Die Lobensteiner reisen nach Böhmen: Zwölf Novellen und Geschichten. Alfred Doblin
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Название: Die Lobensteiner reisen nach Böhmen: Zwölf Novellen und Geschichten

Автор: Alfred Doblin

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066116811

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СКАЧАТЬ das Tal mit aufblendendem Nebel schwimmt und kilometerweit abgleitet. Menschen, Wagen drängen auseinander. Armand mit einer Trainkolonne biegt links ab; bei Grandmoulin sind die Stellungen der Reserven und Louis Poinsignon. Matt ist Armand Mercier; er reitet auf einem Vorspannpferd und ißt Corned beef aus einer Schachtel. Immer neue Hügel. Wenn das Wagenknarren aufhört, „Hui — i — i — iahh!“ der Granaten, meckerndes „Päng —päng —päng“ dazwischen. Die Eisschalen unter den Pferdehufen knacken.

      Breit und lang die Chaussee. Nur die Munitionskolonne reitet hier. Dies ist der Weg zu Louis Poinsignon. Armand Mercier weint heiß vor Trauer, krampft mit der linken Hand in die Mähne des Tieres, zieht die Knie an dem atmenden Tierleib hoch. Wäre er zu Fuß, würde er sich haben hinsinken lassen und stundenlang nicht aufgestanden sein. Das Pferd trägt ihn zu Louis Poinsignon, der nicht da ist. Am Ende der Chaussee wird das Dorf mit dem Quartier sein, und Louis Poinsignon ist nicht da. Die Schwäche hält ihn auf dem Pferd; das trottet, hebt sich, senkt sich. Es geht wehrlos weiter durch die stille Chaussee. Hier kann kein Louis Poinsignon existieren, es ist unmöglich. Hier ist der Mann weggerafft.

      Rot und röter loht von rechts der Himmel. Niedergebrochen blickt durch Tränen Armand Mercier auf den Himmel, stumm geradeaus bewegt sich die Kolonne. Seine Augen bleiben gefangen an der Röte, die hochdrängt, fast im Halbkreis des Horizontes. Mit Befremden, Bitternis und Abscheu betrachtet Armand den Flammenschein, die Chaussee, den vorüberziehenden Wald. Auf die linke Chausseeseite herüber biegt sein Zug, hält an. Und da rattert es vorbei, vom Dorf herunter, die hochtürmigen Transportautos, die strohgefütterten Wagen, die offenen ungeschützten Bretterwagen mit den Verwundeten, den zerschossenen Soldatenleibern, die angeblafft sind von den aufbäumenden Granaten, die stöhnenden, über deren Köpfe Mauerwerk gepoltert ist, die japsenden, halb erstickt aus den Giftdämpfen der Schützengräben gezogen, ausgestreckte Leiber in nicht endender Reihe hintereinander, in weiße Verbände geschlagen, durch die das Blut sickert, eine träumende delirierende Schar, der furchtbar drängenden Macht drüben aus den Zähnen gedreht.

      Louis Poinsignon tot. Bevor das letzte Auto an der gebückt harrenden Kolonne vorübersurrt, ist Armand Mercier in den Wald geglitten. Wandert um das Dorf herum, er will nicht in das Quartier der Reserven. Von dem grauroten Flammengewölbe schmettert es in malmenden Lagen nieder, haushohe Feuergarben quellen aus der Erde. Eine Esse; Hammer, Amboß.

      Schmerzvoll schleicht Armand Mercier aus dem Wald heraus; verstohlen Flüchtende auf allen Seiten um ihn; eine schattige Figur kommt über die Wiese gelaufen, hat einen weißgarnierten Hut in der Hand. Armand geht, ohne zu wissen, was er tut, neben ihr her, als sie zwischen die erste Stammreihe eingetreten ist. Das zarte Dämchen hat ein Plaid über der linken Schulter, ihr Rock ist bis zur Hüfte mit Lehm bespritzt. Sie sagt entrüstet: „Ich wohne in Roye; wir müssen fliehen, mein Vater und meine Schwestern kommen gleich nach.“

      „Aber Fräuleinchen, Fräuleinchen Nini.“ Er tatscht sie zutraulich.

      Sie reißt sich ab, sieht ängstlich um sich. „Ach Gott, Herr Mercier. Aber Sie sind es.“

      „Fräulein Nini.“

      „Sehen Sie. Sie sagen nichts zu Hause. Ich bin erst drei Tage weg. Ich habe George besucht, meinen Verlobten, den Buchbindersältesten, George steht hier.“

      „Mit dem sind Sie verlobt?“

      „Heimlich. Sie sagen nichts zu Hause. Gott, ist das ein Zufall. Sie sind’s doch wirklich, Herr Mercier. Ich wußte gar nicht, daß Sie einberufen sind. Bei welchem Regiment stehen Sie eigentlich.“

      Armand aber wundert sich wenig. Setzt ihr den Hut auf, steckt die Nadeln fest, nimmt das Plaid und legt ihn ihr um die Schultern, dann nimmt er sie unter den Arm: „Kommen Sie mit.“

      Sie lächelt ihn glücklich an: „Armand, ich habe gar nicht gewußt, daß Sie eingezogen waren.“

      „Ja, doch.“

      „Sonst hätte ich Sie auch besucht.“

      Er den Kopf tief zwischen den Schultern wandert mit ihr ziellos durch den Wald. „Nini, man müßte etwas zu trinken haben.“

      Er kneift sie und pfeift. Sie kichert ihn an: „Wie nett Sie sein können. Wissen Sie, Armand, im Krieg sind alle Männer viel netter.“

      Ihre Augen schließen sich, während sie sich an Armand schmiegt. Sie sind in eine Lichtung getreten, ein Reiter kommt aus einem Seitenweg im Galopp auf sie zu, ein Feldgendarm. Sie stäuben auseinander; beim Weglaufen winkt Nini Armand zu, weist, wo sie sich versteckt. Nach einer Viertelstunde knackt es im Buschwerk neben Armand; Nini zieht ihn am Arm: „Tippel, tappel, tippel, tappel,“ kichert sie; sie kommandiert, als sie sich, die Hände voraus, vorsichtig durch das Dickicht drängen: „‚Mann, wie heißen Sie? Wo stehen Sie im Quartier? Wie können Sie sich hier mit einer Weibsperson herumtreiben!‘ Hab’ ich gehört; mit George. Der Unterleutnant hat gesagt: ‚Daß mir keiner eine „Sie“ bei sich hat. Ein Soldat mit ’ner Ziege saust rin.‘ Armand, glauben Sie, daß ich Mut habe?“

      Sie blickte ihn erwartend an.

      „Doch, Nini.“

      Ihr Gesicht leuchtet auf: „Oh! Aber pfui, das reißt ja. Ich war bei George im Schützengraben. Es waren noch andere Fräuleins da. Als der Wachhabende es merkt und mich sucht, versteckt mich George; er will mich verstecken, aber er hat nur eine Kiste da, vorn an der Brustwehr, eine Brotkiste, wissen Sie, so ein langes hohes Ding. In die Kiste bin ich reingesprungen, wie ich war; er hat mich hochgehoben; lieber mich von den Preußen totschießen, als von dem groben Kerl anfassen lassen. Oh, der ist grob. Der weiß gar nicht, was er tut, so wütend ist er immer. Und auf mich hatte er es immer abgesehen, der schlechte Mensch. Denken Sie, Armand — Sie sind mir nicht böse, wenn ich Sie Armand nenne? Sie sind doch heute so nett zu mir. Da bin ich oben zwischen den Steinhaufen in der Kiste gesessen, die hatte vorn ein großes Loch, fast wie ein Kopf groß, von einem Stück Granate, und ich sitze da oben und höre den Wachhabenden schreien und tuen und brüllen, er sucht mich im ganzen Graben. Und George hat immerzu geschossen, oh, der kann schießen, ein Mal hinter dem andern, am fleißigsten von allen; ich hab’ nicht gesehen, wo er hingeschossen hat. Die Preußen haben nichts dazu getan. Ich habe mich auch gar nicht gefürchtet; ich habe immer zugehört, wie George geschossen hat. Er hat mir gesagt, er hätte keinen Preußen an mich herangelassen; zwanzig oder dreißig hat er totgeschossen in einer Stunde, bums, bums, immerzu. Nachher war ich ganz glücklich. Ich geh’ bald wieder zu ihm. Oh, mir gefällt der Krieg.“

      Lichtschein zwischen den Stämmen vor ihnen; er arbeitet sich mit ihr gedankenlos drauf zu; frieren beide nicht. Plötzlich zehn Schritt vor ihnen grell bestrahlter Boden; geöffnete Blendlaterne im Moos, erzählende Männerstimmen. Zwei Posten in weißen Pelzen, Gewehre hingelegt, lachen, treten von Bein auf Bein, schlucken, kauen, was sie aus großem, dampfendem Blechtopf neben der Laterne mit Fingern fischen.

      „Der merkt nichts. Der weiß nicht mal genau, ob er seinen Topf noch hat.“

      „Ein Schaf. Ich kenn’ ihn dafür.“

      „Wer sollte das kriegen?“

      „Na, wer wohl? Na, rat mal! Wer kann wohl ein Huhn kriegen?“

      „Na.“

      „Na, rat mal. Immer derselbe. Immer derselbe dicke Vize; aus dem Lazarett stiehlt er hintenrum, wo er’s kann. Nebenbei schickt er das Schaf auf Suche. Abends sitzt ihm eine gewisse auf dem Schoß.“

      „Pass’ auf, heut kontrolliert er Lazarettposten. Von mir findet er СКАЧАТЬ