Neues von Gestern. Georg Markus
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Название: Neues von Gestern

Автор: Georg Markus

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783902998545

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СКАЧАТЬ Stadtmauer passieren zu müssen, in die City und sehen dort zum ersten Mal seit Menschengedenken die Möglichkeit, am Wohlstand teilhaben zu können.

      Umgekehrt erkennen die jungen Leutnants, Assistenzärzte und Rechtsanwaltsanwärter – teils adliger, teils bürgerlicher Herkunft –, dass diese entzückenden Wesen in ihrer ganzen Anmut und Freizügigkeit viel eher ihren erotischen Vorstellungen entsprechen als die verzopften Damen aus »gutem Hause«, deren sexuelle Aktivitäten tunlichst erst nach Eheschließung erfolgen sollen.

      Die meist ziemlich laszive Bühnendarstellung des süßen Mädels tat dann ihr Übriges, um den Reiz zu fördern, ein solches Wesen »besitzen« zu dürfen. Zwei fremde Kulturen, Groß- und Kleinbürgertum, stießen aufeinander, das Neue, Verbotene entpuppte sich für beide Seiten als anziehend, machte das süße Mädel zum Mythos.

      Die ersten Begegnungen zwischen den Vorstadtschönen und den Galans aus dem Zentrum fanden da wie dort statt, es gab keinen Heimvorteil. Innerhalb oder außerhalb der Ringstraße, vor einem eleganten Geschäft, in der Hauptallee, beim Heurigen, in der Freudenau. Es ist nicht schwer, miteinander ins Gespräch zu kommen, »Hallo, Fräulein, was machst du in der Stadt? Wie heißt du? Ah, Gusti. Und, hast schon was vor heut’ Abend?«

      Die reflexartige Abwehr, »Aber Herr Leutnant, warum denn gleich so stürmisch?«, entpuppt sich meist – wie der erfolgsgewohnte Dandy weiß – als nicht wirklich ernst gemeint. Das ist ja das Angenehme bei den süßen Mädeln: Sie müssen auf keine Konventionen achten, sich nicht zieren. Ganz im Gegenteil, sie genießen es, von jungen, attraktiven und angeblich feinen Herren umworben zu sein und mit deren Hilfe dem Geruch ihrer armseligen Kindheit zu entfliehen.

      Von der »gnädigen Frau« nach der Beschaffenheit seiner neuesten Eroberung befragt, definiert Schnitzlers Anatol das süße Mädel so: »Es ist nicht faszinierend schön, es ist nicht besonders elegant – und es ist durchaus nicht geistreich. Aber es hat die weiche Anmut eines Frühlingsabends und die Grazie einer verzauberten Prinzessin und den Geist eines Mädchens, das zu lieben weiß.«

      Ja, ein Mädchen, das zu lieben weiß, das ist das Um und Auf – wobei sich der Ort des Tête-à-têtes als zweitrangig erweist. Bei Schnitzler erfahren wir, dass die süßen Mädeln ihre Verehrer nicht nur in deren elterlichen Stadtpalais oder im Chambre separée trafen, sondern dass diese auch zu ihnen in die Vorstadt kamen. Anatol beschreibt die Behausung einer in ihren eigenen vier Wänden beglückten jungen Dame: »Ein kleines dämmriges Zimmer – so klein – mit gemalten Wänden – und noch dazu etwas zu licht – ein paar alte schlechte Kupferstiche mit verblichenen Aufschriften hängen da, und dort – eine Hängelampe mit einem Schirm. Vom Fenster aus, wenn es Abend wird, die Aussicht auf die im Dunkeln versinkenden Dächer und Rauchfänge! Und – wenn der Frühling kommt, dann wird der Garten gegenüber blühen und duften.«

      So also liest sich die poetische Verfälschung des Wortes Bassenawohnung.

      Derlei Kleinigkeiten stellten aber kein Problem dar für einen schnauzbärtigen Verführer, denn das vermeintliche Glück sollte ja ohnehin nur von kurzer Dauer sein. Bald, allzu bald, wurde die kaum noch erblühte Knospe wieder »abgelegt«, es gab ja so viele, die süß und aus Wien und vor allem Mädeln waren.

      Vom Ende eines solchen Abenteuers erfährt man zwar bei Schnitzler, selten jedoch aus dem wahren Leben. Einmal fallen gelassen, geschwängert vielleicht, war so eine Frau kein Mädel mehr und schon gar kein süßes, sondern nur noch aus Wien. Besser gesagt, jetzt doch wieder aus der Vorstadt, mit der man ja sowieso nie etwas zu tun haben wollte.

      Ein paar Jahre nach der Trennung von Jeanette wird Schnitzler hinterbracht, dass sie in die Demimonde abgesunken, also eine bessere Prostituierte geworden sei. Er sieht sie zufällig auf der Straße und hält die Begegnung im Tagebuch fest: »Geh an ihr, die vor mir ist, vorbei. Sie rief mir nach: ›Arthur! – Du! – Du!‹ Ich ging weiter, ohne mich umzuwenden.«

      Ach, wären die Wiener Mädeln doch nicht ganz so süß gewesen, ihr Leben wäre vielleicht glücklicher verlaufen.

NEUES VON ALTEN AUTOS

      DER »GRÄF UND STIFT«

      VON SARAJEWO

       Streit um ein weltberühmtes Auto

      In keinem anderen Auto wurde die Weltgeschichte so nachhaltig verändert wie in diesem. Das amtliche Kennzeichen »A 111 118« ist heute noch montiert – und das, obwohl der Motor des Gräf & Stift-Wagens seit dem 28. Juni 1914 nicht mehr angelassen wurde. Seit jenem Tag also, an dem der Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie in der offenen Limousine durch Sarajewo fuhren. Neunzig Jahre nach den Schüssen, die den Ersten Weltkrieg auslösten, wurde die Geschichte dieses Autos wieder lebendig. Ein spektakuläres Gerichtsverfahren ließ das Fahrzeug in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten.

      Die alte Dame empfängt mich auf ihrem Gut im oberösterreichischen Aschach. Alice Dreihann-Holenia ist die Tochter des Grafen Franz Harrach, dem das Auto von Sarajewo gehörte. Er hatte den Wagen an jenem schicksalhaften Tag dem Thronfolger zur Verfügung gestellt und stand selbst auf dem Trittbrett, nur wenige Zentimeter von den beiden Opfern entfernt, als die Todesschüsse fielen.

      Graf Harrach hatte Glück, er überlebte das Attentat des Studenten Gavrilo Princip unverletzt. Und doch konnte er mit seinem Schicksal nicht fertig werden. Der Schock, neben dem sterbenden Thronfolger zu stehen, ohne ihn schützen zu können, hatte sich tief in seine Seele gebrannt. Franz Harrach hat das Erlebte aufgeschrieben, doch blieben die Aufzeichnungen des Tatzeugen bisher unveröffentlicht. Seine Tochter ließ mich erstmals Einblick nehmen.

      »Bin unverletzt. Franz.« Das waren die erlösenden Worte, auf die seine Familie sehnsuchtsvoll gewartet hatte. Das erste Telegramm nach dem Attentat traf noch am Abend des 28. Juni 1914 in Karlsbad ein, wo seine Frau gerade auf Kur weilte. »Man muss sich vorstellen, wie groß die Sorge in meiner Familie war, als die Schreckensmeldung aus Sarajewo kam«, erklärte mir Graf Harrachs bald neunzigjährige Tochter. »Das ahnte mein Vater natürlich, und deshalb hat er meiner Mutter auch sofort in die böhmische Sommerfrische telegrafiert.«

      Ihr Vater war ein enger Freund des Thronfolgers, setzte die Baronin Alice Dreihann-Holenia ihre Erzählung fort, »und das war auch der Grund, warum er ihm das Auto zur Verfügung stellte, als dieser durch Sarajewo fuhr«. Harrachs Name ist in jeder Franz-Ferdinand-Biografie erwähnt, weil er das Leben des Thronfolgers schützen wollte, indem er ihn mit seinem eigenen Körper abzudecken versuchte. Da der Graf auf dem linken Trittbrett unmittelbar vor Franz Ferdinand stand, die Kugeln des Mörders jedoch von rechts kamen, schlug sein heldenhaftes Verhalten fehl.

      Franz Harrach war ein wohlhabender Mann. Er besaß mehrere Schlösser in Mähren, ein Stadtpalais in Wien und das Gut in Aschach. Sein berühmtester Besitz ist aber der Gräf & Stift-Wagen, in dem sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf dramatische Weise verändern sollte.

      Rund neun Jahrzehnte nach dem Attentat ist um das historische Gefährt ein heftiger Rechtsstreit entbrannt. Während seine Tochter die Rückgabe des Wagens fordert, weigert sich die Republik Österreich, diesen dem Heeresgeschichtlichen Museum zu entziehen.

      Der 32 PS starke, durch mehrere Einschusslöcher beschädigte Vierzylinder, Jahrgang 1910, wurde wenige Wochen nach dem Mordanschlag in das Wiener Heeresmuseum gebracht, als dessen Prunkstück er seither zu besichtigen ist. Auf einer vor dem Auto aufgestellten Tafel ist bis heute nachzulesen, dass der Wagen dem Thronfolger auf seiner Fahrt durch Sarajewo vom Grafen Harrach »zur Verfügung gestellt« worden war.

      Demnach ist unbestritten, dass Harrach zum Zeitpunkt des Attentats der rechtmäßige СКАЧАТЬ