Die Lobensteiner reisen nach Böhmen: Zwölf Novellen und Geschichten. Alfred Doblin
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Название: Die Lobensteiner reisen nach Böhmen: Zwölf Novellen und Geschichten

Автор: Alfred Doblin

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066116811

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СКАЧАТЬ Rock. Als sie ihn aufforderte, sich zu ruhen, machte er einen beschämten Hüpfer ans Fenster: „Es ist dieselbe Stadt, wo die Bombe fiel. Dieser Ort ist mir verhängnisvoll. Ich ruhe jetzt, meine Gnädige.“

      Er plumpste keuchend auf den Sitz ihr gegenüber: „Nun ruhe ich.“

      Inzwischen rutschte unter seinen Hemdsärmeln ein braunes dickes Flanellhemd an den Knöcheln vor; leicht errötend nahm sie die Jacke auf, legte sie ihm über: „Sie sind Junggeselle, Herr Fortunesku?“

      Sein Mund verbreiterte sich, eine Feuchtigkeit schwamm über die drehenden Augen, er fuhr nach ihrem Handgelenk: „Ein liebes Wesen starb mir vor Jahresfrist; sagen wir rund ein Jahr und zwei Monate. Sie ist mir entrissen worden.“

      „Und warum schweigen Sie jetzt, mein Herr?“

      „Situationen gibt es, die nicht nachlassen, an einem Männerherz zu pressen. Bis es schwillt, schwillt; überschwillt.“

      Sie klopfte warm seine Finger. Er schüttelte sich, wischte sich die Stirn mit dem Zeigefinger, machte eine krampfhafte Klimmzugbewegung. Hin und her wandernd stöhnte er. Die Schwermut riß ihn hin. Er beugte sich zu ihr; im Nu hatte er sie an seiner Brust, saß eng bei ihr. Die Tropfen aus den Augen des trostlosen Mannes fielen auf ihren Rock. Betäubt hielt sie still. „Was ist das?“ dachte sie, „ich kann mir das nicht gefallen lassen. Das ist ja entsetzlich.“ Sie brachte aber nur seufzend heraus: „Es ging aber doch recht schnell. Sie halten mich fest, mein Herr.“

      Triumphierend glänzte sein Gesicht. Sie flüsterte ängstlich: „Schließen Sie wenigstens die Tür; ich habe Kaffee bestellt.“

      Ein Zug am Riegel, Einschnappen des Schlosses. Sie hing gehoben auf seinem Schoß, so daß sie die weichen Patschen faltete, befangen lächelte: „Es ist wunderbar. Man muß das erlebt haben.“

      An ihrem Spiegelbild sah sie vorbei. Die Wagen ratterten. Heller und dumpfer klirrten die Scheiben in ihren Holzrahmen. Er strich sich den Schnurrbart. Auch ihr Gesicht fing an zu glühen. Seine Brauen waren borstig, seine Augen klein wie Murmeltiere. Ihr dicker runder Körper sackte, von ihm losgelassen, gegen den roten Plüsch. Zwei Männerarme schlossen sich um ihren atmenden widerstandslosen Rumpf, drückten ihn hoch; eine stopplige nasse Haut rieb gegen ihre Wange. Während ihre Lippen einander benetzten, Zähne über Zähne strichen, schwindelte ihr leicht hinter der Stirn. Entfernt schnaubte die Lokomotive; sie fühlte das Stoßen der Räder herauf. Seine Knie unter ihr zitterten.

      Da kam ihr vor, als ob es seitlich von ihr irgendwo knackte. Und wie sie den Kopf über seine Schulter schob und mit dem rechten Auge herunterschielte an seinem Rücken, blinkte auf dem Polster eine kleine Beißzange an ihrem Handgelenk, ihr Armband lag frei daneben. Unwillkürlich zuckte ihr Arm. Blitzschnell waren Zange und Schmuck in seinem gebauschten Hemdsärmel verschwunden, Schlaff wölbte sich ihr Rücken nach einem tiefen Atemzug. Ihr Mund fiel auf seine knochige Schulter und mahlte das blaue Westenfutter. Er, von unten den Blick zu ihr drehend, bettelte, ob ihr schlecht wäre, ob er sie legen sollte. Sie fixierte ihn halb ohnmächtig aus den schmalen Augenschlitzen: „Ist das ein Lump. Es ist ein Hochstapler, ein Eisenbahnräuber. Ich setze mich in den Zug, um nach Dresden zu fahren und er sieht mich und stiehlt meine Brillanten.“

      Er kratzte sich mit der freien rechten Hand den Scheitel, so daß sich eine Haarsträhne wie ein gebogenes Horn aufstellte: „Seelische Strapazen peinigen mich, meine schöne Dame. Nennen Sie mir Ihren Namen, Ihren Vornamen, geschwind, geschwind.“

      Angstvoll, ohne ein Glied zu bewegen, lag sie. Sie dachte: „Es geschieht mir recht. Wo ist er denn jetzt? Ich habe goldene Strumpfschnallen.“

      Und schon knackte es wieder. Sie weinte halb, warf jammernde Blicke gegen die Notbremse: „Ich kann nichts machen gegen ihn. Er kompromittiert mich, wenn das Bahnpersonal kommt. Und diese Hemdsärmeln. Er ist solch Lump.“

      „Ihren Vornamen, geschwind, geschwind.“

      Sein Haar war dünn; seine Ohren standen ab, braune Büschel wuchsen daraus: „Er ist vielleicht ausgebrochen aus dem Zuchthaus. Er hat im Zuchthaus gesessen. — Wie schrecklich wäre es, wenn er ein anständiger Mensch wäre und ich mich so gehen ließe. Was würde er von mir denken, von mir erzählen. Wo würde ich ihm begegnen können. Dem werde ich nie begegnen, dem Strolch. Bei ihm bin ich gut aufgehoben.“

      Sie drückte Auge und Nase fester gegen seinen Gummikragen: „Der prahlt höchstens mit mir. In einer Kaschemme rühmt er sich.“

      Sie spürte, wie er die Knie vorsichtig unter ihr wegzog, bog den spitzenverhüllten Arm um seinen Hals: „Du prahlst mit mir, nicht wahr? Wenn du mit deinen Freunden bist? Wo bist du her? Du mußt mir erzählen.“

      Er fuhr hoch. Diese Frau duzte ihn. In einer Zuckung streckten sich seine Beine quer über den Gang; sein linker Arm stemmte sich auf den Plüsch. Es kollerte und klirrte etwas über seine Füße. Sie hielt ihn, ließ ihn nicht los, Stirn dicht auf Stirn: „Ist dir was hingefallen? Hebs später auf. Laß doch liegen. Du mußt mich nachher noch so lange begleiten. Ich fahre nach Dresden. Ich hole meine Tochter aus dem Pensionat. Ja, ich bin verheiratet, und mein Mann ist Offizier in Bukarest. Aber unseren Namen sag ich dir nicht, denn du bist solch Strolch, ich durchschaue dich, solch frecher, frecher Strolch.“

      Fortunesku atemlos unter ihrem Drängen, schnitt ungeschickte Grimassen; er gaffte aus dem Ring ihrer Arme auf die Leiste des Spiegels: „Das ist eine besondere Frau. Sie bringt mich um. Ich will ihr alles wiedergeben.“

      „Madame,“ öffnete er indigniert den schlecht rasierten Mund. Aber sie hatte ihn schon mit vergnügtem Gelächter um die Taille gefaßt. Sie kniff ihm in den Arm, quietschte: „Bin ich froh, bin ich froh über dich, du Lump. Weil du solch Lump bist.“ Er wand sich, verdrehte sich schlangenhaft. Sie stand zugleich mit ihm auf. Sie packte ihn bei den Hüften, ließ ihn nicht los, ließ ihn nicht los. —

      Als Cesarine zwischen Znaim und Iglau, wohlig ausgestreckt, sich von dem Zug ab- und auffedern ließ, plauderte sie von Dresden, von ihrer Familie. Sie blinzelte gegen die grelle Deckenbeleuchtung, lobte Matilda und ihren Verlobten. „Madame,“ fing Fortunesku an, von Zärtlichkeit und Gewissensbissen überwältigt, während er sich ihr gegenüber den Schnürsenkel festzog, „wollen Sie zwei Worte von mir anhören. Ich bin, wie Sie sehen, Kavalier und Ritter. Ein Mann von meinem Temperament und Gewandtheit, in meinem Gesellschaftsrang ist natürlich von einer Vielseitigkeit, die anderen Berufsarten fremd erscheint. Ich hebe Lasten, öffne Schlösser. Ich mache Scherze als Turner, die Uneingeweihte mißverstehen.“

      Sie zog den Fenstervorhang vor ihr Gesicht: „Ja, Sie können turnen wie kein Mensch auf der ganzen Erde.“ Die Bremse knarrte, die Wagen schaukelten; ein südlicher Vorort Dresdens blitzte. Cesarine rauschte hoch, stieß mit den Füßen gegen Metall.

      „Aber heben Sie doch Ihre Sachen auf.“

      Unsicher lächelnd stemmte Fortunesku, noch sitzend, die Arme in die Weichen; er streifte sich die geborstene Jacke über.

      Der lange Ruck, die weiße Wölbung der Bahnhofshalle. Gepäckträger brüllten in die Fenster.

      Sie drehte sich sanft, in Trauerhut und Schleier, zu ihm, der gebückt stand, hauchte: „Sind Sie fertig?“

      Herr Fortunesku war edles Halbblut; seine Mutter hatte es ihm oft gesagt. Beleidigt schnellte er durch das Coupé, tauchte unter die Sitze, kehrte ihr den Rücken zu. Sie beobachtete ihn entzückt. Plötzlich scharrte er, giftig ausspeiend, die Sachen zusammen, legte das Armband mit einer noblen Geste offen um sein linkes Handgelenk. Sie bat ihn um ihren Handschuh, schwebte duftend СКАЧАТЬ