Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

Серия:

isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ Herzen des deutschen Volkes ausgehen. Die Gedanken, die sie tragen, sind nicht mehr die fugischen Gedanken der Scholastiker, sondern melodische Gedanken, die aus persönlichem Erleben quillen, die frei spielend durch verwandte Vorstellungen gleiten, Gedanken der Mystiker. Man könnte das Thema des vielstimmigen deutschen Konzertes, das sich das 13. und 14. Jahrhundert hindurch entfaltete, Gespräch zwischen Gott, Mensch und Natur nennen. Über die tiefsten Rätselfragen, die den Geist bewegen, wurde darin phantasiert, sie sollten nicht endgültig gelöst werden, dazu war das Wissen von ihrer Unlösbarkeit zu stark, die Geheimnisse sollten in verständlichen Worten umschrieben und der Andacht, der Sehnsucht nähergebracht werden. Es war den Laien immer in deutscher Sprache gepredigt worden, aber über Wiederholung einzelner Tatsachen der Heilslehre oder platte Ermahnungen zur Tugend und zum Gehorsam hatte sich die Predigt kaum erhoben, schon weil der Prediger selbst nicht mehr zu sagen hatte. Ebensowenig konnten die später beliebten Allegorien die Aufmerksamkeit reizen, wenn zum Beispiel über die fünfzehn Brote, die Jesus in die Hand genommen habe, gepredigt wurde, daß sie die fünfzehn Hauptfeste der Kirche bedeuteten und zugleich auf die fünfzehn Arten von Brot bezogen werden müßten, die in der Heiligen Schrift erwähnt würden, worauf Fest und Brot zusammengestellt wurden: Advent und Weizenbrot, Peter und Paul und Fladen, Allerheiligen und in der Asche gebackenes Brot und so durch alle Kirchenfeste fort. Um die schläfrigen Zuhörer etwas zu ermuntern, griffen die Prediger zu dem Mittel, Legenden und Wundergeschichten als Beispiele einzulegen. Caesarius von Heisterbach erzählt, wie der Priester seine Predigt beginnt: »Hört, meine Brüder, ich will euch etwas Neues und Seltsames erzählen, es war einmal ein König, der hieß Artus« und dann fortfährt: »Seht, meine Brüder, das ist ein großes Übel, als ich von Gott redete, da schliefet ihr, sobald ich aber leichtfertige Geschichten anfange, da spitzt ihr die Ohren.« Wie groß die Begierde des Volkes nach geistiger Nahrung war, und daß es durchaus nicht nur durch leichtfertige oder abergläubische Geschichten anzuregen war, beweist der Zulauf, den Berthold von Regensburg hatte. Er ist im Jahre 1220 geboren und durchzog von 1250 an als Wanderprediger das südliche und südöstliche Deutschland. Im Freien sprach er, ohne Regel, ohne System, ohne Dogmatik, Sinn und Maß und Zweck seiner Rede schöpfend aus dem Geiste derer, deren Augen erwartungsvoll auf ihn gerichtet waren. Das Neue seiner Belehrung war, daß er sie in unmittelbare Beziehung setzte zum Erleben seiner Zuhörerschaft daß er nicht von Vorschriften, Bußen, guten Werken sprach, sondern von der Betätigung christlicher Gesinnung in jedem einzelnen Falle. So mitten ins Werktagsleben stellte er seine Predigt hinein, daß er die Höker und Hökerinnen tadelte, weil sie, wie es heute noch geschieht, das angefaulte Obst hinter dem rotbackigen versteckten und dem Käufer, der dieses sähe, jenes zuteilten. »Fastet soviel als Elias«, sagte er, »und leidet soviel als Hiob, tu was du kannst und magst, das gefällt Gott alles nicht ohne den Christenglauben. Gute Werke ohne Glauben sind vor Gott tot, und Glauben ohne gute Werke sind vor Gott ebenso tot.« Das war, was die Herzen ergriff, ein Christentum abseits von der Kirche, nicht vom Priester dem Laien, sondern vom Volksmann dem Volke verkündigt. Seit Karl der Große den heidnischen Germanen das Christentum aufzwang, hatte es Bitterkeit erregt, daß die Religion der Liebe ihr Werk mit Strafen und mit Geldeintreiben begann; diese Abneigung wich nie ganz, war immer leicht wieder anzufachen. Andererseits hatten sich doch die Grundvorstellungen des Christentums bald in das gläubige Gemüt des deutschen Volkes eingegraben, Zweifelsucht lag ihm fern. Sobald ihm jemand vom Glauben sprach und von der göttlichen Gnade, die ihm begegnet, sobald es jemand einen Hauch göttlichen Wesens spüren ließ, gab es sich andächtig und verständnisvoll hin.

      Von der unmittelbaren Beziehung der Seele zu Gott handelte nicht Berthold von Regensburg, dem es um die praktische Anwendung des Christentums im täglichen Leben zu tun war, sondern sein Lehrer David von Augsburg. In Gottes Antlitz begraben sein, ein Geist mit ihm werden, das ist nach ihm das Höchste, was der Mensch auf Erden erreichen kann. Daß dies Ziel dem Menschen auf Erden erreichbar ist, war der Glaube, der den Mystiker ausmacht. Seit Augustinus gesagt hatte, daß die Seele, weil sie nach Gott geformt sei, nur in Gott Ruhe finden könne, hatten viele große Theologen die Überzeugung ausgesprochen, daß die menschliche Seele mit Gott eins werden wolle und könne, was ihre Verwandtschaft, ja eine gewisse Wesensgleichheit mit Gott voransetzt. Nach Albert dem Großen geschieht die Vereinigung der Seele mit Gott durch die Liebe, deren Art es ist, mit dem Geliebten eins sein zu wollen, zu werden wie er ist, und die zugleich die einbildende Kraft hat, die das Gleichwerden bewirken kann. Nur um ein Werden handelt es sich bei Albert, um eine Seligkeit, die dem Menschen erst in der jenseitigen Zukunft in der Fülle beschieden werden kann. Durch das Abscheiden vom Niedrigen und die Sehnsucht nach dem Höchsten kann die Seele Gott allmählich eine Stätte bereiten. Für Albert war diese Betrachtung nur etwas Gelegentliches im großen Lehrgebäude der Theologie, für die eigentlichen Mystiker, für David von Augsburg, Meister Eckhardt und dessen Schüler Tauler und Seuse, war sie der Mittelpunkt ihrer Gedankenwelt, und zwar so, daß sie die Vereinigung der Seele mit Gott auf Erden für möglich hielten und erstrebten. Für einen Weg zu diesem Ziele hielten sie die Ekstase, für einen anderen das Erkennen, das nach Meister Eckhardt eins ist mit Lieben, wie ja auch in der deutschen Sprache Minnen und Meinen aus derselben Wurzel kommen.

      Was die Kirche und bedeutende Kirchenlehrer veranlaßte, dies Mysterium mit der äußersten Vorsicht zu berühren, war die Einsicht in die damit verbundenen Gefahren. Das Verweilen in der vita contemplativa konnte den Gläubigen von der vita activa zurückhalten, von der hilfsbereiten Bruderliebe, die der Erlöser selbst als den Kern des Christentums geboten hat, aus dem liebenden Christen konnte ein in sich selbst versunkener Selbstsüchtiger werden. Das Erzwingen von Visionen und Verzückungen führte in den meisten Fällen nur zu krankhafter Überschwenglichkeit oder gar zu widerwärtigen Absurditäten. Die feinste und verderblichste Gefahr war aber die, daß der Glaube an die Wesensähnlichkeit der Seele mit Gott zu einem Pantheismus ausartete, bei dem der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf wegfällt und der Mensch sich in seiner ganzen Menschlichkeit Gott gleichsetzt. Es gab in der Tat verschiedene Sekten, welche diese Folgerung und daraus den Schluß zogen, daß dem Menschen alles erlaubt sei; sie sahen in Christus ihresgleichen, lehnten die Kirchen ab, stellten sich über alle Gesetze. Die deutschen Mystiker haben die schmale Grenze, die die menschliche Seele von Gott trennt, aus dem sie geflossen ist, und in den sie wieder fliehen will, ihrer Meinung und Absicht nach nicht verlassen. Sie haben nicht versäumt, auf das Bedenkliche der Visionen und auf die Notwendigkeit der Liebestätigkeit hinzuweisen. David von Augsburg sagte, daß Visionen oft bloße Sinnestäuschung und Vorspiel des Wahnsinns wären, was wirklich not tue, sei die Sünde auszutilgen, der Tugend nachzustreben, den richtigen Sinn der Heiligen Schrift zu erforschen, sich durch Gebet zu Gott zu erheben. »Wäre ein Mensch selbst in Verzückung wie Sankt Paul«, sagte Meister Eckhardt, »und wüßte einen siechen Menschen, der seines Süppleins von ihm bedürfte, so erachte ich es weit besser, du ließest aus Minne von der Verzückung und dientest dem Dürftigen in größerer Minne.«

      Trotz dieser Anerkennung des Wertes der Nächstenliebe ist Meister Eckhardt von dem Triebe beherrscht, sich durch Erkennen Gott zu nähern. Jahrhunderte vor Novalis ruft er den Menschen wie dieser zu: »Nach innen geht der geheimnisvolle Weg.« Das war der Inbegriff seiner Lehre, die ihn mit solcher Heftigkeit ergriff, daß er, wie er selbst sagt, einem Stock gepredigt hätte, wenn kein Mensch dagewesen wäre. Über das Unfaßbare, daß im Menschen, vergänglichem Staube, eine Seele ist, deren Ursprung und deren Bestimmung Gott ist, läßt er immer wieder das Licht seines Geistes hinspielen. »Wäre ich nicht, so wäre nicht Gott.« »Da ich floß, da sprachen alle Dinge Gott.« Tiefsinnige, vieldeutige, unergründliche Worte. Es war für die damaligen Menschen, die das Göttliche nur durch die Kirche kannten, nur nach Gutdünken der Kirche davon zugeteilt bekamen, wie wenn die Mauern eines Gefängnisses durchbrochen werden, so daß Licht und Himmelsluft hereinströmen können, erfüllt vom Wohlklang der Natur. Nicht gute Werke erschließen das Herz Gottes, aber die Liebe, der Glaube, ein Gebet aus der Tiefe der Seele. Der Priester kann keine Sünde vergeben, aber dem Reuigen begegnet Gott mit überschwenglicher Gnade. Wenn die oft sehr subtilen philosophischen Gedankengänge nur von wenigen Zuhörern verstanden wurden, das wurde verstanden, daß es der Priester nicht bedürfe, um die Seele zu Gott zu erheben, daß der Liebe Gottes, die sich dem Menschen zuneigt, die Frömmigkeit des Menschen begegnet, die unmittelbar von Gott in seine Seele gepflanzt ist. Daß es jenseits der Lehre der Kirche, jenseits der СКАЧАТЬ