Название: Die verkannten Grundlagen der Ökonomie
Автор: Riane Eisler
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783963177484
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Diese Ansicht über die menschliche Natur ist integraler Bestandteil weit verbreiteter Theorien zur freien Marktwirtschaft, die auf der Annahme beruhen, dass in einem Wirtschaftssystem alle davon profitieren, wenn einfach jeder seine eigenen Interessen verfolgt. Natürlich käme keiner auf die Idee, einem Kind zu erklären, dass alles perfekt funktioniert, wenn jeder nur an sich selbst denkt. Und trotzdem wird diese Vorstellung weiterhin verbreitet – wobei dadurch keineswegs eine freie Marktwirtschaft gefördert wird (die unter solchen Voraussetzungen gar nicht funktionieren könnte), sondern es zu einer Idealisierung der Gier kommt, von der die Wirtschaft in Dominanzsystemen angetrieben wird.
Eine weitere tradierte Grundannahme besteht darin, dass »weiche« Eigenschaften und Tätigkeiten – wie zum Beispiel Friedfertigkeit oder Fürsorge – für die Führung einer Gesellschaft oder Wirtschaft ungeeignet seien. Dazu gehört unter anderem auch die Annahme, Fürsorge und Care-Arbeit seien für die Produktivität hinderlich oder im besten Fall wirtschaftlich irrelevant. Anders ausgedrückt: Wir haben aus der Vergangenheit kulturelle Überzeugungen und Institutionen übernommen, die der Fürsorge und Care-Arbeit nicht zu-, sondern abträglich sind – und das hat zu zahlreichen unrealistischen wirtschaftlichen Theorien, Regeln, Maßnahmen und Praktiken geführt, die uns zunehmend gefährden.
2.3 Das unsichtbare Bewertungssystem
Gäbe es keine Fürsorge für Kinder, Kranke und Alte, dann wäre niemand von uns am Leben. Und wenn niemand sich um unsere alltäglichen Bedürfnisse wie Nahrung, saubere Kleidung und eine wohnliche Unterkunft kümmern würde, wäre es schlecht um uns bestellt. Ohne Fürsorge gäbe es keine Arbeitskräfte, die ihrer Arbeit nachgehen und in Unternehmen tätig sein könnten.
Warum wird dieser elementaren Care-Arbeit also so wenig wirtschaftlicher Wert beigemessen? Warum wurde Rücksichtslosigkeit in Unternehmen systematisch gefördert – gemäß dem alten Rechtsgrundsatz caveat emptor 7 ? Warum werden Menschen, die sich unermüdlich für eine sozialere und gerechtere Gesellschaft einsetzen, oft als »Gutmenschen« oder »sentimentale Spinner« verunglimpft? Und warum gelten Frauen (und zunehmend auch Männer), die sich in der nicht monetären Wirtschaft der Privathaushalte und des Ehrenamtes rund um die Uhr um Kinder, Kranke und Ältere kümmern, immer noch als »wirtschaftlich untätig«?
Die Abwertung der für uns überlebensnotwendigen Care-Arbeit – und die damit einhergehende Abwertung der Fürsorge an sich – entbehrt jeglicher Logik. Sie beruht einzig und allein auf Überzeugungen, die aus einer Zeit stammen, als unsere Gesellschaft noch sehr viel mehr von einem Dominanzsystem geprägt war: einer Form der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisation, die auf von Angst und Zwang gestützten Hierarchien basiert.
Ein Grundpfeiler dieses hierarchischen Systems bestand darin, dass die männliche Hälfte der Menschheit der weiblichen Hälfte übergeordnet war – was dazu führte, dass Männer und stereotyp »Männliches« automatisch als wertvoller betrachtet wurden als Frauen und stereotyp »Weibliches«. Das heißt, im Zuge der Unterordnung der Frauen unter die Männer wurde alles, was mit »echter« Männlichkeit assoziiert war, höher bewertet als das, was typischerweise mit Frauen und Weiblichkeit verbunden wurde, wie zum Beispiel Fürsorge und Care-Arbeit. Dieses Bewertungssystem spiegelt sich in allen Wirtschaftssystemen wider, die Fürsorge und Care-Arbeit nur geringen oder gar keinen Wert zuerkennen – unabhängig davon, ob sie stammesgesellschaftlich, feudalistisch, kapitalistisch, sozialistisch oder kommunistisch organisiert sind.
Die Abwertung von Eigenschaften oder Tätigkeiten, die stereotypisch mit Frauen assoziiert werden, ist integraler Bestandteil der unsichtbaren Bewertungsmaßstäbe in Dominanzsystemen. Selbstverständlich handelt es sich hierbei um Geschlechterstereotype und nicht um etwas, was Männern oder Frauen angeboren ist. Doch diese Stereotype und die Abwertung alles »Weiblichen« sind fest in unsere wirtschaftlichen und sozialen Regeln und Modelle eingebettet, die wir aus früheren, noch stärker dominanzgeprägten Zeiten übernommen haben.
Die aktuellen Wirtschaftskennzahlen wie BIP und BNE spiegeln diese Abwertung wider und setzen sie fort. Und was in diesen Kennzahlen berücksichtigt wird – oder eben nicht – hat direkte Auswirkungen darauf, was in der Politik Berücksichtigung findet. Auf diese Weise hat unser unsichtbares, auf Geschlechterstereotypen basierendes Bewertungssystem unsere Wirtschaftspolitik geformt.
Man kann sich dieses unsichtbare Bewertungssystem wie den nicht sichtbaren Teil eines Eisbergs vorstellen – ein massives Hindernis auf dem Weg zu einer gesünderen, effektiveren und menschlicheren Wirtschaft.
Kapitel 3: Der Doppelstandard in der Wirtschaft
Manchmal sind wir blind für das Offensichtliche – besonders, wenn es um Überzeugungen und Werte geht, mit denen wir aufgewachsen sind. Die Überzeugung, dass eklatante Ungerechtigkeiten naturnotwendig und daher auch moralisch gerechtfertigt seien, geht weit über die Geschlechterungerechtigkeit hinaus und wurde zur Grundlage unterschiedlichster Formen der Unterdrückung. Die daraus resultierende Überzeugung, dass die Unterordnung einer Gruppe unter eine andere naturnotwendig, ja sogar moralisch gerechtfertigt sei, diente als Vorwand für die Unterwerfung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder ethnischen Zugehörigkeit. Außerdem wurden so auch Sklaverei, Leibeigenschaft und andere Formen wirtschaftlicher Ausbeutung (kurz: alle Formen sozialer oder wirtschaftlicher Ungerechtigkeit) und darüber hinaus Pogrome, Lynchmorde, Terrorismus und Kriege zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Ethnien gerechtfertigt.
3.1 Blind für das Offensichtliche
Ingroup- und Outgroup-Klassifizierungen sind Dominanzsystemen inhärent. Sie können auf Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Ethnie oder anderen Unterscheidungskriterien beruhen. Alle diese Klassifizierungen verstärken einander gegenseitig und verfestigen zudem auch noch zwei für Dominanzsysteme grundlegende Annahmen: Erstens, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, nämlich über- oder untergeordnet zu sein und zweitens, dass Unterschiede mit Überlegenheit und Unterlegenheit gleichzusetzen sind – angefangen bei dem grundlegendsten Unterschied in unserer Spezies, dem Unterschied zwischen Mann und Frau.
Dieses Bild des überlegenen Mannes gegenüber der unterlegenen Frau verinnerlichen Kinder in dominanzgeprägten Familien von klein auf, da ihnen von Unterordnung gekennzeichnete Beziehungen als normal und moralisch richtig vorgelebt werden. Es dient als Vorlage für die Einordnung von Menschen als über- oder untergeordnet und ist daher von grundlegender Bedeutung für die Errichtung und Aufrechterhaltung eines Systems, das darauf ausgerichtet ist Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu verfestigen.
In den vergangenen Jahrhunderten haben Bewegungen für mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit immer wieder versucht, diesen Doppelstandard für Machthabende und Machtlose abzuschaffen. Allerdings konzentrierten sie sich dabei vornehmlich auf die öffentlichen Bereiche der Politik und der Wirtschaft, die – bis vor kurzem – exklusive Männerdomänen waren.
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