Helmut Kohl. Ein Prinzip. Alexander Gauland
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Название: Helmut Kohl. Ein Prinzip

Автор: Alexander Gauland

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783948075910

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СКАЧАТЬ Zeit war angebrochen. Jetzt galt auch für die CDU der Satz Tancredis aus Lampedusas Leopard: »Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, dann ist es notwendig, daß alles sich ändert.« Am 12. 6. 1973 wurde Helmut Kohl auf dem 21. Bundesparteitag der CDU in Bonn mit 520 von 600 gültigen Stimmen zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.

      Der Neuanfang war schwierig. Die Partei war das Gewand des jeweiligen Dogen, doch nun gab es keinen Dogen mehr, und zurück blieb ein Häufchen Samt. Der neue Generalsekretär Kurt Biedenkopf, wie auch sein Nachfolger Heiner Geißler, machten aus dem Kanzlerwahlverein eine Partei. Neue Themen, eine neue soziale Sensibilität und die Hinwendung zu Frauen und jungen Menschen sollten die Partei wieder in die Mitte der Gesellschaft stellen, doch diese Mitte definierte sich in Niedersachsen anders als in Bayern. Auch die »Verlierer« von 68 wollten von Veränderungen nichts hören und versuchten mit kräftigen Schlägen gegen den Zeitgeist zu rudern. Helmut Kohl rückte aus dem linken Spektrum in die Mitte der Partei. Er sollte führen und mußte doch auch integrieren.

      Mit der »Mannheimer Erklärung« von 1975 war der Erneuerungsprozeß abgeschlossen. Doch obwohl die Brandtschen Visionen einer Versöhnung von Geist und Macht, von Demokratie und Sozialismus, von aufrührerischer Jugend und parlamentarischen Institutionen sehr bald zu Bruch gingen und dem nüchternen Pragmatismus Helmut Schmidts Platz machen mußten, tat sich die Union schwer. Sie hatte das Kreuz von Franz Josef Strauß zu tragen. Wie Helmut Kohl immer unterschätzt wurde, so ist Franz Josef Strauß überschätzt worden. Denn außer in den Regierungsjahren der Großen Koalition hat Franz Josef Strauß in der deutschen Politik nur eine destruktive Rolle gespielt. Nie konnte er es den Liberalen verzeihen, daß sie ihn über die »Spiegel-Affäre« gestürzt hatten, und nie hat er es verwunden, daß er nördlich der Main-Linie nicht mehrheitsfähig war. Da er nicht Kanzler werden konnte, wünschte er auch keinen anderen CDU-Kanzler, am wenigsten aber Helmut Kohl. »Es gibt Strauß-Vertraute, die meinen, er habe Kohl gehaßt», hat Peter Boenisch geschrieben9, und in der Tat läßt der berüchtigte Ausbruch in der Wienerwald-Zentrale aus dem November 1976 keine andere Deutung zu: »Herr Kohl, den ich trotz meines Wissens um seine Unzulänglichkeit, um des Friedens willen als Kanzlerkandidat unterstützt habe, wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür… Und glauben Sie mir eins, der Helmut Kohl wird nie Kanzler werden, der wird mit 90 Jahren die Memoiren schreiben: ›Ich war 40 Jahre Kanzlerkandidat, Lehren und Erfahrungen aus einer bitteren Epoche‹ Vielleicht ist das letzte Kapitel in Sibirien geschrieben.«10 Daß viele, auch linke Intellektuelle, diesen Mann für einen brillanten politischen Analytiker gehalten haben und trotz ihrer zur Schau getragenen Aversionen heimlich von Strauß fasziniert waren11, gehört zu den Merkwürdigkeiten der Bonner Republik. Seine Erinnerungen sprechen eine andere Sprache. Franz Josef Strauß war weder scharfnoch hellsichtig. Seine Analysen lagen meistens neben der Sache, wobei ihm abwechselnd Eitelkeit und Wut den Blick trübten. Die von ihm zustimmend zitierte Bemerkung seiner Frau über Erich Honecker, daß dieser ein beeindruckendes Mannsbild sei, zeigt die Grenzen seines Urteilsvermögens.12 Strauß war gebildeter und erfahrener als Helmut Kohl, aber während Kohl immer auf der Suche nach dem Konsens war, war Franz Josef Strauß auf der Suche nach dem Konflikt. Doch die Bundesrepublik war im Gegensatz zur Weimarer Republik eine Konsensdemokratie, die fast instinktiv die großen Polarisierer verwarf, nachdem die Grundlagen einmal gelegt und die Richtung entschieden war. Dies hat der Altphilologe und Hobbyhistoriker Strauß nie begriffen, und daran ist er auch gescheitert.

      Nach komplizierten Verhandlungen mit der CSU wurde Helmut Kohl als Kanzlerkandidat der Unionsparteien in die Bundestagswahlen 1976 geschickt. Doch die gemeinsame Erklärung verhieß nichts Gutes für die Zukunft: »Die CSU hält an ihrer Bewertung fest, daß ihr Vorsitzender der geeignete Kandidat ist. Die CSU wird im Interesse der gemeinsamen Sache ebenso wie die CDU Helmut Kohl als Kanzlerkandidaten unterstützen.«13 Daß die Union mit 48,6 Prozent der Stimmen nur knapp die absolute Mehrheit verfehlte, war eine beachtliche Leistung Kohls. Doch die FDP sprang nicht, und Helmut Schmidt blieb Bundeskanzler. Helmut Kohl verspielte seinen Erfolg noch am gleichen Abend. Sein trotziges »Ich will Bundeskanzler werden – ich habe die Wahl gewonnen« wäre in Mainz passend gewesen, in Bonn klang es provinziell. In Mainz mochte es richtig sein, daß der stärksten Partei die Initiative zur Regierungsbildung zusteht, in Bonn ging es um die Macht, und da hatten ein paar tausend Stimmen gegen die »Machtübernahme« von Helmut Kohl entschieden.

      Die nun folgenden Jahre wurden die schwierigsten überhaupt. Wenige Wochen nach der Bundestagswahl kündigte Franz Josef Strauß die Fraktionsgemeinschaft im Bundestag auf. Es war ein Akt purer Irrationalität, denn ein »Bruderkampf« zwischen CDU und CSU hätte beide Parteien jene Stimmen gekostet, die sich Strauß durch ein eigenes Stück auf der Bonner Bühne holen wollte. Es war letztlich irrelevant, ob es eine »bürgerliche Mehrheit« gab, denn es gab auf jeden Fall eine gegen Franz Josef Strauß. Kohls Entschlossenheit rettete die Einheit. Als die CSU-Abgeordneten um ihre Mehrheiten in Bayern zu fürchten begannen, kehrte Strauß in die »babylonische Gefangenschaft« zurück.

      Doch die Unterschiede in der Beurteilung blieben, und dieser Riß verlief mitten durch die CDU. Kohl wußte, daß eine Regierung Wahlen verliert und nicht die Opposition sie gewinnt. Er hielt nichts von oppositioneller Hektik. Er mußte warten, bis Helmut Schmidt und seine Partei sich soweit auseinandergelebt hatten, daß die FDP keinen Partner mehr hatte, erst dann hatte er eine Chance. Strauß und seine innerparteilichen Kritiker sahen die FDP dagegen auf unabsehbare Zeit »historisch« an die SPD gekettet und rüttelten an den Gitterstäben. »Freundliche« Worte über Kohls Führungseigenschaften machten die Runde. Der Abgeordnete Todenhöfer schrieb, im Schlafwagen käme die Union nicht an die Macht, und der Verlierer Barzel bemängelte, daß noch nie ein Kanzler so gemütlich regiert habe wie der jetzige. Zu keiner Zeit hatte Helmut Kohl weniger Freunde als an der Jahreswende 1978 / 79. Man braucht nur die Überschriften damals erschienener Artikel zu lesen und glaubt sich in ein Geisterhaus versetzt: »Kohls Talfahrt – guter Mann ohne Glück« (Welt vom 17. 5. 1979); »Die Ära Kohl geht zu Ende« (Quick vom 7. 6. 1979); »In der CDU wächst die Unzufriedenheit mit Kohl« (FAZ vom 10. 1. 1979); »Zum Verlieren bestellt« (Rudolf Augstein im Spiegel, 3/1979). Der Bonner Korrespondent der Frankfurter Rundschau registrierte damals, daß die Kohl-Postkarten aus der Buchhandlung am Bundeshaus verschwunden waren. Auf seine Nachfrage bekam er die Antwort: »Wir haben ihn aussortiert, denn wir sind immer unserer Zeit voraus.«14 Hinzu kam, daß sich der Oppositionsführer mit dem Kanzler schwertat. Helmut Schmidt war ein begnadeter Schauspieler, der gut ausgeleuchtet die geringen Erfolge einer zerstrittenen Koalition wie Preziosen darbot. Arrogant bis zur Unverschämtheit, wurde der »Weltökonom« doch von den Wählern bewundert, die ihm ihre Interessenvertretung eher zutrauten als dem provinziellen Pfälzer. Zwar war die Republik rheinisch und süddeutsch geprägt, doch Idiom, Habitus und Anspruch des sozialdemokratischen Bundeskanzlers ließen vage Reminiszenzen an Friedrich, Bismarck und Stresemann wach werden. Dieser Mischung war Kohl anfangs nicht gewachsen, in rhetorischen Auseinandersetzungen zog er regelmäßig den kürzeren. Bei Helmut Schmidt war es mehr Schein als Sein, bei seinem Gegenspieler schien, besser gesagt: schimmerte nichts.

      Zur Jahreswende versandte Biedenkopf ein Memorandum, in dem er die Trennung von Partei und Fraktionsvorsitz verlangte und letzteren natürlich für sich beanspruchte. Das Papier fand Kohl in der Post, als er aus dem Winterurlaub zurückkehrte, den Inhalt hatte er zuvor schon den Zeitungen entnehmen dürfen. Auf dieses Ereignis anspielend, hat Kohl einmal auf die Frage, warum er nicht längst schon seine Memoiren in Angriff genommen habe, entgegnet: »Lieber nicht, ich müßte zu viel menschlich Unanständiges enthüllen.«15 Die Intrige scheiterte. Wie so oft vorher und nachher hatte Biedenkopf keine Mehrheit in den entscheidenden Gremien und stimmte am Ende selbst gegen den eigenen Vorschlag. Doch die Krise hielt an. Im Frühjahr machte Kohl instinktiv oder wohlüberlegt das einzig Richtige – er zog seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur zurück und schlug den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht vor. Die Fraktion entschied sich für Franz Josef Strauß, der nun beweisen konnte, was in ihm steckte. Kohl unterstützte den Kandidaten nach Kräften; 44,5 Prozent in der Bundestagswahl СКАЧАТЬ