Meine Reisen in die Vergangenheit. Georg Markus
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Название: Meine Reisen in die Vergangenheit

Автор: Georg Markus

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783902998538

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СКАЧАТЬ in einer schrecklichen Zeit zum Symbol für Heimweh, Trennung und Sehnsucht wurde. Und doch möchte ich sagen: Darauf stolz zu sein, wäre töricht.«

      BRAHMS LAG IM PAPIERKORB

       Professor Marcus macht eine Entdeckung

      Es zählt ja nicht unbedingt zu den nobelsten Eigenschaften einer Hausangestellten, den Mistkübel ihrer Herrschaft zu durchwühlen. In diesem besonderen Fall hätte man der Arbeitskraft jedoch gerade dafür einen Orden überreichen sollen. Denn sie war im Haushalt des großen Johannes Brahms beschäftigt, der jedes Notenblatt jener Kompositionen, die ihm nicht wichtig erschienen, in den Papierkorb warf.

      Durch Zufall lernte ich als junger Journalist den Wiener Musikwissenschafter Professor Gottfried Marcus kennen. Nachdem wir geklärt hatten, dass wir trotz fast identischer Namen weder verwandt noch verschwägert waren, konnten wir uns einem anderen Thema zuwenden, das naheliegenderweise Johannes Brahms hieß. Waren doch Leben und Werk des »Vollenders der Wiener Klassik«, wie man den Komponisten nannte, das Spezialgebiet des Musikprofessors Marcus. Er forschte, musizierte, lehrte und lebte für Johannes Brahms.

      In Brahms-Biografien war dem Professor immer wieder der Name Cölestine Truxa aufgefallen. Diese hatte während der letzten zehn Lebensjahre von Johannes Brahms als dessen Wirtschafterin gearbeitet und gemeinsam mit ihren beiden Söhnen in seiner Wohnung gelebt: in der Karlsgasse 4 auf der Wieden in Wien.

      »Wer weiß«, kam es Herrn Marcus am Beginn der siebziger Jahren in den Sinn, »vielleicht lebt noch irgendein Verwandter dieser Frau Truxa.«

      Er nahm ein sehr unwissenschaftliches Buch zur Hand, das Amtliche Wiener Telefonbuch, schaute unter »Truxa« nach, rief ein paar Leute besagten Namens an, entschuldigte sich für die Fehlverbindung, wählte die nächste Nummer – bis er auf den Eintrag »Truxa Leo, Ing. Hofrat i. R., 6., Köstlergasse 5« stieß.

      Wieder sagte der Professor sein Sprücherl auf: »Verzeihen Sie die Störung, Herr Hofrat, ich wollte Sie fragen, ob Sie mit Frau Cölestine Truxa verwandt sind.«

      »Ja«, antwortete die Stimme eines alten Herrn, »das war meine Mutter.«

      »Dann haben Sie Johannes Brahms persönlich gekannt?«

      »Natürlich, wir lebten ja mit ihm in einer Wohnung.«

      Marcus bohrte weiter: »Na und, haben Sie noch irgendwelche Erinnerungsstücke an Brahms?«

      Jetzt lachte der fast neunzigjährige Herr Hofrat: »Die ganze Wohnung ist voll davon.« Und er erzählte die Geschichte vom Papierkorb: »Meine Mutter hob zehn Jahre lang alles auf, was Brahms wegwarf, und sie klebte sogar die von ihm zerrissenen Blätter wieder zusammen. Aber leider«, bedauerte er, »hat meine Nichte, die meine Wohnung erben wird, gesagt, dass sie einmal alles wegwerfen will, weil das Zeug heutzutage keinen Menschen mehr interessiert.«

      Gottfried Marcus musste tief Luft holen, ehe er weitersprach. Nach einer Schrecksekunde rief er ins Telefon: »Um Gottes willen! Lassen Sie bitte alles, wie es ist. Dürfte ich morgen vorbeikommen und mir das äh … das Zeug, wie Ihre Nichte sagt, anschauen?«

      »Ja, ja, kommen S’ nur.«

      Anderntags schwang sich der Herr Professor auf seinen Motorroller und fuhr zum Hofrat Truxa in die Köstlergasse.

      »Ich bin fast umgefallen«, erzählte mir Gottfried Marcus, »es war einfach sensationell.« Neben bislang unbekannten Brahms-Kompositionen lagen Briefe des Meisters, die er nie abgeschickt hatte. Weiters Privatfotos und unzählige persönliche Gegenstände des Komponisten. Marcus erkannte, dass er in diesem Augenblick auf den wesentlichsten Fund seiner jahrzehntelangen Forschertätigkeit gestoßen war.

      Frau Truxa, die 1897 die Augenlider des Komponisten auf seinem Totenbett schloss, hatte nicht nur die Papierkorb-Funde aufbewahrt, sie war von Brahms, der sie sehr schätzte, auch zur Erbin seiner persönlichen Habseligkeiten eingesetzt worden. »Außerdem gehören Cölestine Truxa 10 000 Gulden«, steht in seinem Testament, »alles, was ich an Möbeln, Kleidern, Wäsche besitze und auch die Bilder, die an den Wänden hängen, Teppiche, Decken, Kissen, Uhren …« Das alles hatte Marcus jetzt vor sich. Ihr größtes Verdienst aber war: Cölestine Truxa hatte schon zu Lebzeiten das Genie des Komponisten erkannt und buchstäblich alles, was Brahms in den Papierkorb geworfen hatte, wieder herausgefischt und aufgehoben. »Jedes einzelne Stück ist für die Brahmsforschung hochinteressant.«

      Drei Jahre verbrachte Gottfried Marcus jede freie Minute, die ihm neben seiner Professur am Konservatorium der Stadt Wien blieb, in der Wohnung Leo Truxas, er untersuchte, reinigte, ordnete den für die Musikwelt einzigartigen Schatz. Und er vervollständigte sein auf knapp 30 000 Karteiblättern minuziös aufgelistetes Vokalarchiv der Brahmsschen Symphonien, Klavierkonzerte, Quartette, Quintette, Sextette um die bislang unbekannten Werke. Experten verkündeten damals: »Was der Köchel für Mozart, das ist der Marcus für Brahms.«

      Die kolossale Arbeit, sagte mir der Professor, hätte er sich nicht nur aus historischen Gründen aufgebürdet, sondern vor allem aus Liebe. Der Wissenschafter hatte dem Komponisten sein Leben gewidmet.

      Gottfried Marcus, der einst als »Wunderkind« galt, hatte in den dreißiger Jahren gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern viele Konzerte gegeben. Als bei der Familie Marcus eines Tages der Besuch von Wiens führendem Musikkritiker Dr. Robert Konter angesagt war, wurden die beiden Buben und das Mädchen gebeten, dem Kritikerpapst Brahms’ H-Dur-Trio opus 8 vorzuspielen. Als sie fertig waren, wurde der sachkundige Mann gefragt, wie ihm die Brahms-Interpretation der Kinder gefallen hätte. Worauf Konter konterte: »Es war fast ein Vergnügen.«

      »Der Kritiker«, gab Marcus zu, »hatte recht, das Trio war weit über die technischen Möglichkeiten dreier Kinder hinausgegangen.«

      Jahrzehnte später sollte Gottfried Marcus den schönsten Tag seines Lebens feiern, wie er selbst sagte: als er unter den aufgefundenen Noten in Leo Truxas Wohnung auch die Brahmssche Originalbearbeitung eben jenes H-Dur-Trios opus 8 entdeckte. Er war seiner ersten Begegnung mit Brahms als alter Mann wieder begegnet. Frau Truxa hatte auch diese Noten aus dem Papierkorb gefischt.

      Sowohl Hofrat Truxa wie Professor Marcus sind mittlerweile nicht mehr am Leben. Aber sämtliche dem Papierkorb entnommenen Brahms-Noten sind für alle Zeiten gerettet. Die beiden Herren haben sie geschlossen dem Musikarchiv der Stadt Wien übergeben.

      DAS »WEISSE RÖSSL« IST NICHT

      AM WOLFGANGSEE

       Die wahre Lovestory hinter der Operette

      Operetten sind im Allgemeinen frei erfunden. Kein Mensch wird ernsthaft annehmen, dass der Zigeunerbaron oder die Lustige Witwe tatsächlich gelebt haben. Ganz anders verhält es sich im Fall der Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber. Die hat es ebenso gegeben wie den Oberkellner Leopold. Und auch die Lovestory der beiden ist kein Operettenschmäh. Was ist wahr am erfolgreichsten Singspiel seiner Zeit und was ist frei erfunden?

      Ich fuhr, um dies zu ergründen, an den Wolfgangsee und dort, kaum angekommen, natürlich ins Hotel Im Weißen Rössl. Das müsste, war meine nahe liegende Überlegung, der richtige Ort für derartige Recherchen sein.

      Begeben wir uns aber vorerst zu den Wurzeln einer kleinen Episode, die – wie durch ein Wunder – weltweite Beachtung finden sollte: Es war gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als sich der Zahlkellner des Gasthofs СКАЧАТЬ