Wir denken neu – Damit sich Deutschland nicht weiter spaltet. Verena Bentele
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      Und ohne die Unterstützung staatlicher Sicherungssysteme könnten noch weniger Menschen sich medizinische Behandlung oder Pflege leisten oder im Alter ihre Miete bezahlen.

      Klar wurde mir dies, nachdem ich über den Sport den Weg in die Politik gefunden hatte. Im Jahr 2012 engagierte ich mich in München politisch für Sport und Inklusion. In dieser Zeit erwachte mein Interesse an Sozialpolitik. Besonders spitzte ich die Ohren, wenn Experten über Arbeitsmarkt und Rente referierten. Damals habe ich für mich erkannt: Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist ein Teil des großen Ganzen. Und ich will das große Ganze verändern, ich möchte unsere Gesellschaft fairer machen und, wie im Sport, alles geben, damit jeder Mensch die Chance auf ein gutes Leben hat. Mehr und mehr begann sich damals für mich abzuzeichnen, worum es mir bis heute geht; wusste ich, was ich wollte: Sozialpolitik machen, mich einbringen, mich einmischen! Ich will die ganz großen Fragen von Gerechtigkeit und Solidarität diskutieren und unser Land voranbringen.

      Seit 2018 bin ich nun Präsidentin des Sozialverbands VdK. Diese Aufgabe gibt mir die Möglichkeit, mit Politikern über ganz konkrete Gesetzesentwürfe zu diskutieren. In diesem Buch möchte ich etwas grundsätzlicher werden und meine Vision für einen Sozialstaat für alle präsentieren. Der Sozialstaat ist etwas, worauf wir in Deutschland stolz sein können und was uns alle verbinden sollte. Daher sollten auch alle Bürger einbezogen werden – indem sie, so wie sie können, Beiträge zahlen und, wenn sie es benötigen, Leistungen erhalten. Wem es gut geht, der kann andere unterstützen. Unser aller Leben kann sich ändern, wir haben die Chance auf positive Veränderung und Entwicklung. Es kann durchaus geschehen, dass die, denen es heute gut geht, morgen Hilfe brauchen. Und dann ist es doch beruhigend zu wissen, dass die Gemeinschaft da ist in diesem Moment. Als Sportlerin habe ich die Erfahrung gemacht, dass Erfolg und Misserfolg – Siegertreppchen und Niederlage – nahe beieinanderliegen. Auch die Corona-Pandemie hat gezeigt: Von heute auf morgen kann auf einmal alles anders sein. Ein unberechenbares Ereignis kann von jetzt auf gleich eine existenzielle Bedrohung für uns werden. Auch und gerade dann wird von vielen Seiten der Ruf nach einem starken Staat sehr laut, zu Recht.

      Die Pandemie hat die Welt verändert, und sie hat in aller Schärfe deutlich gemacht, was gut und was schlecht ist in unserem Land und in anderen Ländern. Seuchen sind immer auch politisch, weil sie uns zwangsläufig mit der Frage konfrontieren, welche gesellschaftliche Ordnung angemessen und wirksam auf sie reagieren kann.

      In Ländern, in denen Millionen Menschen mit geringster sozialer Absicherung leben, ist gemeinsames Handeln kaum möglich. Wer ohne Arbeit oder Kurzarbeitergeld Miete und Lebensmittel nicht mehr zahlen kann, wer Kinder durchbringen muss, für den sind zwei Wochen Quarantäne eine existenzielle Bedrohung. Wer keine Krankenversicherung hat, geht nicht zum Arzt, sondern arbeitet auch schwer krank noch als Paketzusteller und Kassierer weiter. Die Corona-Krise hat uns gezeigt: Stabile Sozialsysteme helfen nicht nur dem Einzelnen, sie machen ein ganzes Land stark. Jeder gegen jeden dagegen schwächt ein Land. Dieses Buch soll Mut machen, die sozialen Sicherungssysteme zu festigen und zu stärken. Denn unser Land ist zunehmend gespalten, was Einkommen und Wohlstand betrifft, aber auch im Denken und Fühlen der Menschen. Die Corona-Pandemie hat diesen Prozess massiv befeuert. Die einen sitzen mit brutalen Zukunftsängsten in ihrem geschlossenen Lokal, die anderen im heimeligen Homeoffice.

      Wenn es gut geht, erweist sich das Virus als ein Weckruf für starke Sozialsysteme, wenn nicht, wird es den Beginn einer beispiellosen Spaltung der Gesellschaft markieren. Je größer die Angst um die Zukunft, um den Job, um eine bezahlbare Miete und um die Rente, desto schneller und aggressiver verteidigen die Einzelnen ihren Besitzstand, auch wenn sie damit andere abhängen.

      Ich bin lieber dafür als dagegen. Daher ist meiner Meinung nach jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um ein positives Buch zu schreiben. Dieses Buch ist eine Einladung zu einer konstruktiven Diskussion an alle, die unsere Welt besser, gerechter und solidarischer machen wollen. Wir sollten kreativ und konstruktiv streiten über die Wege, wie wir das erreichen können. Ich mag Menschen mit Überzeugungen, und ich mag es, wenn ich mit meinen Visionen begeistern kann. Ich habe Spaß daran, Lösungen zu diskutieren, denn nur so ändern wir etwas. Motzen alleine, das reine Benennen von Problemen und Suchen von Schuldigen bringt noch keine Veränderung. Ich muss nicht recht haben, im Gegenteil: Wenn ich Widerspruch in Form von besseren Vorschlägen und Konzepten auslöse, freue ich mich. So ist auch dieses Buch entstanden. Meine beiden Co-Autoren und ich haben während der Arbeit an dem Text viel und kontrovers diskutiert. Sämtliche Ideen wurden von uns dreien so lange besprochen, bis wir alle mit den Gedanken einverstanden waren, die sich auf den folgenden Seiten finden.

      Eine solch leidenschaftliche Debatte über starke soziale Sicherungssysteme wünsche ich mir auch in Politik und Gesellschaft.

      Noch ein Hinweis: Die konkreten Beispiele, die ich im Folgenden anführe, haben sich aus zahlreichen Gesprächen mit Betroffenen ergeben und wurden so überarbeitet, dass die einzelnen Personen in ihrer Privatsphäre geschützt bleiben.

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