Название: Gesammelte Werke
Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027237517
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Ich weiß ja nichts, als daß sie tot sind, antwortete der arme Mensch.
Das ist auch für alle anderen genug, sagte Plauen. Sie sind tot – sie sind gerichtet.
Es war ihm heut nicht zumut wie gestern. Nicht daß er die Tat ungeschehen gewünscht hätte; aber sie freute ihn nicht. Die Leidenschaft war verraucht, die kühle Überlegung drängte sich vor und mahnte ihn an seine schwere Verantwortlichkeit. Die drei waren des Todes schuldig erkannt, ohne sich verteidigen zu können, und der Spruch war vollstreckt, ehe er ihnen verkündet war. Nun mußte er eine Entschuldigung suchen in den besonderen Umständen, die keinen Aufschub gestatteten. Seine und des Ordens Feinde hatte er niedergeworfen. Ob im Wege Rechtens oder nicht – was beschwerte das die Brüder und den Meister? Und es ist einmal geschehen, murmelte er finster vor sich hin, und unabänderlich. Man muß damit rechnen in der Marienburg.
An diesem Morgen kam Frau Anna Groß mit zwei Mägden bis auf die Brücke zum Schloß gegangen. Die Mägde trugen Wein und süße Krude. Sie fragte nach ihrem Mann und Vater und begehrte vor den Herrn Komtur gelassen zu werden, um zu hören, weshalb sie gefangengehalten würden. Die Torwächter meldeten es, aber der Komtur wollte sich nicht sprechen lassen. Er gab ihr aber auch keine Nachricht, daß die Gefangenen nicht mehr am Leben seien. So bat sie denn, daß man ihren Mann und Vater von ihr grüßen und ihnen den Wein und das Gebäck in ihr Gefängnis geben möge. Das versprachen die Wächter auszurichten. Man ließ aber niemand in den Turm.
Am folgenden Tage geschah's ebenso. Und ob es den Leuten nun schon bekannt war, daß sie ihrem Wunsche nicht würden genügen können, schwiegen sie doch und betrogen die bekümmerte Frau.
Da man sie auch am dritten Tage nicht vor den Komtur ließ und auf ihre Fragen ausweichende Antwort gab, vergrößerte sich ihre Sorge. Sie ging bei allen Ratsverwandten herum und flehte sie an, nicht müßig zu sein, sondern ernstliche Schritte zur Befreiung der Gefangenen zu tun. Ihre Befürchtung, daß deren Leben gefährdet sei, hielt man zwar in der Stadt für übertriebene weibliche Sorge, aber es gingen doch neue Boten an den Hochmeister ab, über Gewalt Klage zu führen.
Der Komtur ließ indessen niemand aus dem Schlosse und niemand ein. Innen hatte das Geschehene nicht verschwiegen bleiben können. Der Konvent war sehr bestürzt, als er aus seinem Munde erfuhr, die drei Ratsherren seien gerichtet, und man habe dabei nicht in aller Form verfahren können. Sie lehnten alle Verantwortlichkeit von sich ab. Meint ihr, daß ich euch dazu brauche? gab ihnen der Komtur höhnend zur Antwort. Ich bin selbst Manns genug, die Tat zu vertreten, und fürchte nicht, daß man mich deshalb zur Rechenschaft zieht. Den Verrätern ist ihr Recht geworden – je schneller, desto besser für den Orden.
Aber so sicher war er im Innersten seiner Sache doch nicht. Er zögerte von Tag zu Tag mit dem Bericht an den Hochmeister. Die Leichen konnten im Turm nicht liegenbleiben; er ließ sie bei Nacht in die Vorburg hinausschaffen und an der Mauer leicht in den Sand einscharren und mit Stroh bedecken. Er wußte nicht, was er mit ihnen anfangen sollte. Das liebste wäre ihm gewesen, wenn die Bürgerschaft mit Waffen vors Schloß gerückt wäre; er hätte dann seine Gewalttat besser beschönigen können. So etwas hatte er gehofft, aber die Stadt blieb ruhig. Eine gedrückte Stimmung hatte sich aller ihrer Einwohner bemächtigt, und ohne eigentliche Verabredung oder Weisung hütete man sich, den Komtur zu reizen, um die Lage der Gefangenen nicht zu erschweren. Der gewalttätige Sinn desselben war bekannt und die Furcht gerechtfertigt, daß er sie jeden Fehltritt der Bürgerschaft würde entgelten lassen.
Endlich kamen die Sendboten vom Hochmeister zurück. Sie brachten ein Schreiben an den Komtur mit dem gemessenen Befehl, die gefangenen Ratsherren freizugeben und seine Beschwerde über sie und die Stadt ordnungsmäßig einzubringen. Sie berichteten, daß sie den Hochmeister sehr erzürnt über die Widersetzlichkeit der Stadt gefunden hätten, und daß er gedroht habe, die Sache mit aller Strenge zu untersuchen. Es bleibe nichts übrig, als schleunigst einzulenken, um Strafe abzuwenden. Der Brief wurde am Schloßtor abgegeben. Es war am Ostersonntag.
Nun fertigte der Komtur einen Boten an seinen Bruder ab. Er schrieb ihm, um welcher merklichen Ursachen willen er die beiden Bürgermeister und den Ratsherrn Groß gefangengenommen und gerichtet habe, daß also der Befehl zu spät komme. Er fügte eine Schrift bei, die sich in Letzkaus Wams gefunden hatte, um die Gefährlichkeit seiner Gesinnung darzutun. Es war das Schreiben, das Letzkau am Palmsonntag für den Hochmeister zu ganz anderem Zweck aufgesetzt hatte. An zwei Stellen war es von Dolchstichen durchlöchert, und neben der Unterschrift zeigte sich eine Blutspur.
In der Nacht aber ließ er die Leichen aus der Vorburg fortschaffen und vor das Schloßtor hinaustragen. Dort wurden sie an der Brücke niedergelegt.
Am Morgen kam wie gewöhnlich Frau Anna mit ihren Mägden, Speise und Trank zu bringen und zu erkunden, was auf des Herrn Hochmeisters Brief geschehen sei. Als sie sich der Brücke näherte, sah sie schon von fern die drei hingestreckten Körper und beschleunigte, von böser Ahnung geängstigt, ihren Schritt. Bald erkannte sie ihres Mannes Kleid, das man über den nackten Leib geworfen hatte, und kreischte auf, stürzte nach dem Schreckensort hin und warf sich laut jammernd über den Toten. Die Mägde aber ließen vor Entsetzen zur Erde fallen, was sie in den Händen trugen, schrien »Mord – Mord!« und eilten nach der Stadt zurück, auch dort die Straßen mit ihrem Geschrei erfüllend: Mord – Mord – Mord!
Die Bürger kamen gerade aus der Kirche von der Frühmesse des Ostermontags. Die Nachricht schlug unter sie wie ein Blitz, im ersten Augenblick ihre Zunge lähmend. Sie blieben in Gruppen stehen und warteten auf Bestätigung. Indessen hatten einige vom Rat die Mägde ausgefragt, und nun lief von Mund zu Mund: Konrad Letzkau ist ermordet – Arnold Hecht ist ermordet – Barthel Groß ist ermordet – der Komtur hat sie im Schloß ermordet! Mit bleichen Gesichtern und zitternden Knien drängten sie nach dem Haustor und gegen die Schloßbrücke. Jeder wollte mit eigenen Augen sehen, was ihm nicht glaublich schien.
Schon von weitem vernahmen sie das Jammergeschrei der unglücklichen Frau. Sie kniete am Boden zwischen den Leichen ihres Vaters und ihres Mannes, rang die Hände und ballte die Fäuste gegen das Schloß. Ihr langes Haar hatte sich aufgelöst und flatterte im Winde wild um ihre Schultern. Das Gewand war über der Brust aufgerissen, von ihrer Stirn tropfte Blut, da sie sich in ihrem grimmen Schmerz selbst mit den Nägeln verletzt hatte. Tot – tot! schrie sie. Seht her – seht! Sie sind ermordet. Vater – Vater! Geliebter Mann! Tot, tot – ermordet! Seht ihre Wunden – ihre zerstückelten Leiber. Fluch dir, Mörder! Fluch dem schwarzen Kreuz in Ewigkeit! Was steht ihr zitternd? So lange habt ihr gezögert – so lange! Greift zu den Waffen – sprengt das Tor – stürmt das Schloß – laßt keinen am Leben! Rache – blutige Rache für diese Schandtat!
Aber die Masse stand um sie her wie gelähmt. So Furchtbares war geschehen, daß man's gar nicht fassen und begreifen konnte. Vieler bemächtigte sich die Angst, daß dies nur der Anfang des Blutbades sei, das vom Komtur über die Bürgerschaft verhängt worden. Es verbreitete sich das Gerücht, daß ein Ausfall der Besatzung vorbereitet werde, und daß der Komtur die wehrlosen Bürger, die er zu diesem Schauspiel hinausgelockt, überfallen und niedermetzeln wolle. Die meisten eilten deshalb zurück zur Stadt, ließen die Tore schließen und verrammeln, wehklagten in ihren Häusern oder auf dem Markt vor dem Rathause. Die Glocken wurden geläutet. Es war eine unbeschreibliche Verwirrung überall.
Die Mutigeren aber, die bei Frau Anna zurückgeblieben waren, untersuchten die Leichen und zählten die Wunden. Da fanden sie, daß man Konrad Letzkau zehn Wunden in seinen Leib gestochen hatte, Arnold Hecht sechs, Barthel Groß aber gar sechzehn – er mußte am wütendsten um sein Leben gerungen haben; auf seiner Brust war keine unverwundete Stelle zu finden, auf die man die Hand hätte decken können. Allen dreien war die Kehle abgestochen, das war ihr Letztes gewesen.
Als da noch viel Jammer um die Leichen der teuren Männer war und der Haufe der Leidtragenden wieder anwuchs und Frau Anna nicht СКАЧАТЬ