Die Todesstrafe I. Jacques Derrida
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Название: Die Todesstrafe I

Автор: Jacques Derrida

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Passagen forum

isbn: 9783709250389

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СКАЧАТЬ (etera de daimonia kaina); und daimonia, das sind zweifellos Götter, Gottheiten, aber bisweilen, etwa bei Homer, auch untergeordnete Götter oder Wiedergänger, die Seelen der Toten; der Text unterscheidet genau zwischen den Göttern und den daimonia: Sokrates hat die Götter (theous) des Gemeinwesens nicht geehrt, und er hat neue daimonia eingeführt (etera de daimonia kaina). Die Anklage ist ihrem Gehalt nach also eine religiöse, eigentlich theologische, ja exegetische. Sokrates wird der Häresie beziehungsweise der Blasphemie, des Sakrilegs oder der Heterodoxie beschuldigt: Er täuscht sich hinsichtlich der Götter, er täuscht sich oder er täuscht die anderen, die Jungen vor allem, in Bezug auf die Götter; er ist hinsichtlich der Götter einem Missverständnis erlegen beziehungsweise hat hinsichtlich der Götter des Gemeinwesens Missachtung [mépris] und Missverständnis [méprise] erzeugt. Diese Beschuldigung, dieser Hauptanklagepunkt, diese kategoria religiösen Wesens wird – wie immer, und wir werden uns regelmäßig für diese immer wiederkehrende Verbindung interessieren – von einer Staatsmacht als Souverän übernommen, von einer Staatsmacht, deren Souveränität ihrerseits phantasmatisch-theologischen Wesens ist und sich, wie jede Souveränität, durch das Recht über Leben und Tod des Bürgers auszeichnet [se marque], durch die Macht, zu entscheiden, das Gesetz vorzugeben, zu urteilen und sowohl die Ordnung als auch den Verurteilten zu exekutieren. Selbst in den Nationalstaaten, die die Todesstrafe abgeschafft haben – eine Abschaffung der Todesstrafe, die mitnichten einer Abschaffung des Rechts auf Töten gleichkommt, zum Beispiel im Krieg – nun, jene wenigen Nationalstaaten der demokratischen Moderne, die die Todesstrafe abgeschafft haben, behalten ein souveränes Recht über das Leben der Bürger, die sie in den Krieg schicken können, um zu töten oder getötet zu werden in einem Raum, der dem Raum der internen Legalität, des Zivilrechts, in dem die Todesstrafe ihrerseits aufrechterhalten oder abgeschafft sein kann, radikal fremd gegenübersteht.+

      Um einen Augenblick zu Sokrates und Platon zurückzukehren, sowie zum grundlegend religiösen Charakter des Hauptanklagepunktes, der Beschwerde, der Inkriminierung, der Kriminalisierung, der Beschuldigung, der bzw. die vom Staat übernommen wurde, verweise ich Sie auf die Gesetze von Platon, der die Todesstrafe im Falle von Gottlosigkeit (asebeia), hartnäckiger Gottlosigkeit, wiederholten Rückfalls in die Gottlosigkeit rechtfertigt. Lesen Sie diese langen und spannenden Seiten in den Gesetzen (10. Buch, 907d-909d) bitte selber ausführlich nach. Das Gemeinwesen, die polis, muss allen verkünden, dass die Gottlosen Sühne leisten und sich zu einem frommen Leben bekehren müssen, und dass, falls sie dies nicht tun, wenn sie in Worten und Taten Gottlosigkeit (asebeia) bekunden, der erstbeste Zeuge sie beim Magistrat anzeigen muss, der sie vor das zuständige Gericht zitieren wird. Es folgen die Beschreibung der verschiedenen Arten der Gottlosigkeit (darunter, wie ich im Hinblick auf das Thema unseres Seminars anmerken möchte12, die Respektlosigkeit gegenüber Eiden (orkous)) sowie schließlich die Taxonomie der drei Typen von Gefängnis oder Besserungsanstalt; lesen Sie all das also bitte alleine. Ich werde aus dieser langen und reichhaltigen Passage nur zwei oder drei Hinweise festhalten.

      2. Zweiter Hinweis. Der Rat, der syllogos, empfängt Besucher, Berater, Beobachter, Experten, die aus der Fremde zurückkehren, wo sie die Sitten und die Gesetze anderer Länder studiert haben. Nun, wenn einer von ihnen verzogen oder verdorben zurückkehrt, wenn er dann fortfährt, seine falsche Weisheit zu verbreiten und sich unüberlegt auf fremde Vorbilder zu beziehen, und wenn er dem Magistrat nicht gehorcht, „so soll ihn die Todesstrafe treffen (tethnatō) für den Fall, daß er vor dem Gerichtshof der sträflichen Einmengung in Erziehungs- und Gesetzgebungsfragen (peri ten paideian kai tous nomous) überführt wird“17. Sobald der Gerichtshof bewiesen hat, dass er zu Unrecht, im Namen des Fremden in die Bildung der Jugend und die Entstehung der Gesetze eingreift, wird er mit dem Tode bestraft. Soviel zur Definition und zur theatralischen Szene dieses Nächtlichen Rats, der über Leben und Tod entscheiden und der allein die Gefangenen besuchen kann. Wenn wir jetzt vom 12. Buch der Gesetze, wo der Status, die Zusammensetzung und die Kompetenzen dieses Rats in der Morgendämmerung auf diese Weise definiert werden, zum 10. Buch zurückkehren, von dem ich ausgegangen war, finden wir dort die Legitimation der Todesstrafe in der Aufzählung sämtlicher Strafen, sämtlicher Arten und Orte der Einkerkerung. Wenn jemand freizügige Reden zum Beispiel in Bezug auf die Götter, die Opfer oder die Eide gehalten hat, oder wenn er zum Glauben an bestechliche Götter ermutigt und sich so des Verbrechens der Gottlosigkeit, der Irreligiosität schuldig gemacht hat, wird er ins Zuchthaus gesperrt, in ein sōphronisterion, wörtlich einen Ort zum Klugwerden [assagissement]. Zuchthaus oder Besserungsanstalt an einem Ort des Klugwerdens, einem Ort, an dem man die sōphrosyne wiedererlangen soll, die Klugheit, die Klugheit im präzisieren Sinne von Besonnenheit, Mäßigung, Selbstkontrolle, Gesundheit des Geistes und des Herzens. Es geht darum, überwacht zu werden, um wieder „klug/besonnen [sage]“ zu werden, die Klugheit/Besonnenheit (sōphrosyne) in jenem Sinne wiederzuerlangen, den man im Französischen dem Wort sage beilegt, dem enfant sage als bravem, ruhigem, diszipliniertem Kind. Das Sophronisterion ist eine Disziplinaranstalt. Man wird dort für mindestens fünf Jahre eingesperrt. Während dieser Zeit darf kein Bürger den Schuldigen dort besuchen, mit Ausnahme eben der Mitglieder des Nächtlichen Rats (tou nykterinou syllogou), die zu ihm kommen, um ihn zu ermahnen und – das ist der wichtigste Punkt – seine Seele zu retten, um des Heils seiner Seele willen (tes psychès soteria omilountes). Diese soteriologische Funktion ist wesentlich: Zunächst gilt es, die Seele des Verurteilen zu bessern, zu retten, zu rehabilitieren, und diese soteriologische Mission, dieses Heils- oder Erlösungswerk wird statutarisch dem Nächtlichen Rat anvertraut, zugewiesen, denjenigen, die allein das Besuchsrecht haben im Sophronisterion, in der Besserungsanstalt, in der dem Besonnen-werden geweihten Institution. Wenn der Verurteilte nun (und wir finden hier bereits unser Thema der Vergebung und der Reue wieder), wenn also nach diesem soteriologischen Versuch der Verurteilte sich selbst rettet, wenn er bereut, wenn er zur Reue gelangt und wieder besonnen wird, wenn er sich rehabilitiert, dann wird er das Recht haben, unter den Tugendhaften zu leben; wenn nicht, wenn er sich СКАЧАТЬ