Dominanzkultur, die mit zweierlei Maß misst und in der Fürsorge und Care-Arbeit wenig bis gar nichts gelten – unabhängig davon, ob es sich um Fürsorge gegenüber anderen Menschen oder gegenüber unserer Mitwelt handelt.

      Manche Menschen denken, es sei unmöglich, die in Haushalten und anderen Wirtschaftsbereichen unbezahlt geleistete Care-Arbeit bei der wirtschaftlichen Bewertung mit zu berücksichtigen, da sie jenseits des Marktes stattfindet. Aber obwohl sich tatsächlich nicht alle Aspekte der Care-Arbeit in Geldwert erfassen lassen, ist es angesichts der Faktenlage schlichtweg falsch zu sagen, der wirtschaftliche Wert dieser Arbeit könne überhaupt nicht gemessen werden.

      Bereits in den 1930ern zeigte die Wirtschaftswissenschaftlerin Margaret Reid, wie man die unbezahlte Arbeit in den Haushalten statistisch erfassen kann.14 Und wie Marilyn Waring in ihrem grundlegenden Werk If Women Counted darlegt, waren bis zu den 1980ern bereits mehrere Methoden entwickelt worden, um die jenseits des Marktes geleistete Arbeit quantitativ zu erfassen.15

      Anfang der 1990er stellte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) drei Methoden vor, mit denen die außerhalb des Marktes in den Haushalten geleistete Arbeit und Produktion СКАЧАТЬ