Eros&Harmonie. Christoph Quarch
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Название: Eros&Harmonie

Автор: Christoph Quarch

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783967991703

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СКАЧАТЬ Erfüllung – eine entrückte Gefühlsdichte, die sich eher mit Rauschzuständen als mit der klaren Bewusstheit göttlicher Seligkeit verbindet.

      Mit der göttlichen Seligkeit hingegen klingt eine Wahrnehmung der Wirklichkeit an, die nicht mehr die unsere ist: das Paradigma des Mythos. Tatsächlich ist es gerade die Verwurzelung im mythischen Weltgewahren, die dem griechischen Geist und der griechischen Philosophie – wenigstens bei einigen ihrer wichtigsten Exponenten – große Unmittelbarkeit und Frische verleiht. Denn Mythen sind nichts anderes als hoch konzentrierte Verdichtungen einer umfassend wahrgenommenen Lebendigkeit. Sie sind wie Brausetabletten, die man nur in das Wasser des eigenen Lebens zu tunken braucht, um sie fröhlich sprudeln und ihren Geschmack und Reichtum freisetzen zu lassen.

      Diese hochgradig verdichtete Lebendigkeit des Mythos prägt auch die griechische Sprache, die eine überaus differenzierte Begrifflichkeit für die Wirklichkeiten und Phänomene des Lebens aufweist. Daher gibt es zu denken, dass sie für das, was wir „Glück“ nennen, (mindestens) drei grundverschiedene Begriffe kennt. Da ist zunächst das den unsterblichen Göttern vorbehaltene Glück der Seligkeit (makariótēs), von dem noch Friedrich Hölderlin weiß, wenn er dichtet: „Ihr wandelt droben im Licht, selige Genien!“ (14) Daneben steht ein Wort, das unter den Bedingungen von Zeit und Geschichte das rein menschliche Glück benennt: eudaimōnía – zumeist übersetzt als Glückseligkeit. So konnte ganz am Ende der klassischen Phase des griechischen Geistes Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik darauf hinweisen, dass die makariótēs der Götter von der eudaimōnía der Menschen genau darin unterschieden sei, dass die Götter durchweg die vollendetste und beste Tätigkeit der Seele ausübten, während dies bei den Menschen nur partiell der Fall sei:

      Das Leben der Götter ist seiner Totalität nach selig, das der Menschen nur, sofern ihnen eine Ähnlichkeit mit dieser Tätigkeit zukommt; von den Tieren aber ist keines glückselig, da sie an der Vernunft in keiner Weise teilhaben. (15)

      Aristoteles sagt also: Die Seligkeit der makariótēs gründet in ihrer Unbegrenztheit, Absolutheit, Totalität – in all dem, was sich für den Griechen mit dem Prädikat göttlich verband. Die menschliche Glückseligkeit der eudaimōnía erscheint dagegen mangelhaft, bruchstückhaft. Ihr fehlt jener Glanz des Absoluten. Auf ihr liegt allenfalls dessen Abglanz, wenn der Mensch dem Göttlichen ähnlich wird. Anähnlichung, Ähnlich-Werden mit Gott (homoiōsis theō) konnte folglich bei Aristoteles ebenso wie bei seinem Lehrer Platon zu einem Leitmotiv der philosophischen Lebenskunst werden.

      Bleiben wir aber noch ein wenig bei dem Glück der Götter – bleiben wir bei der makariótēs. Die antiken Texte sind voll von schönen und lichten Darstellungen jener göttlichen Seligkeit, und stets spüren wir darin all das Glänzende, Glitzernde, Glamouröse – die Glorie und die Grazie, das Goldene und das Ganze –, das Hermann Hesse aus dem GL des Glückes heraushören konnte. Und so erscheint es gewiss nicht unzulässig, wenn in unserem Sprachgebrauch die Seligkeit nachgerade in das Glück eingegangen und von diesem Begriff geschluckt worden ist.

      Allein – wir sollten uns vor dem Missverständnis hüten zu glauben, damit wäre alles über das Glück gesagt. Wir sollten uns in Acht nehmen vor der Selma-Idylle, die so tut, als sei das aller Zeit und Geschichte entrückte Glück in seiner ganzen Ungetrübtheit auch die Glückseligkeit des Menschen. Wir sollten nicht der Versuchung anheimfallen, das Glück auf das goldene GL einzuschränken und das erdhaft-irdische ÜCK dabei zu ignorieren – dieses ÜCK, aus dem all das Lückenhafte, Bruchstückhafte und Bedrückte des menschlichen Lebens klingt. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen, wenn wir unser menschliches GlÜCK bedenken, das eben tiefer reicht als das Glück der GLänzenden göttlichen Seligkeit. Umgekehrt wäre es aber auch zu kurz gegriffen, wenn wir unser menschliches Glück nur als Antwort auf unser Schicksal als Sterbliche begreifen wollten. Am Ende scheinen uns die fünf Buchstaben des Wortes GLÜCK wohl bedeuten zu wollen, dass sich unser Glück aus beidem zusammensetzt – dass es sich irgendwo in der Mitte befinden muss zwischen dem GLanz vollendeter göttlicher Seligkeit und dem Schmerz irdischer BruchstÜCKhaftigkeit – in der Schwebe zwischen Erde und Himmel.

      Und noch etwas: Ebenso wie die Vision von der GLanzvollen Seligkeit der Götter und das Bewusstsein um die LÜCKenhaftigkeit des menschlichen Daseins ist das Wissen um die SchiCKsalhaftigkeit des Lebens in unser Verständnis von Glück eingeflossen: Das Wissen um seine Zufälligkeit, seine Unverfügbarkeit – das Wissen um das Glück, das man haben muss, wenn man glücklich sein will. Denken wir nur an all die Glücksspiele, die Glücksbringer, die Glücksfeen und Glückskinder vom Schlage eines Gustav Gans; denken wir an das Glück, das wir hatten, wenn wir knapp einer Gefahr entronnen oder – zufällig – in den Genuss eines Gewinns gekommen sind. Auch das ist Glück, und vermutlich wird in der deutschen Sprache das Wort Glück am häufigsten in diesem Sinne verwendet.

      Diesem Glück haben die alten Sprachen einen eigenen Namen gegeben – mehr noch: Es verdichtete sich für sie zu einer göttlichen Gestalt, die von den Griechen Týchē, von den Römern Fortuna genannt wurde. Der Týchē entspricht dabei das Verb tynchánein, dessen Bedeutungsfeld sich um Worte wie treffen und erlangen gruppiert. Týchē ist so gesehen dasjenige, was uns trifft, was sich trifft, was betroffen macht. Týchē ist, um ein mythologisches Wörterbuch zu zitieren, die „schicksalhafte Zuwendung“, wobei zunächst offen ist, ob sie uns im Guten oder im Bösen ereilt. Ursprünglich eigneten sowohl der Fortuna als auch der Týchē zugleich lichte wie dunkle Seiten, und erst im Laufe der Zeit wurde Týchē und stärker noch Fortuna zu jener Glücks- und Segensbringerin, die uns aus den endlosen Gründen ihres Füllhorns Glücksgüter vom SUV bis zum Traumurlaub auf den Malediven beschert.

      Wenn man dies hört, ist es nur natürlich und naheliegend, dass Týchē und Fortuna für die mythisch gestimmten Menschen der Antike eine leibhaftige Gestalt annehmen mussten, die durch zweierlei gekennzeichnet ist: Jungfräulichkeit und Flügel. Das mythische Bewusstsein kennt Flügel in erster Linie bei solchen Wesen, die sich im Zwischenreich zwischen Menschen und Göttern bewegen: Daimonen nannten sie die Griechen (16), wobei man nicht an die putzigen Fratzengesichter romanischer Kapitelle denken sollte, sondern an Gestalten wie Nike, die – sei es als „Goldelse“ auf der Berliner Siegessäule oder als Nike von Samothrake im Louvre – den Siegern im Wettkampf den Ruhmeskranz reichte, oder den Eros, der mit Pfeil und Bogen bestückt unsere Herzen trifft. Natürlich gehören auch die Engel zu jenen geflügelten Wesen des Zwischenraums: ob nun als Engel der Verkündigung, als Cherubim und Seraphim, als Erzengel oder als deren abtrünniger Bruder Luzifer.

      Es ist aber nicht nur die vermittelnde Tätigkeit zwischen Gott und Mensch, die in den Flügeln der daimonischen Wesen ihren Ausdruck findet, es ist vor allem ihre als Jungfräulichkeit symbolisierte Unverfügbarkeit. Einen Engel können Sie nicht herbeizwingen. Davon weiß sogar die österreichische Verkehrswacht, wenn sie Motorradfahrern nahelegt: „Gib deinem Schutzengel eine Chance.“ Den Geflügelten kann man sich öffnen, man kann sich für sie bereithalten, aber man kann sie sich nicht verfügbar machen. Das hat die Menschheit aber nicht davon abgehalten, Strategien, Kniffe und Mittel zu ersinnen, um sich Fortuna und Týchē gefügig zu machen. Doch am Ende haben sie nur zu einer Einsicht geführt: Das jungfräuliche Glück lässt sich nicht gewaltsam oder strategisch einnehmen. Es wendet sich uns zu oder eben nicht. Das mag – kein Wunder bei den Flügeln – dem einen oder anderen als flatterhaft oder gar zickig erscheinen, ihrem verführerischen Charme tut dies aber keinen Abbruch.

      Göttliche Seligkeit (makariótēs), menschliche Glückseligkeit (eudaimōnía), unverfügbare schicksalshafte Zuwendung (týchē): Auch andere europäische Sprachen kennen für diese drei unterschiedliche Worte – Worte, die wir im heutigen Deutsch jeweils korrekt mit Glück wiedergeben können.

Deutsch:Glück als SeligkeitGlück СКАЧАТЬ