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so daß sich die abendländische Welt der heidnischen gegenüber im gleichen Glauben verbunden fühlte. Widerspruchslos herrschte der Glauben trotzdem nicht. Von den Anfängen der Kirche an traten Andersgläubige mit abweichenden Auffassungen auf, gegen welche die Kirche die ihrigen abzugrenzen und als allein gültig festzusetzen sich gezwungen sah. So entstanden nach reiflichem Abwägen, wobei die gelehrtesten Theologen und erfahrensten Priester sich ernstlich bemühten, die zutreffendste Formulierung für die übersinnliche Wahrheit zu finden, um die es sich handelte, die Dogmen; eins in das andere greifend, eins über das andere gelagert, stiegen sie auf wie Quadern zu einem mächtigen, unumstößlichen Gewölbe. Was einmal von der gesamten Kirche als Lehrsatz festgesetzt war, konnte nicht von neuem in Zweifel gezogen werden, ohne daß vieles andere, damit verbundene, gelockert wäre und damit die von der Kirche verkündete Wahrheit überhaupt angetastet wäre. Es war folgerichtig und ein streng festgehaltener Grundsatz, daß die Kirche sich auf eine Erörterung ihrer Lehrsätze niemals einließ; sie mußten schlechtweg geglaubt, wenigstens bekannt werden. Gerade die religiösen Gemüter, denen es ein Bedürfnis war, sich in die religiösen Geheimnisse zu versenken, und die dem besonderen Lauf ihres Lebensweges entsprechend eine besondere Seite des Göttlichen erfaßten, fanden in der abgerundeten Formulierung des Dogmas kein Genügen, fühlten sich vielleicht sogar davon abgestoßen; solche konnten ungehindert ihren Gedankengängen folgen, solange sie sie nicht laut äußerten und solange sie sich nicht aus dem von der Kirche vorgeschriebenen Kreise entfernten. Traten sie aber in offenen Widerspruch zur Kirche, so wurde ihnen keine Verteidigung der als ketzerisch bezeichneten Sätze gestattet, nur der Widerruf verlangt. Im 12. und 13. Jahrhundert, als die Päpste eine übersteigerte Herrschaft ausbildeten, erließen sie eine Reihe von Bullen, die ein besonderes Verfahren zur Vernichtung der Ketzerei einführten, nämlich den Inquisitionsprozeß, und beanspruchten selbstverständlich für die ganze Christenheit dessen Gültigkeit. Sie wandten sich an die Regenten aller Länder, denn die Teilnahme des Staates war um so notwendiger, als die geistlichen Gerichte, der christlichen Milde entsprechend, deren Vertreter sie waren, keine Todesurteile aussprachen und vollzogen. Die Kaiser, die als oberstes weltliches Haupt der Christenheit vor allem in Betracht kamen, folgten wie alle anderen Regenten den päpstlichen Weisungen ohne weiteres und taten es in diesem Falle nicht ungern, da sie ja das Bestreben der Kirche, mit allen Mitteln eine einheitliche Weltanschauung zu erzwingen, durchaus teilten. Friedrich II., dem Ketzereien der ärgsten Art nachgesagt wurden, führte das Inquisitionsgericht durch Gesetze von 1220 bis 1239 förmlich im Reiche ein. An der Spitze desselben stand ein Inquisitor, der ein theologisch sehr gebildeter Mann sein sollte, was wegen der oft subtilen Unterscheidungen zwischen ketzerischer und rechtgläubiger Ansicht erforderlich war, und es wurden deshalb Angehörige des gelehrten Dominikanerordens bevorzugt. Der Inquisitor pflegte Beisitzer zu haben, war aber an deren Meinung nicht gebunden, sprach das Urteil ganz nach eigenem Gutdünken. Als Prozeßform unterschied man wohl Akkusations-, Inquisitions- und Denunziationsprozeß, aber da kaum jemals jemand den Mut hatte, offen mit einer Anklage aufzutreten, bildete in der Regel Denunziation die Grundlage. Dem Angeklagten sollte gestattet sein, einen Angeber zurückzuweisen, der sein persönlicher Feind war; da ihm aber die Angeber nicht genannt wurden, war dieser Schutz des Gesetzes eine Täuschung. Ebenso wurde die vom Gesetz vorgesehene Bestrafung falscher Angeber nie vollzogen. Ein Verteidiger wurde dem Angeklagten nicht gestattet. Die Fragestellung war so gekünstelt, setzte eine solche Gewiegtheit in theologischen Spitzfindigkeiten voraus, daß der unglückliche Johann von Wesel, ein berühmter Professor, vor dem Inquisitionsgericht ausrief, bei solchem Verfahren würde auch Christus als Ketzer verdammt werden. Die gesamte Habe verurteilter Ketzer wurde eingezogen ohne Rücksicht auf deren rechtgläubige Kinder. Auch die Unfähigkeit Ämter zu bekleiden, ging auf die Nachkommen des Ketzers über. Eigens war der Inquisitor angewiesen, sich durch die Klagen des Opfers nicht rühren zu lassen. Er konnte andererseits, sowie er nach Belieben die Strafe verschärfen konnte, auch Milde walten lassen und tat es zuweilen, ohne daß ein ersichtlicher Grund vorgelegen hätte, wenn es für die Zwecke der Kirche ersprießlich schien. Denn der verderbliche Grundsatz war aufgestellt worden, daß das als Recht zu betrachten sei, was der Kirche nütze. Sowie aber der Rechtsgrund irgendwo anders gesucht wird als im Rechte selbst, entscheidet Willkür und parteiliches Interesse. Durch diese Auflösung des Rechtsbewußtseins, durch die Anleitung zur Angeberei – wurden doch die Kinder angewiesen, gegen ihre Eltern auszusagen – wurde die Seele des Volkes, zu deren Errettung angeblich die Inquisition erdacht war, vergiftet und erniedrigt. Nicht nur, daß bösartige Menschen Gelegenheit fanden, den Gegenstand ihres Neides oder ihrer Rachsucht in sicheres Verderben zu stürzen, daß Menschen angeleitet oder gezwungen wurden, gegen ihre Nächsten auszusagen, daß der Angeklagte selbst aus Angst vor unerträglichen Qualen zum Heuchler wurde, man benutzte auch die bekehrten Ketzer, sei es, daß sie wirklich überzeugt waren, oder daß sie sich anstellten, als wären sie es, um die ihnen bekannten Ketzer zu bekehren oder anzugeben. Bekehrte Ketzer waren die besten Werkzeuge der Inquisition.
Die Regenten Deutschlands nahmen an der neuen Art des geistlichen Gerichts, das dem germanischen Rechtsgedanken in verschiedener Hinsicht widersprach, keinen Anstoß, wohl aber empörte sich das Volk dagegen. Nach germanischem Recht fanden Beisitzer das Urteil, die des Angeklagten Standesgenossen sein sollten. Ohne Ankläger fand kein Verfahren statt, und der Ankläger setzte sich persönlich als Vertreter seiner Klage ein. Frauen, Kinder und Gesinde des Angeklagten wurden nicht als Zeugen zugelassen. Der Widerwille gegen die römische Einrichtung führte zur Ermordung des Inquisitors Konrad von Marburg und eines seiner Gefährten; aber es ist ein Irrtum, zu meinen, damit habe die Inquisition in Deutschland aufgehört. Im Gegenteil wurde sie durch Karl IV. ausgebildet und sogar verschärft. Es ist bezeichnend für die Verschlagenheit dieses Kaisers, daß er bestimmte, von dem eingezogenen Vermögen des Ketzers solle ein Drittel dem Inquisitor, ein Drittel den Städten zufallen. Dadurch bekamen die Städte, die ursprünglich der Inquisition abgeneigt waren, ein Interesse daran, das heilige Gericht zu unterstützen. Daß der Inquisitor, der Kläger und Richter in einer Person war, aus der Verurteilung der Angeklagten finanziellen Gewinn zog, sollte später, in den Hexenprozessen, entsetzliche Folgen haben.
Schwoll auch die Inquisition in Deutschland nicht zu einer so unentrinnbaren Maschinerie an wie später in Spanien, so arbeitete sie doch, trotz vereinzelten Widerstandes im allgemeinen gebilligt, rüstig weiter. Vielleicht wäre der Widerstand wirksamer gewesen, wenn die Ketzer hochstehende, einflußreiche Personen gewesen wären; aber es waren überwiegend kleine Leute, um deren Schicksal die Mächtigen sich nicht bekümmerten. Die meisten waren Handwerker, Weber besonders, Menschen, die einen gewissen Grad von Bildung besaßen und doch nicht so begütert waren, daß ihr religiöses Bedürfnis in weltlichen Genüssen untergegangen wäre. Die Inquisition, die an ihrem sittlichen Wandel nichts aussetzen konnte, warf ihnen vor, daß sie ohne Unterlaß arbeiteten, lernten und lehrten und deshalb zu wenig beteten. Die kirchlichen Zeremonien genügten ihrer Nachdenklichkeit nicht; vielleicht beförderte auch das Zunftwesen die Neigung zur Sektenbildung. In diesen Kreisen gewannen die Hussiten Einfluß und vermischten sich mit den niemals ganz verdrängten Waldensern, namentlich in den an Böhmen grenzenden Gebieten: Österreich, Sachsen, Franken.
Als nun in Luther das Wesentliche der ketzerischen Ideen zusammenströmte und er laut und öffentlich sich für sie einsetzte, sah es aus, als könne er der Inquisition so wenig entgehen wie Huß oder Johann von Wesel oder Dränsdorf und viele andere. Allerdings hatte er den Vorteil, daß er durch seine Predigt das Herz seines Landesherrn gewonnen hatte und ein angesehener Professor an dessen Universität war; aber in derselben Lage hatte sich Huß befunden. Hinter Huß hatte die gesamte Bevölkerung eines Landes einmütiger gestanden, als die Deutschen für Luther waren. Ein Bedeutendes aber konnte Luther zugute kommen: die veränderte Einstellung der Nation und des Staates zur Kirche. Besonders durch die Humanisten war das nationale Selbstbewußtsein so gesteigert, daß die Abhängigkeit von einer Macht, die so häufig ihren nicht universalen, sondern ausländischen Charakter verraten hatte, unwillig ertragen wurde; die staatlichen Gewalten aber waren in ihrem Streben nach Zusammenfassung und Abrundung ihrer Landeshoheit durch die kirchlichen in ihr Territorium eingreifenden Rechte gestört und fühlten sich stark genug, auch die geistige Leitung ihrer Untertanen in die Hand zu nehmen. Wenn auch der mächtige junge Kaiser von dieser nationalen und staatlichen Gesinnung erfaßt wurde, konnte Luther hoffen, dem Feuertode zu entgehen.