Название: Leopold Figl
Автор: Birgit Mosser-Schuöcker
Издательство: Bookwire
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783902998651
isbn:
»Mir sagte ein Sozialist, dass der Graben der gegenseitigen Feindschaft zugeschüttet werden muss, wenn Österreich leben soll. Ich erwiderte ihm, dass dann, wenn das geschieht, das österreichische Haus nicht mehr auf einem Rutschgrund, sondern auf festem Boden stehen wird«, schildert der spätere Landeshauptmann von Oberösterreich Heinrich Gleißner.38
Fritz Bock, der spätere Vizekanzler und Handelsminister, erinnert sich: »… haben wir schon im Sommer 1938 auf der Dachauer Lagerstraße, wenn dazu Gelegenheit war, von nichts anderem geredet, als was wir wieder machen würden, wenn Österreich wieder einmal frei sein werde. Dabei hat keiner von uns gewusst, […] ob er den nächsten Tag überleben wird, aber wir haben die Hoffnung und den Glauben daran nie aufgegeben, dass es wieder ein Österreich geben wird.«39
Auch und gerade Leopold Figl verliert diesen Glauben nie. Endlich ist der Ausbau beendet und Figl und seine Kameraden werden wieder zurück nach Bayern verlegt. Am 2. April 1940 geht Häftling Nr. 13.897 durch das Tor, über dem »Arbeit macht frei« steht. Erst drei Jahre später wird es sich wieder für ihn öffnen.
5. KAPITEL
Auch das Private bleibt nicht privat. Immer liest der Zensor mit.
Nicht mehr lang? 1940 bis 1943
Leopold Figl zieht sich die verschlissene Decke bis zur Nasenspitze. Endlich ist das Fieber gesunken. Dafür quält den Kranken jetzt der Schüttelfrost. Wenn er nur etwas Warmes zum Zudecken hätte. Ein zaghaftes Klopfen reißt den Gefangenen aus seinen Gedanken. Mühsam setzt er sich auf. Hinter dem schmutzigen kleinen Fenster, hinter einer Absperrung aus Holz und Stacheldraht, erkennt Leopold Figl einen Kameraden. Kalmar winkt ihm zu. Die Freunde haben nicht auf den Kranken vergessen. Irgendwie ist es ihnen gelungen, ihm Nahrungsmittel zukommen zu lassen. Sie müssen sie sich vom Munde abgespart haben. Ein Stück Brot. Einen Margarinewürfel. Oder gestohlen haben, wie den französischen Cognac. Ein Mal war sogar ein Brocken Fleisch darunter. Leopold Figl weiß genau, welches Risiko die Freunde für ihn eingegangen sind. Kalmar winkt noch immer und lächelt ihm aufmunternd zu. Unendlich langsam wälzt sich der Kranke von dem dreckigen Strohsack, den man hier Bett nennt. Kalter Schweiß bricht ihm aus allen Poren. Er beginnt am ganzen Körper zu zittern. Seine Beine drohen, unter ihm nachzugeben. Das Fenster in kaum drei Metern Entfernung scheint unendlich weit weg zu sein. Leopold Figl beißt die Zähne zusammen. Er will den Freunden endlich danken. Ohne ihre Hilfe hätte er nicht überlebt. Noch ein Schritt. Und noch einer. Dann ist Leopold Figl am Fenster. Sein Freund hat aufgehört zu lächeln.
»Ein unvorstellbar gespenstischer Anblick. […] Bleich und verfallen. Das schmale, von rötlichen Bartstoppeln bis zur Unkenntlichkeit umrahmte Gesicht gehörte kaum noch zu ihm. Nur seine Augen, die lebhaften Augen, brannten wie glühende Kohlen im langsam ausklingenden Fieber. Er presste die grauen, blutleeren Lippen fest an das Glas und versuchte, sich auf diese Weise verständlich zu machen: ›Servus Kinder!‹ Wir winken zurück. ›Servus Poldi, wie geht’s dir?‹ ›Dank euch schön, gut.‹ Und dann lachte er, lachte seit Wochen zum ersten Mal wieder und kniff beide Augen zusammen. ,Macht’s euch nix d’raus: Es dauert nicht mehr lang!« So beschreibt Rudolf Kalmar seinen Besuch bei der Isolier-Baracke rund 25 Jahre später.40
Eine Typhusepidemie hat das Lager heimgesucht. Ein Menschenleben ist noch billiger geworden in Dachau. Die ohnehin schon geschwächten Gefangenen sterben reihenweise. Täglich führt der »Moorexpress« – ein Karren, der von Gefangenen gezogen wird – Leichen ins Krematorium. Leopold Figl steht an der Schwelle zum Tod, aber er überwindet auch diese Krise. Seine Freunde päppeln ihn wieder auf.
Figl ist beliebt im Lager. Sein Standardsatz – »Es dauert nicht mehr lange.« – ist einer der Gründe dafür. Er gilt als unerschütterlicher Optimist; als einer, der den Kameraden in ihrer Verzweiflung Mut zuspricht. Manchmal freilich übertreibt er es ein bisschen mit seinen Parolen. Einmal kommt er freudestrahlend in die Baracke: »Kinder, jetzt is bald aus, die Russen sind schon in Lemberg.« Die Kameraden glauben ihm nicht. Es entspinnt sich eine Diskussion. Schließlich sagt Figl: »Ihr wisst’s eh, dass ich kein Trottel bin. I glaub’s jo a net, aber i brauch des, sonst halt ich’s net aus!«41
Außerdem ist Leopold Figl bereit, anderen zu helfen. Heinrich Gleißner erinnert sich an sein erstes Zusammentreffen mit dem späteren Bundeskanzler in Dachau. Der Oberösterreicher ist von den Prügeln, die er auf dem »Prominententransport« bezogen hat, noch ganz verschwollen. »Figl: ›Ja, wie schaust du denn aus?‹ Ich: ›Leider, aber nicht freiwillig!‹ Figl: ›Ich habe leider nur mehr zwei Mark in meinem Besitz, aber die teilen wir!‹ Das war Figl, wie er leibt und lebt: helfen und teilen!«42
Zu diesem Zeitpunkt weiß der »Schutzhäftling« nicht, was ihm im Lager bevorsteht. Alles ist ungewiss und bedrohlich. Trotzdem ist Figl bereit, sein letztes Geld mit einem Bekannten zu teilen, obwohl er es vielleicht später dringend selbst brauchen könnte. Geld spielt im KZ eine wichtige Rolle, weil man sich damit in der Kantine Zusatzverpflegung zu den ausgegebenen Hungerrationen kaufen kann.
Der schmächtige Niederösterreicher ist nicht nur als Integrations-, sondern auch als Führungsfigur anerkannt. Er unterwirft sich nicht, winselt nicht um das »Wohlwollen« der SS-Männer.
»Leopold Figl war ein tapferer Mann, ungebrochen […], ein Mann, der zu seiner Sache stand. Von der Gestalt her hager, meisterte er alle Anforderungen und Anfechtungen mit Bravour«43, urteilt Franz Olah. Auch Rudolf Kalmar zeichnet den späteren Bundeskanzler als mutigen Mann: »Es war bei ihm fast ein Justament-standpunkt, überall dort mitzumachen, wo es gefährlich war.«44
Selbst in der direkten Konfrontation mit der SS findet er noch die Kraft, Widerstand zu leisten. Ein polnischer Arbeitskollege schildert in einem Zeitungsartikel, wie sich Leopold Figl den Wünschen der Machthaber widersetzt hat: Das KZ-Baubüro soll die Planung eines Krematoriums übernehmen. Der zuständige Obersturmführer gibt Figl die entsprechenden Befehle. »Sie wissen ganz genau, dass mir für Projekte solcher Art die Voraussetzungen fehlen, da ich keinerlei Praxis auf diesem Gebiet habe.« Der SS-Mann wird lauter: »Figl, Sie wissen genauso wie ich, dass auch ich keine Ahnung davon habe, aber die Deutschen können eben alles.« Figl gibt trocken zurück: »Es ist wahr, aber die Österreicher sind eben nicht so begabt.«45
Nachträglich erscheint es wie ein Wunder, dass Leopold Figl diesen Widerspruch nicht auf »dem Bock« gebüßt hat: für die Nichtausführung eines Befehls und für das Wort »Österreicher«. Aber in Dachau regiert, Strafordnung hin oder her, die Willkür. Wofür ein Gefangener an einem Tag bewusstlos geprügelt wird, bleibt tags darauf ohne Konsequenzen.
Von völliger Willkür ist auch die Haftdauer abhängig. Man kann morgen freigehen, in einem Jahr oder aber – nie. Diese völlige Ungewissheit macht das Eingesperrtsein zur besonderen Qual. Die Männer dieser Generation sind es gewohnt, den Lebensunterhalt der Familie alleine zu bestreiten und alle wesentlichen Entscheidungen zu treffen. Sie sind das »Oberhaupt« der Familie. Wie wird die Frau daheim alleine zurechtkommen? Wovon wird sie die Kinder ernähren? Wird ihr jemand beistehen? Fragen, die den Häftlingen keine Ruhe lassen.
Leopold СКАЧАТЬ