Meine Real Life Story. Philipp Mickenbecker
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Название: Meine Real Life Story

Автор: Philipp Mickenbecker

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

Серия:

isbn: 9783863348328

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СКАЧАТЬ zu vertuschen war, sagte ich es schließlich meiner Mutter. Und da war es eigentlich schon viel zu spät.

      Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, an dem ich die Diagnose bekommen habe. Den Tag, der mein damaliges Leben komplett auf den Kopf stellen sollte.

      Ich hatte ein MRT verordnet bekommen, nur zur Sicherheit und um abzuklären, ob die Vermutung des Hausarztes, dass ich eine Lungenentzündung hatte, tatsächlich stimmte. Ich saß schon seit Stunden in diesem Wartezimmer. Vorher war ich so gut wie noch nie beim Arzt gewesen. Ich war dieses Warten nicht gewohnt. Das MRT war kurz und schmerzlos gewesen, aber warum rief mich denn jetzt niemand auf, um mir mitzuteilen, was das Ergebnis war? Alle, die nach mir drangekommen waren, waren längst gegangen, und langsam machte sich ein seltsames Gefühl in mir breit.

      Die Ärzte, die am Wartezimmer vorbeikamen, schienen mich beunruhigt zu beobachten, als hätten sie ein Geheimnis, das sie mir nicht verraten wollten. Endlich wurde ich aufgerufen und in dieses dunkle Zimmer geführt. Hinter einem kleinen Schreibtisch saß ein großer Arzt, auf dem Bildschirm vor ihm waren die Bilder des MRT zu sehen. Das MRT zeigte nicht nur meine Lungen, meine Rippen und mein Herz, sondern da war noch etwas anderes, das dort nicht hingehörte.

      Ein faustgroßer Tumor.

      Genauer gesagt ein Hodgkin-Lymphom, ein weit fortgeschrittener Lymphdrüsenkrebs. Damit hätte ich niemals gerechnet.

      Der Arzt war ziemlich trocken und direkt: „Wenn da nicht schnell etwas gemacht wird, hast du nicht mehr lange zu leben“, meinte er.

      Okay. Ich fand es ja eigentlich gut, dass er so ehrlich war. Was das alles heißen sollte, was diese Diagnose Krebs bedeutete, war mir bis dahin nicht bekannt. Warum hätte ich mich denn auch jemals damit beschäftigen sollen?

      Meine Reaktion muss genauso kalt und trocken gewesen sein wie seine. Alles, was der Arzt danach noch sagte, rauschte an mir vorbei wie lärmender Autoverkehr, ohne dass ich es richtig registrierte. Von einer OP und einer möglichen Chemotherapie war die Rede, aber dass das noch abgeklärt werden müsse. Ich hörte gar nicht richtig zu. Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich war sechzehn Jahre alt, ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was das alles zu bedeuten hatte. Ich wollte einfach mein Leben weiterleben.

      Meine Mutter war in dem Moment deutlich geschockter als ich. An die Autofahrt zurück kann ich mich nicht mehr so gut erinnern. Ich konnte und wollte nicht zeigen, was ich fühlte, und muss nach außen sehr gefasst gewirkt haben. Außerdem wusste ich eben nicht, was auf mich zukommen würde. Ich kann mich gut verstellen in solchen Situationen, besonders, wenn ich den Eindruck habe, dass ich es für die anderen nur schwerer machen würde, wenn ich meine Gefühle zulasse.

      Das habe ich erst zu Hause getan. Auf der Toilette. Ich konnte meine Emotionen nicht länger unterdrücken. Ich glaube, das Schwierigste war gewesen, meinem Vater und meinem Bruder ins Gesicht schauen und ihnen die Diagnose mitteilen zu müssen. Sie waren darauf doch genauso wenig vorbereitet wie ich. Genauso überfordert mit dieser Situation. Ich mochte es nicht, diese mitleidigen Blicke abzubekommen. Natürlich konnte ich sie verstehen. Aber ich wollte stark sein. Ich war es gewohnt, alles irgendwie hinzubekommen, meistens allein oder mit meinem Bruder zusammen. Ich war es gewohnt, erfolgreich zu sein. Das tun zu können, was mir Spaß gemacht hat, das tun zu können, was ich tun wollte. Ein unbekanntes Gefühl der Hilflosigkeit brach plötzlich über mich herein.

      Da stand ich nun allein in der Toilette. Hinter mir hatte ich abgeschlossen. Ich wollte mit niemandem reden. Ich wollte allein sein. Ich musste nachdenken. Ich hab es einfach nicht verstanden. Warum hatte es mich getroffen, warum jetzt? Und dann stellte ich etwas ziemlich Merkwürdiges fest: Ich war sauer auf Gott.

      Irgendwie habe ich tief in meinem Inneren schon an Gott geglaubt. Gedacht, dass es da doch jemanden oder eine Macht geben muss, die zumindest der ersten Zelle das Leben eingehaucht hat. Nichts bleibt nichts, das ist das Einzige, was wissenschaftlich Sinn macht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass etwas oder sogar alles aus dem Nichts entstanden sein soll.

      Viele Gedanken hatte ich mir dazu aber ehrlich gesagt noch nicht gemacht. Ich meine, warum auch? Bisher hatte ich Gott noch nie gebraucht, bisher hatte er mich eher genervt beziehungsweise hatten mich die ganzen Regeln und Verbote in der Schule und bei uns zu Hause genervt, die ja alle irgendwie mit diesem Gott begründet wurden. Gott, so wie ich ihn von anderen präsentiert bekommen hatte, war ein irgendwie nebulöses, strenges Wesen, das weit weg im Himmel saß und kontrollierte, ob wir auch alle brav waren und uns an die Regeln hielten. Diese Vorstellung kam mir schon immer ziemlich komisch und abschreckend vor. Mit so einem Gott wollte ich nichts zu tun haben. Beziehungsweise fand ich nicht, dass man so einen brauchte. Von meinem Real Life war er jedenfalls meilenweit entfernt.

      Aber jetzt habe ich ihn plötzlich gebraucht. Nein, gebraucht ist vielleicht das falsche Wort – ich machte ihn für meine Lage verantwortlich. Und das sagte ich ihm auch. Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirklich richtig ernsthaft mit ihm gesprochen habe. Ich habe kein frommes Gebet gesprochen, sondern alles genau so rausgehauen, wie ich mich gefühlt habe, und dabei alles zusammengemischt, was ich über ihn dachte, gelernt hatte und mir wünschte. Wieso sollte ich nicht ehrlich sein, wenn er doch eh alles weiß?

      Ich hab mich vors Klo gekniet, weil ich nicht mehr stehen konnte und mein verzweifeltes Gesicht nicht mehr im Spiegel sehen wollte. Und dann hab ich meinen neuen Verantwortlichen gefragt:

       Warum?

       Warum ICH?

       Warum jetzt?

       Siehst du nicht, dass ich das jetzt gar nicht gebrauchen kann?

       Warum muss das jetzt sein, wo alles so gut läuft in der Schule und mit unserem Hobby, das immer mehr zu unserem Beruf wird?!

       Soll das eine Strafe sein?

      Ich war wirklich wütend. Und verwirrt. Ich hatte gedacht, Gott, wenn er denn irgendwas zu sagen hatte, würde mir jetzt mal ein schönes Leben gönnen. Ein schönes Leben außerhalb dieser letzten Schule – dieser ganzen Regeln.

      Lange hab ich nicht gebetet. Viel zu sagen hatte ich auch nicht. Ich habe mir die Tränen weggewischt, mir mein Gesicht gewaschen und bin schlafen gegangen. Noch lange hatte ich den gleichen Gedanken im Kopf, immer nur die eine Frage: WARUM?!

      Als ich wieder aufgewacht bin, fiel mein Blick auf meine Bibel, die ich als Kind frommer Eltern natürlich hatte. Sie lag auf meinem Schreibtisch, gut angestaubt, denn darin gelesen hatte ich schon ewig nicht mehr. Ich habe sie einfach irgendwo aufgeschlagen. Dieses dicke schwarze Buch mit Ledereinband. Dieses uralte Buch, das schon vor Tausenden von Jahren geschrieben wurde.

      Ich hab nochmal gesagt: „WARUM, GOTT?! Bist du überhaupt da?! Ich brauche jetzt eine Antwort!“ Oder so ähnlich. Vielleicht war das das erste Gebet, das ich zu hundert Prozent ernst gemeint habe. Auch wenn ich wusste, dass man so vielleicht nicht unbedingt beten sollte. Aber das war mir gerade echt egal.

      Dann hab ich einfach angefangen zu lesen, genau an der Stelle, wo ich meine Bibel komplett willkürlich aufgeschlagen habe: Das war ziemlich in der Mitte, im Buch Hiob, Kapitel 38, ab Vers 1. Die Überschrift des Kapitels hieß: „Der HERR selbst antwortet Hiob und stellt ihm prüfende Fragen.“ Hiob hatte Gott eine ganz ähnliche Frage gestellt wie ich. Und jetzt antwortete ihm Gott.

      Okay, СКАЧАТЬ