Die Olive und wir. Hugo Portisch
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Название: Die Olive und wir

Автор: Hugo Portisch

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия:

isbn: 9783711053053

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СКАЧАТЬ Haken, an dem die Kochtöpfe ins Feuer gehängt wurden. Neben der Feuerstelle ein steinerner Waschtrog, eine seiner Wände, hochgezogen und quer gerillt, hatte als Waschbrett gedient. Von der Decke hing ein Draht, an dessen Ende eine kaputte Glühbirne baumelte. Sonst war da nichts mehr. Nicht, dass man dies dem Raum ansah, aber in alten toskanischen Bauernhäusern geht es immer von der Küche in die gute Stube des Hauses. Und von dort in die Vorratskammer und von dieser in den Stall. So war es auch hier. In der Vorratskammer stand ein riesiges Tongefäß, eine Coppa, in der das Olivenöl aufgehoben worden war, eingeritzt im Ton die Jahreszahl 1870, und am Boden des Gefäßes noch zwei fingerhoch Öl. Genießbar.

      Im Stall lag Stroh, aber es roch nicht mehr nach Stall. Da hatten schon lange keine Tiere mehr gestanden. Zurück in die Küche. Zwischen ihr und der Cantina führte eine Steintreppe in den ersten Stock. Vierzehn Stufen, dann stand man unter dem steil aufragenden Dachstuhl in einem großen Raum mit altem Ziegelboden. Die satte dunkle Farbe der Ziegel verriet, dass hier Oliven gespeichert worden waren, Jahr um Jahr, so wie die Ernte eingebracht wurde, abgestreift und abgeschlagen von den bizarren Olivenbäumen in die darunter ausgebreiteten Netze, in Butten heimgetragen und gelagert, bis die Menge groß genug war, um die Säcke zu füllen zum Transport in die Ölmühle.

      Bog man aber von der Treppe nach der anderen Seite des Hauses, betrat man dessen wohl ältesten Teil, der ein Turm gewesen sein musste. Drei kleinere Zimmer, hier hatten sie geschlafen, die Bauern, und ihre Familien waren nicht klein. Einer der letzten Bewohner des Hauses hatte sich ein wenig Komfort geleistet, die Wand durchbrochen und an der Außenseite ein Plumpsklo angeklebt. Die Wände zeigten dicke Sprünge, durch einen konnte man sogar den Himmel sehen. Über den Zimmern gab es noch einen Dachboden. Als wir ihn betraten, löste sich ein Dutzend Fledermäuse von den Dachbalken. Aber sie flohen nicht, sondern verteidigten ihr Zuhause gegen uns Eindringlinge, indem sie uns immer wieder wütend anflatterten.

      In einem Teil des Dachbodens hingen Drähte von der Decke mit Drahthaken. Hier wurden die Trauben zu Rosinen getrocknet, aus denen dann der süße Wein gepresst wird, den die Bauern „Vin Santo“ nennen, wohl, weil die Pfarrer die kräftige Trockenbeerauslese dem leichten Rebensaft dieser Gegend als Messwein vorzogen. Beugte man sich aus den offenen Bodenfenstern, blickte man auf das Dach und den Schornstein eines großen, gemauerten Brotbackofens. Hob man den Blick, stand man verzaubert da: Da war sie wieder, die ganze Pracht der Toskana mit ihren Hügeln und Dörfern und Campanile und Villen, ihren Pinien und Zypressen und ihren Wäldern von Edelkastanien.

      Als wir wieder vor dem Haus standen, sahen wir einander fragend an. Was war davon zu halten? „Wenig“, meinte ich. „Viel“, meinte meine Frau. „Alles“, meinten unsere Gastgeber. Ein derart schönes Haus werde man nicht bald wieder finden. – Aber es ist doch eine Ruine oder doch beinahe eine. – Keineswegs. Die paar Risse ließen sich leicht wieder zusammenschrauben, tatsächlich mit meterlangen Schrauben, die von Wand zu Wand gespannt werden. Zu beachten hingegen seien die zumindest drei verschiedenen Bauphasen, in denen man das Haus offenbar in Abständen von vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, errichtet hatte. Das ergäbe die vielen Winkel und Stufen, die verschieden hoch gelegenen Ebenen der Fußböden und der Balkendecken, die reizvolle Verschränkung mehrerer Dächer.

      Selbst die Scheune mit ihrem Schweine- und Hühnerstall hatte Stil. Das Haus, erklärte unser Gastgeber, müsse man schon wegen der einzigartigen Zitronenbäume kaufen, die als dichtes Spalier seine Wände bedeckten. Aber den Ausschlag gab dann ein Fund zwischen den Brennnesseln auf dem verrotteten Misthaufen im Hof. Da standen dicht gedrängt ein Dutzend Parasolpilze von einer Größe, Dicke und Gesundheit, wie wir sie alle noch nie gesehen hatten. Für Pilznarren wie wir ein fast zwingendes Omen.

      Im Übrigen ließ man uns kaum noch eine Wahl: Bei dem nächsten Nachbarn erfuhren wir, welchem „Padrone“ das Haus gehörte, einem Conte Anzilotti, dem hier alle Häuser gehörten und auch alle Olivenbäume und Weinstöcke dazwischen. Aber obwohl die meisten Bauern, die hier zuerst als Halbsklaven, dann als Pächter in diesen Häusern gewohnt hatten, in die Industrie abgewandert seien, habe der Conte bisher keines der Häuser verkauft. Außerdem sei er kaum jemals da. Seine Villa stünde zwar nicht weit von hier, aber er wohne in Florenz und komme nur alle heiligen Zeiten einmal vorbei. Und selbst dann bekäme ihn kaum jemand zu Gesicht. Er sei alt und menschenscheu.

      Doch die Kette der Zufälle riss nicht ab. Wir fuhren zu der Villa, das Tor stand offen, der Conte war da und sogar bereit, mit uns zu reden. Das Haus, meinte er, das Haus sei nicht zu haben. Weil erstens ihm die Idee eines Verkaufs gar nicht erst kommen würde. Weil zweitens er erst seine Töchter fragen müsste, ob sie damit einverstanden wären, dass er sie um einen, wenn auch zugegeben kleinen Teil ihres Erbes sozusagen bringe, indem er es verkaufte, wobei er das Geld solcherart noch vor seinem Tod auch durchbringen könnte. Man müsse verstehen, meinte die graue dürre Gestalt in dem großen Lehnsessel mit abgeschabtem Seidenbezug, dass die Töchter in Anbetracht solcher Auspizien ihre Zustimmung gewiss verweigern würden. Und drittens würde er auch nicht verkaufen, weil er schon einmal einen Preis für das Haus genannt hatte, das sei vor zehn Jahren gewesen, als sich ebenfalls jemand für das Haus interessierte, und dieser Preis sei damals als zu hoch zurückgewiesen worden. Er sei doch kein Wucherer! Niemals werde er daher je wieder einen Preis nennen, denn er lasse seine Preise nicht als zu hoch zurückweisen.

      Erleichtert wollte ich mich schon mit Dank empfehlen – erleichtert, denn mittlerweile war mir vor diesem doch sehr plötzlichen Hauskauf recht unheimlich zumute geworden. Doch der uns begleitende, mit unseren Gastgebern befreundete Bauer, der uns zu dem Haus geführt hatte, dachte gar nicht daran, so schnell aufzugeben. Und nach zehn Minuten zähen Argumentierens hatte er den Conte so weit, dass dieser bereit war, zumindest zu sagen, welchen Preis er vor zehn Jahren für das Haus verlangt hatte. Es war ein niedriger Preis.

      Zu unserer Überraschung aber meinte der Conte, er wolle von uns gar keinen Kommentar zu diesem Preis hören, denn wir würden ihn heute wohl genauso wenig akzeptieren, wie er vor zehn Jahren vom damaligen Interessenten akzeptiert worden sei. Sollten wir das so verstehen, dass der Preis heute noch derselbe sei wie damals? Wie denn sonst! Bei ihm gäbe es kein Handeln, weder hinunter noch hinauf. Also fänden wir den Preis ganz in Ordnung? Ja. Ob er da nicht doch mit seinen Töchtern reden könnte, wir wären sehr interessiert. Nun, das müsse er sich noch überlegen. Und selbst wenn er es täte, glaube er nicht, dass sie damit einverstanden wären. Sollten sie es aber wider Erwarten doch sein, so würde er morgen um zehn Uhr vormittags zu uns hinüberkommen, bereit, zum Notar zu gehen. In diesem Fall erwarte er zehn Prozent Anzahlung bei Unterschriftleistung unter den Vorvertrag, den Rest in drei Monaten bei Unterzeichnung des Vollvertrags. Sagte er und entließ uns mit einer Handbewegung, so, als sei seine Geduld mit uns nun endgültig zu Ende. Es war eine Nacht des Bangens. Ich wünschte inständig, der Conte würde um zehn Uhr nicht erscheinen. Was sollten wir denn mit einem Haus in der Toskana, noch dazu mit einer – da ließ ich mich nicht bekehren – Halbruine. Meine Frau wünschte inständig, der Conte würde Punkt zehn Uhr vor der Tür stehen, das Haus hatte sie bereits völlig in seinen Bann gezogen. Unsere Gastgeber wünschten von unseren Überlegungen nichts mehr zu hören: Die Entscheidung liege nicht mehr bei uns, käme der Conte, werde gekauft, käme er nicht, wäre das leider sehr traurig. Doch auch wenn der Preis, wie alle meinten, sehr vorteilhaft sei, so hätte ich doch die Anzahlung nicht bei mir, versuchte ich sachlich dagegenzuhalten. Keine Sorge, die Anzahlung strecke man uns gerne vor, boten die Gastgeber an. Dennoch könnte ich mich gegen einen Kauf entscheiden, meinte ich, kein Vertrag, kein Kaufzwang. Falsch, wir hätten den Preis akzeptiert, somit einen Vertrag geschlossen. Aber der Conte habe sich seine Entscheidung doch noch offen gelassen. Er ja, wir nicht. Argumentieren half da nichts mehr, nur noch hoffen.

      In dieser Nacht hoffte jeder von uns auf etwas anderes.

      Um Punkt zehn Uhr stand der Conte vor der Tür.

      Um elf Uhr beglaubigte uns der Notar, dass wir soeben ein Haus gekauft hatten, von dessen Existenz wir vor 48 Stunden noch keine Ahnung gehabt hatten. Da war uns erst das Benzin auf der Autobahn ausgegangen.

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